Wir freuen uns sehr, euch unseren neuen Kurator Benedict Wild (
@BenedictWild) vorzustellen! Benedict hat sein Bachelor-Studium der Psychologie in Heidelberg und Amsterdam absolviert. Von 2013 bis 2015 war er Teil des Masterstudiengangs “Neuro-Cognitive Psychology” an der Ludwig-Maximilians-Universität München und verbrachte währenddessen auch einen Sommer für ein Forschungspraktikum an der New York University. Seit 2016 arbeitet er als Doktorand in der Abteilung Kognitive Neurowissenschaften am Deutschen Primatenzentrum in Göttingen. Er beschäftigt sich damit wie das Gehirn visuelle Informationen verarbeitet, speziell Informationen über Bewegungen.
Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Ich hatte mein Psychologiestudium eigentlich mit dem Ziel begonnen, mich im Bereich Wirtschaftspsychologie zu spezialisieren (weil ich nicht wusste, dass das, was ich damals eigentlich interessant fand, Marketing heißt). Während meines Zivilersatzdiensts an einer Universität in Äthiopien hab ich dann schon mal in der Bibliothek vor Ort in ein paar Psychologie-Bücher reingeschnuppert — und festgestellt, dass ich den Bereich Kognitive Psychologie viel spannender fand. Glücklicherweise gab es dort auch ein Buch über Kogvitionspsychologie; und in dem Buch fand ich wiederum das Kapitel über die neuronalen Grundlage der Kognition am spannendsten. Bis ich dann endlich mit dem Studieren anfangen konnte, hatten sich meine Pläne geändert und ich wusste praktisch ab dem 1. Semester, dass ich an der Uni bleiben und das Gehirn erforschen wollte (damals ging ich auch noch davon aus, dass ich alle Fragen innerhalb von 3-4 Jahren lösen würde 😀).
Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Für mich gibt es keine spannendere Frage als wie das Gehirn funktioniert. Letzten Endes sind es einfach nur physikalische Prozesse: positiv und negativ geladene Moleküle werden zwischen dem Inneren und dem Äußeren von Zellen hin- und hergeschoben. Aber dieser eine physikalische Prozess unterscheidet sich von allen anderen Prozessen, die wir kennen, darin, dass er Bewusstsein erschafft. Wir können unsere Umwelt wahrnehmen, mit ihr interagieren, komplexe Probleme lösen, uns an die Vergangenheit erinnern, uns die Zukunft ausmalen, grandiose Kunstwerke erschaffen, uns verlieben — und das alles hängt irgendwie von diesen Molekülen ab, die ab und zu durch eine Zellwand durchgehen. Ich glaube nicht, dass wir in den nächsten paar Jahrzehnten genau verstehen werden, wie das alles zusammengehört. Und so lange diese Frage unbeantwortet bleibt, kann ich mir nichts spannenderes als Neurowissenschaften vorstellen.
Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
ch versuche zu verstehen wie das Gehirn Informationen verarbeitet. Da das Gehirn insgesamt ziemlich kompliziert ist, beschränke ich mich auf den visuellen Kortex, also den Teil der Großhirnrinde, der für das Sehen zuständig ist. Da auch das immer noch ein sehr weites Feld ist, konzentriere ich mich noch weiter darauf, wie das Gehirn Bewegungen sieht. Das ist zum einen spannend, weil Bewegungen ein wichtiger Teil unseres alltäglichen Lebens sind (stellt euch mal kurz vor, wie es wäre keine Bewegung erkennen zu können — der Straßenverkehr wäre tödlich); zum anderen lassen sich Bewegungen relativ einfach definieren: sie haben eine Richtung und eine Geschwindigkeit und das war’s im großen und ganzen. Das macht die Forschung wenigstens ein bisschen einfacher (oder zumindest dachte ich das irgendwann einmal).
Wir wissen inzwischen, dass bereits einzelne Zellen oder kleine Gruppen von Zellen sehr komplexe Informationen verarbeiten können (zum Beispiel die Flugrichtung eines Balls erkennen, den ich fangen möchte). Um zu verstehen, wie sie das genau tun, müssen wir auch die Aktivität einzelner Zellen messen. Die gängigen nicht-invasiven Methoden (wie z.B. Elektroenzephalographie (EEG) oder funktionelle Kernspintomographie (fMRT)) messen aber immer nur die gesammelte Aktivität vieler tausend oder Millionen Zellen. Um die Aktivität einer einzelnen Zelle zu messen, muss man wirklich ins Gehirn hinein. Da das bei gesunden Menschen aus ethischen Gründen nicht möglich ist (und auch bei Patienten nur in sehr seltenen Ausnahmefällen), arbeiten wir mit Tieren. Dabei ist vorgeschrieben, dass die Tierversuche nur genehmigt werden, (a) wenn sie unterlässlich und ethisch vertretbar sind, (b) wenn keine Alternativmethoden eingesetzt werden können, (c) wenn Schmerzen, Leiden und Schäden minimiert werden und (d) wenn eine Tierart mit dem einfachst-möglichen Nervensystem verwendet wird (das heißt ein Versuch mit einer Maus wird nicht genehmigt, wenn die gleiche Fragestellung auch durch einen Versuch mit einer Fruchtfliege beantwortet werden kann). Da wir uns für sehr komplexe Prozesse interessieren, brauchen wir auch ein Tier mit einem komplexen Nervensystem, in unserem Fall sind das Rhesus Affen. Da das Gehirn selbst kein Schmerzempfinden hat, kann ich die Aktivität einzelner Zellen mit einer haardünnen Elektrode messen, während der Affe bei Bewusstsein ist und verschiedene visuelle Reize (also Bilder oder Filme) auf einem Monitor sieht. Mit dieser Methode versuche ich zu verstehen, worauf die Zellen genau reagieren (z.B. auf die Richtung einer Bewegung, oder die Geschwindigkeit, oder eine Mischung aus beidem). Wir stellen dann Hypothesen auf, welche Art von Informationen diese Zelle von anderen Zellen bekommen haben muss, um ihre spezielle Präferenz zu entwickeln. Das kann man auch am Computer simulieren, aber eben erst, wenn durch den Tierversuch überhaupt eine Idee bekommen hat, worauf die Zelle reagiert.
Neben diesen physiologischen Messungen, führen wir auch Verhaltensexperimente mit menschlichen Probanden durch. Hier versuchen wir die Grenzen auszuloten, was der menschliche Sehsinn leisten kann. Diese Studien stehen immer in engem Zusammenhang mit der Physiologie: wenn ein Mensch eine bestimmte Aufgabe unerwartet kann (oder nicht kann), stellt sich die Frage, welche Prozesse im Gehirn dazu führen. Und umgekehrt führt ein unerwartetes Ergebnis in der Physiologie oft dazu, dass man untersucht ob sich das auch auf das Verhalten auswirkt.
Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Ich denke, dass neurowissenschaftliche Grundlagenforschung für die Öffentlichkeit aus verschiedenen Blickwinkeln interessant ist:
Auf einer sehr grundsätzlichen, philosophischen Ebene versucht die Hirnforschung ja letztlich die elementarsten menschlichen Fragen zu beantworten: Wer bin ich? Warum bin ich so, wie ich bin? Warum bin ich anders als (oder ähnlich wie) meine Mitmenschen? Mögliche Erkenntnisse im Bezug auf diese Fragen haben natürlich auch Auswirkungen auf Politik, Recht und unsere Gesellschaft ganz allgemein.
Auf einer eher praktischen Ebene geht es darum, was Forschung (vor allem biomedizinische Forschung) darf (Stichwort Genmanipulation) und was für konkrete Anwendungen sie uns in Zukunft ermöglichen kann (Stichwort Therapiemöglichkeiten für neurologische und psychiatrische Erkrankungen). Daran arbeiten wir in der Grundlagenforschung zwar nicht direkt, aber ohne solide Grundlage(nforschung) kann es auch keine Anwendung geben.
Zuletzt ist es für den speziellen Fall Tierversuche wichtig, dass wir als Gesellschaft immer wieder neu evaluieren, wo Grenzen zu ziehen sind. Das erfordert ein sorgfältiges Abwägen des Nutzens und der Kosten von Tierversuchen und das wiederum ist nur möglich, wenn alle Beteiligten den status quo kennen (was leider nicht der Fall ist). Ich würde mich freuen, dazu in dieser Woche ein bisschen beitragen zu können.
Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Da ich Wissenschaftskommunikation sehr wichtig finde (sonst wäre ich ja nicht hier ;-), mache ich seit ca. 1 Jahr auch regelmäßig bei
“Skype-a-Scientist” mit. Dabei werden Wissenschaftler mit Lehrern zusammengebracht (so eine Art Wissenschaftskommunikations-
Tinder :) und unterhalten sich dann für eine Unterrichtsstunde per Video-Chat mit der Klasse des Lehrers.
Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Ich war früher Gelegenheits-Jogger und habe dann zu Beginn meiner Promotion angefangen, das ein bisschen ernsthafter zu betreiben. Inzwischen bereite ich mich auf meinen sechsten Marathon vor, laufe 6-7 mal die Woche und träume davon, evtl. in Zukunft noch ein bisschen weiter als 42,195km zu laufen. Auf dem Foto laufe ich gerade an ein paar Freunden bei Kilometer 23 des Berlin Marathons 2018 vorbei :) Zum Ende meiner Real Scientists Woche gibt’s dazu noch was ganz konkretes, also seid gespannt und bleibt dabei!
Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Wie ihr euch nach der vorherigen Frage schon denken könnt, geht ein guter Tag für mich mit Laufen los. Ich bin überzeugter und begeisterter Morgenläufer, im Sommer gerne auch schon vor 6:00 Uhr. Wenn ich dann nicht zur Arbeit muss, lass ich mir danach auch gerne Zeit für Dehnen und “Ausschwitzen”, bevor ich unter die Dusche hüpfe. Eine Sache, die ich am Laufen liebe ist, dass man sich danach guten Gewissens etwas gönnen kann :-D. Daher geht mein Tag dann mit einem ausgiebigen Frühstück/Brunch mit Freunden in einem Cafe weiter. Abends treffe ich mich sehr gerne mit Leuten für einen Spieleabend. Dummerweise mag ich am liebsten die Spiele, die auch mal 3 - 4 Stunden dauern können (Monopoly, Risiko, etc.). Und die will außer mir in meinem Freundeskreis anscheinend niemand spielen :-D Aber meistens finden wir dann doch noch einen guten Kompromiss mit dem alle leben können (und meine Hoffnung stirbt zuletzt).
Bitte begrüßt Benedict ganz herzlich bei Real Scientists DE!