Sunday, July 31, 2022

Warum die Erde heisser wird - Christian Scharun ist jetzt bei Real Scientists!

Diese Woche freuen wir uns sehr, euch unseren neuen Kurator Christian Scharun (@CScharun) vorstellen zu dürfen! Dr. Christian Scharun (@CScharun) studierte auf Lehramt Mathematik sowie Geographie und ist seit 2018 Wissenschaftler am Institut für Meteorologie und Klimaforschung des KIT in Karlsruhe. Seine Promotion schloss er Ende des Jahres 2021 an der Fakultät für Physik ab. Dabei beschäftigte er sich mit den Emissionen von Treibhausgasen und ihrem Beitrag zur globalen Erwärmung und entwickelte eine neue Methode mit der diese Emissionen genauer und effizienter bestimmt werden können. Im November 2021 wurde seine Arbeit auf der Berlin Science Week als „Wissenschaftlicher Durchbruch des Jahres 2021“ aus über 1700 Bewerbungen aus 89 Ländern ausgezeichnet. 2022 konnte er mit FameLab Germany einen der größten Wettbewerbe für Wissenschaftskommunikation gewinnen. Außerdem tritt Christian regelmäßig bei Science Slams auf und kommuniziert seine Wissenschaft in vielen verschiedenen Formaten.

Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Ich wollte nach dem Studium auf keinen Fall mehr als Lehrer an die Schule sondern das Erlernte anwenden.

Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Die Klimaforschung befasst sich nicht nur mit einem der wichtigsten globalen Probleme, sie ist auch ein sehr interdisziplinäres Fachgebiet. Als Mathematiker und Geograph kann ich dort zum Beispiel mit Meteorologen, Physikern, Ch
emikern und Informatikern zusammenarbeiten.

Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
In meiner Arbeit entwickle ich neue Methoden, wie Treibhausgasemissionen besser quantifiziert werden können, z.B. anhand von Satellitenmessungen. Die gewonnenen Daten nutze ich, um mit dem Klimamodell, welches wir gemeinsam mit dem Deutschen Wetterdienst an meinem Institut entwickeln, Aussagen darüber zu treffen, wie die Treibhausgase auf der Erde transportiert und verteilt werden und wie sie sich auf die globale Erwärmung auswirken.

Motivation: warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Der Klimawandel ist eines der größten Probleme unserer Zeit. Seine Auswirkungen wie zum Beispiel Hitzewellen oder Extremwetterereignisse können wir schon heute spüren und diese werden in Zukunft immer häufiger. Wir alle müssen jetzt die richtigen Entscheidungen treffen, sodass wir in Zukunft nachhaltig und klimafreundlich leben können. Und worauf sollen sich diese Entscheidungen stützen, wenn nicht auf die besten wissenschaftlichen Erkenntnisse.

Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Science Slams

Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Fußballschiedsrichter

Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Lange Ausschlafen, Freunde treffen, Draußen sein, gutes Essen

Bitte begrüßt Christian ganz herzlich bei Real Scientists DE!

Sunday, July 24, 2022

Die Hochschule von innen - Christina Bergmann ist wieder bei Real Scientists!

Diese Woche freuen wir uns sehr, euch unsere Kuratorin Christina Bergmann (@chbergma) erneut vorstellen zu dürfen! Christina ist seit März 2022 Recruiterin und Talentmanagerin an der Hochschule Osnabrück, wo sie eine neue, diversere Generation Professor*innen für eine Karriere an einer HAW (Hochschule für Angewandte Wissenschaften) gewinnt. Daneben setzt sich Christina für offene Wissenschaft und den freien Zugang zu aktuellen Erkenntnissen ein; wie sie das tut könnt ihr hier nachlesen. Christina’s wissenschaftliche Laufbahn begann mit einem Bachelor in Kognitionswissenschaften an der Universität Osnabrück und einem Erasmussemester in Computational Logic an der Universidade Nova in Lissabon. Danach ging es in die Niederlande für einen Master in kognitiven Neurowissenschaften, gefolgt von einem interdisziplinären PhD über Computermodelle, die wie Babys sprechen lernen sollen. Der nächste Umzug 2014 führte nach Paris, an die traditionsreiche École Normale Supérieure, wo Christina die Vorhersagen ihrer Dissertation im lokalen Babylab testete. Als Postdoc ging es zurück in die Niederlande, da 2017 ein neues Department am Max Planck Institut für Psycholinguistik zum Thema Sprachentwicklung eröffnete. Ab 2020 war Christina dort als Senior Investigator und Leiterin des Innovations Teams tätig, mittlerweile ist sie Gastwissenschaftlerin. Ihre Veröffentlichungen findet ihr frei zugänglich hier,

Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?

Wie ich schon bei meiner ersten Runde bei realscientists schrieb, bin ich in die Wissenschaft ein bisschen reingerutscht. Aber ohne eine große Portion Unterstützung und Glück hätte es nicht geklappt. Ich sehe sowohl meine bisherige Laufbahn als auch meine aktuelle Stelle als großes Privileg an, denn ich kann und konnte mich immer mit Themen beschäftigen, für die ich mich einfach sehr interessiere.

Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Auch hier war wieder der Zufall und Glück am Werk. Ich war auf der Suche nach Professuren, mitten in der #IchBinHanna Debatte. Nach all den befristeten Verträgen wollte ich gern eine Perspektive und endlich irgendwo "ankommen". Bewerben ist ein aufreibender Prozess, bei dem man immer wieder mehrseitige Schreiben und Konzepte generiert, die genau auf die Stelle und die Arbeitsumgebung passen. Nicht ganz einfach, gerade wenn man mit einem Kleinkind zu Hause auf das Ende eines befristeten Vertrags zusteuert, und nebenbei noch Pandemie herrscht. Dafür habe ich mich, wie ich finde, gut geschlagen – geklappt hat es aber leider trotzdem nicht. Gerade als ich wieder den deutschen Stellenmarkt durchforstete, und als Plan B "Wissenschaftsmanagement" eingab statt "Professur", kam genau diese Stellenanzeige – und das auch noch an einem Ort, an dem ich mich auskenne! Noch nie ging mir eine Bewerbung so leicht von der Hand, auch weil die Anforderungen und Erwartungen sehr klar formuliert waren und mich die Themen wirklich bewegen. Beim Vorstellungsgespräch musste ich dann vorab eine Aufgabe erfüllen und hatte dann ein sehr schönes Gespräch mit meinen zukünftigen Kolleg*innen und Vorgesetzten, sodass ich direkt einen tollen Eindruck und richtig Lust auf diese Aufgabe hatte. Wissenschaft betreibe ich noch in meiner Freizeit und versuche, hier eine gute Balance zu finden.

Erzähle uns etwas über deine Arbeit!

Ich bin Teil des Career Lab (CarLa) Osnabrück, wo ich mit vielen unterschiedlichen und sehr interessanten Personen arbeite. Derzeit sind wir noch in der Entwicklungsphase des „Osnabrücker Karrierewegs“ in eine HAW-Professur, sodass ich hauptsächlich mit ganz unterschiedlichen Leuten rede und neue Ideen erarbeite. Ich lerne gerade auch unheimlich viel über Wissenschaftsmanagement und wie so eine Hochschule von innen funktioniert, nachdem ich schon ein bisschen die Studierendenperspektive während meines Bachelor als AStA Referentin und Mitglied des Studierendenparlamentes kennenlernen konnte.

Motivation: warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?

Im Grunde beschäftigt sich meine aktuelle Aufgabe mit der Frage, wer 2030 gemeinsam mit den Studierenden die Welt von morgen erforschen wird. Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, auch bekannt als Fachhochschulen oder jetzt HAWs, beschäftigen sich damit, aktuelle Probleme zu bearbeiten und nachhaltige Lösungen zu finden. Dieser starke Anwendungsbezug unterscheidet sie von Unis, wo der Blick eher auf Grundlagenforschung gerichtet ist. Aus meiner bisherigen Arbeit kenne ich das selbst: Eine mögliche praktische Anwendung ist in der Regel noch einige Jahre von den eigenen Studien und Ergebnissen entfernt, auch wenn man sich natürlich fragt, wie sich diese oder jede Studie auf den Alltag auswirken könnte. Natürlich brauchen wir beide Arten von Forschung, und darum kooperieren Universität und Hochschule Osnabrück miteinander, genau wie das an vielen anderen Standorten der Fall ist.

Da Professuren an der Hochschule so nah an der Anwendung arbeiten, ist es natürlich auch wichtig, hier Menschen zu gewinnen, die andere inspirieren, gerne mit jungen Menschen zusammenarbeiten, und gemeinsam Ideen entwickeln und umsetzen. Eine besondere Fähigkeit, die viele Personen hier an der Hochschule auszeichnet, ist es, Herausforderungen, die gerade in der Praxis vorhanden sind, zu erkennen und erforschen, um kreative und nachhaltige Lösungen zu finden. Zum Thema ideale*r Professor*in haben wir alle sicher viele Ideen und Erwartungen... Also nehme ich diese Ideen mit, aber schaue auch, dass wir möglichst vielfältige Personen für diese wichtige Aufgabe gewinnen können und uns nicht unnötig auf ein bestimmtes Bild beschränken. Ich bin nämlich fest davon überzeugt, dass viele unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven nur ein Gewinn sein können. Also möchte ich Personen gewinnen, die sich und andere für ihre Themen begeistern können. Solche Professor*innen bedeuten gute Lehre und somit Studierende, die die Herausforderungen der Zukunft meistern können.

Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?

Neben meiner Arbeit engagiere ich mich schon seit Längerem bei ManyBabies – einem globalen Netzwerk für informative Kleinkindforschung. Die Grundideen hinter ManyBabies sind offene Wissenschaft, Zusammenarbeit, und Wertschätzung für ganz unterschiedliche Ansätze und Ideen. Ich bin unheimlich stolz, hier einen Beitrag leisten zu können und gemeinsam besser zu verstehen, was in Kinderköpfen so passiert und wie wir das so verlässlich wie möglich herausfinden können.

Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Puh, das Backen habe ich leider vorerst aufgegeben – dafür kocht mein Mann ganz toll für die ganze Familie. Abends erholen wir uns bei den neuesten Serien, auch wenn binge watching mit Kind leider nicht mehr drin ist. Also bitte nicht spoilern! Aber Empfehlungen nehme ich gerne entgegen, auch für spannende Science Fiction und Fantasy Romane, die lese ich nämlich besonders gerne. Durch die Pandemie sind viele andere kleine Freuden verloren gegangen, die ich gerade langsam wiederentdecke, zum Beispiel auf einer Terrasse sitzen und einen Latte trinken – für das Kind gibt es dann Milchschaum. Ich freue mich auch schon sehr darauf, Europa als Familie zu erkunden, und Freunde, die ich ewig nicht mehr gesehen hab, in San Sebastian, Paris, Berlin,... zu besuchen. Das ist einer der Vorteile des Nomadenlebens in der Wissenschaft, auch wenn es schade ist, dass viele Freundschaften über Kurz oder Lang auf Distanz geführt werden müssen.

Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Hier ist meine Antwort noch dieselbe wie 2017: Mein idealer freier Tag besteht entweder aus einem Tag am Meer, natürlich im Strandkorb und mit viel Sonne, oder einer Stadterkundung, am liebsten mit Brunch und vielen spannenden Ecken, die man entdecken kann.

Bitte begrüßt Christina ganz herzlich bei Real Scientists DE!

Sunday, July 17, 2022

Wie wir mit Behinderung umgehen - Dorothee Marx ist jetzt bei Real Scientists!

Diese Woche freuen wir uns sehr, euch unsere neue Kuratorin Dorothee Marx (@Dori_Kiel) vorstellen zu dürfen! Dorothee ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl für North American Studies am Englischen Seminar der Universität Kiel. In ihrem Dissertationsprojekt untersucht sie die Lebenserzählungen von traumatisierten, behinderten oder chronisch kranken Figuren in Romanen und Comics. Ihre Forschungsinteressen beinhalten außerdem self-tracking, die Figur des Zombies, die Darstellung von Mutterschaft, African American literature, sowie die Rolle von Behinderung im Hochschulkontext. Sie ist die erste Gewinnerin des Martin Schüwer-Publikationspreises für Herausragende Comicforschung (2019) für ihren Aufsatz „The ‚Affected Scholar‘: Reading Raina Telgemeier’s Ghosts as a Disability Scholar and Cystic Fibrosis Patient.“ 2020 erhielt sie den Sabin Award for Comics Scholarship der International Graphic Novels and Comics Conference. Sie ist Co-Sprecherin des Diversity Roundtables der Deutschen Gesellschaft für Amerikastudien, Redaktionsmitglied bei CLOSURE. Kieler e-Journal für Comicforschung und arbeitet gerade zusammen mit Gesine Wegner an einer Sonderausgabe des Journal of Literary and Cultural Disability Studies zum Thema „Cripping Graphic Medicine.”

Wie bist du in der Wissenschaft gelandet? 


Ich habe schon im Bachelorstudium (Anglistik/Amerikanistik und Skandinavistik) gemerkt, dass mein Wissensdurst was die englischsprachige Literatur- und Kulturwissenschaft angeht, quasi unstillbar ist. Ich wollte gern immer noch mehr wissen und neues lernen und habe mich im nBachelor oft in die literaturwissenschaftlichen Masterseminare gesetzt. Ich hatte das Glück, dass ich schon während meines Studiums als Hilfskraft sowohl in der Anglistik als auch in der Kulturwissenschaft arbeiten konnte und so einen guten Einblick in den Wissenschaftsbetrieb bekam. Nach meinem Bachelor entschied ich mich, in Kiel zu bleiben, weil dort ein Ein-Fach-Master „English and American Literatures, Cultures, and Media“ angeboten wird, in dem ich mich voll auf die Literaturwissenschaft konzentrieren konnte. Spätestens während des Masterstudiums stand für mich dann fest, dass ich auf jeden Fall für eine Promotion an der Uni bleiben wollte und ich hatte großes Glück, dass mit Ende meines Studium in Kiel in der Amerikanistik, meinem Wunschfach, eine Promotionsstelle frei wurde und ich diese auch bekam.


Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?

In den Disability Studies, meinem Hauptschwerpunkt in der Amerikanistik, bin ich durch einen Umweg gelandet. Ich habe in meiner Masterarbeit über die amerikanische Kultur nach den Anschlägen vom 11. September geschrieben und mir das Verständnis von Heimat und Heimatland angesehen – und zwar anhand der Zombieserie The Walking Dead. Ich fand es extrem spannend, wie die Ideologie hinter den Terroranschlägen immer wieder mit einem ansteckenden Virus verglichen wurde (was ich dann auf die Popularität des Zombies in den 2000ern bezogen habe). G. W. Bush sagte damals zum Beispiel in einer Rede „our immunity has been shattered.“ Ich habe also angefangen, mich in das Thema Krankheit und Viren in der amerikanischen Kultur einzulesen und bin dann darauf gestoßen, dass es, besonders in der anglophonen Forschung, ein riesiges Forschungsfeld zum Thema disability gibt. Das war mir hier in Deutschland während meines Studiums nicht begegnet. Zu dieser Zeit habe ich auch angefangen, mich mit Comics zu beschäftigen – vor allem durch das Engagement meiner beiden Kolleg*innen Cord-Christian Casper und Victoria Allen, die mich überzeugt haben, in der Redaktion von CLOSURE Kieler E-Journal für Comicforschung mitzuarbeiten. Deshalb sind jetzt auch Comics Teil meiner Forschung.


Mittlerweile ist es auch sehr wichtig für mich, mein persönliches Erfahrungswissen in meine Forschung einzubringen, da ich selbst mit einer Behinderung lebe. Es hat aber erst die Beschäftigung mit den Disability Studies gebraucht, um zu verstehen, dass ich auch als selbst Betroffene zu diesem Thema forschen darf. Hier bestärkt mich die positive Haltung der Disability Studies und die engagierte gegenseitige Unterstützung behinderter Forscher*innen untereinander nicht nur für meine weitere Forschung, sondern auch für mein Leben außerhalb der Uni.


Erzähle uns etwas über deine Arbeit! 

Ich bin ja gelernte Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und jetzt wie gesagt in der Amerikanistik tätig. Mein Forschungsschwerpunkt sind die Disability Studies und in diesem Feld schreibe ich auch meine Doktorarbeit zur Darstellung von Zeit in den Lebensgeschichten von chronisch kranken und behinderten Figuren in der nordamerikanischen Gegenwartsliteratur.


Die Disability Studies beschäftigen sich mit der Art und Weise, wie Behinderung gesellschaftlich wahrgenommen wird und wie diese Vorstellungen zustande kommen und untersucht dann zum Beispiel auch, wie diese Vorstellungen sich in die Kultur einschreiben, weitergegeben und reproduziert werden. Um das besser nachzuvollziehen, beschäftige ich mich mit ganz vielen verschiedenen kulturellen Produkten. Ich forsche sowohl zu Romanen als auch zu Autobiographien, aber auch zu (autobiographischen) Comics, Filmen oder YouTube-Videos. Für ein Kapitel zu Selbstquantifizierung habe ich mir mal Zyklusapps angesehen. Ich glaube diese Auswahl zeigt ganz gut, in wie vielen verschiedenen Bereichen unsere Vorstellungen von Behinderung und Normalität eine Rolle spielen.


Die Disability Studies betrachten Behinderung nicht als ein individuelles medizinisches Problem, also als einen „Defekt“ der geheilt oder überwunden werden muss, sondern verstehen Behinderung als eine soziale Identität. Die Gesellschaft betrachtet es als „Normalzustand,“ keine Behinderung zu haben und sieht deshalb Behinderung als eine negative besetzte Abweichung von der Norm an. Menschen mit Behinderungen werden also gegenüber nichtbehinderten Menschen abgewertet. Das nennt man Ableismus. Ableismus bedeutet auch, dass behinderte Menschen im Alltag immer wieder auf Barrieren stoßen – etwa in der Architektur, durch fehlende Aufzüge und barrierefreie Toiletten, fehlende Blindenleitsysteme usw. – aber auch in den Köpfen, durch Vorurteile und Diskriminierung. Wir schreiben behinderten Menschen oft bestimmte, meistens negative Eigenschaften zu, betrachten sie mit Vorurteilen oder haben stereotype Vorstellungen von Behinderung. Dies äußert sich dann zum Beispiel darin, dass behinderten Menschen unangenehme Fragen gestellt werden, etwa „Warum sitzt du im Rollstuhl?“ oder „Kannst du Sex haben?“ oder ungefragt Tipps gegeben werden, wie die Person die Behinderung überwinden können soll („Hast du schon mal Yoga/eine bestimmte Ernährung probiert?“). Auch glauben viele Menschen, dass behinderte Menschen grundsätzlich nicht arbeiten können oder im Pflegeheim leben. Das merkt man zum Beispiel auch daran, wie die sogenannten „vulnerablen Gruppen“ in der Covidpandemie in der Politik und den Medien dargestellt werden – nämlich als meistens ältere Menschen im Pflegeheim. Jüngere Menschen mit Vorerkrankungen oder Behinderungen, die studieren, einen Beruf ausüben oder eine Familie haben, kommen da gar nicht vor. Durch die Pandemie habe ich mich auch stärker mit dem Thema Eugenik beschäftigt und gemerkt, wie aktuell die Vorstellung ist, dass behindertes Leben weniger lebens- und schützenswert ist.


Motivation: warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren? 

Mein Forschungsfeld hört sich zwar sehr speziell an, aber tatsächlich betrifft die Vorstellung davon, was wir unter Behinderung verstehen und wie wir behinderte Menschen bewerten – und, ganz wichtig, was wir im Umkehrschluss als Normalität verstehen – also unsere gesamte Gesellschaft. Ich habe die Pandemie schon erwähnt, wo es um die Frage vom Schutz vulnerabler Gruppen geht, zwischendurch auch um die Frage von Triage, aber immer mehr auch um die Prävention von Schäden durch Long Covid – all das sind Fragen, wo es eigentlich darum geht, wie wir gesellschaftlich mit Behinderung und Erkrankung umgehen. (Im Moment alles andere als wertschätzend). Aber auch ganz viele ethische Fragestellungen, z.B. was wir unter „Lebensqualität“ verstehen, das Thema Abtreibung, Präimplantationsdiagnostik/ Pränataldiagnostik, Sterbehilfe – alle diesen Themen hängen mit unseren Vorstellungen von Behinderung zusammen. Meine Forschung zeigt, wie diese Vorstellungen in Medien zirkulieren, also zum Beispiel in Filmen, Büchern, Comics oder auf Social Media. Es ergibt Sinn, sich damit auseinander zu setzen, wie zum Beispiel Filme wie Forrest Gump (1994), Million Dollar Baby (2004), Ziemlich Beste Freunde (2011) oder Die Entdeckung der Unendlichkeit (2014) Behinderung darstellen. Wenn ein Film wie Ein Ganzes Halbes Jahr (2016) eine Geschichte erzählt, in der ein vom Hals abwärts gelähmter Mann für Sterbehilfe in die Schweiz fährt, vorher aber noch seine junge Pflegerin zu einem neuen Leben inspiriert, ist das keine romantische Feel-Good-Story, sondern ein ableistischer Inspirationsporno, der letztlich aussagt, dass ein Leben mit Behinderung so schrecklich und so wenig lebenswert ist, dass es besser ist, tot zu sein. Aber zumindest hat der Tod der behinderten Figur positive Folgen für die nichtbehinderte Figur, die nicht nur sein Geld erbt, sondern auch endlich ihr eignes Trauma überwindet. 0 von 10 Sternen. Das ist zwar scheinbar „nur“ ein Film, aber wenn wir dann noch mal zurück an die Pandemie und bestimmte Aussagen denken, dass Menschen mit Behinderungen, die AN Covid sterben ja sowieso keine gute Lebensqualität hatten, was impliziert, dass deren Tod ja nicht so schlimm ist (und dass man jetzt wirklich keinen Bock mehr hat sich wegen den paar Leuten wieder einzuschränken, die sollen doch bitte zuhause bleiben), wird hoffentlich deutlich, dass die Darstellung von Behinderung in Medien einen sehr großen Einfluss auf unsere gesellschaftlichen Vorstellungen hat. Diese Vorstellungen bleiben ja auch nicht abstrakt, sondern werden in konkrete politische Maßnahmen umgesetzt (Maskenpflicht im Krankenhaus, aber nicht im Supermarkt). Zusammengefasst: Behinderung ist ein Thema, das auch nichtbehinderte Menschen betrifft und das in den Medien tatsächlich sehr viel häufiger vorkommt, als man vielleicht beim ersten Nachdenken glaubt. 


Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten? 

Ich bin seit 2 Jahren zusammen mit einer Kollegin Diversity and Equality Counselor am Englischen Seminar. Wir beraten Studierende wenn es um Fragen der Diskriminierung geht, aber zusätzlich bin ich noch bis Ende des Jahres gewählte Co-Sprecherin des Diversity Roundtable der Deutschen Gesellschaft für Amerikastudien, wo ich mich zusammen mit meinen Kolleg*innen auch für mehr Bewusstsein für Diversität und verschiedene Formen von Benachteiligung einsetze. Im Mai haben wir ein Symposium mit dem Titel „Moving Towards Collective Action: Activism and Academia“ in Kiel organisiert, wo wir uns ganz gezielt für eine möglichst große Barrierearmut eingesetzt haben – das war unglaublich bereichernd. Mittlerweile hat mein Engagement für mangelnde Barrierefreiheit an Universitäten auch Eingang in meine Forschung gefunden und ich beschäftige mich auch mit der Situation von behinderten Lehrenden und Studierenden. 


Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest? 

Ich habe während meines Studiums ehrenamtlich als Sanitäterin beim Roten Kreuz gearbeitet. Mittlerweile schaffe ich das körperlich nicht mehr, aber ab und zu zieht es mich für die realistische Unfalldarstellung zurück ins „Blaulichtmilieu.“ Ich schminke dann mich und andere Verletztendarsteller*innen mit viel Kunstblut für Übungsszenarien, damit Feuerwehr und Rettungsdienst oder auch die Polizei für den Ernstfall üben können. Letztes Jahr hat mich die Feuerwehr mehrmals aus kaputten Autos geschnitten, aus einem „brennenden“ Haus und Anfang des Jahres aus einer Baugrube gerettet. Ich habe wahnsinnigen Spaß daran und es ist ja auch noch für einen guten Zweck. Im Büro ist es zwar auch spannend, aber meistens etwas weniger aufregend. Während der Pandemie habe ich auch mit dem Backen angefangen und bin mittlerweile eine recht gute Tortenbäckerin. 


Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher*innen sind ja auch nur Menschen)? Am liebsten verbringe ich einen freien Tag am Stand. Ich liebe es, dass ich an der Ostsee wohne und arbeite und ich kann problemlos den ganzen Tag im Sand in der Sonne liegen -- und natürlich dabei lesen. Dann auch am liebsten etwas, was nicht für die Arbeit relevant ist. Postapokalyptische Szenarien haben es mir sehr angetan, da hängt mir noch die Masterarbeit nach. Ich hoffe, dass ich im Urlaub Stephen King’s The Stand lesen kann. Zwischendurch paddle ich gern mit meinem SUP den Strand entlang, oder kühle mich im Wasser ab. Und ein Fischbrötchen darf an dem Tag auch nicht fehlen 😊


Bitte begrüßt Dorothee ganz herzlich bei Real Scientists DE!

Sunday, July 10, 2022

Schützer der Artenvielfalt - Thomas Hörren ist jetzt bei Real Scientists!

Diese Woche freuen wir uns sehr, euch unseren neuen Kurator Thomas Hörren (@thoerren) vorstellen zu dürfen! Thomas ist langjähriges Mitglied und Vorsitzender des Entomologischen Vereines Krefeld und forscht im Wesentlichen zu Insektendiversität und Biodiversitätsschäden. Er ist Teil der Wissenschaftlichen Leitung und koordiniert die Forschungs- und Untersuchungsprojekte des Vereines. Taxonomisch bearbeitet er als Insektenforscher vor allem die Käfer, wobei ihm jedoch immer die Einordnung in Gesamtdiversität wichtig ist. Er ist Koautor der Langzeitstudie zum Verlust von Biomasse bei Fluginsekten in Naturschutzgebieten, die im Jahr 2017 gesellschaftspolitisch die Debatte zum Insektensterben auslöste. Seit dem betreibt er auch Wissenschaftskommunikation in Social Media. 

Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Durch die Amateurwissenschaften. Ich habe als Jugendlicher Anschluss an ein paar entomologische (also insektenkindlichen) Arbeitsgruppen an naturkundlichen Museen in Nordrhein-Westfalen gehabt und war vollkommen begeistert von dem Wissen der Personen dort. Das Entdecken von den unterschiedlichen Insektenarten vor der eigenen Haustüre, die irgendwie nicht fassbare Artenvielfalt und die oft schwierige Bestimmung fand ich enorm spannend. Ich habe schon recht früh an Untersuchungen zu Insektendiversität mitgewirkt und erste Artikel zu ersten Käferfunden für neue Regionen bearbeitet. Dabei war es eigentlich immer der wissenschaftliche Ansatz, der mich faszinierte.  

Seit diesen Anbindungen habe ich eigentlich immer nach dem Job gesucht, der mir die Möglichkeit gibt, mich mit diesen Inhalten zu beschäftigen. Also das zu tun, was mich so sehr fasziniert. Das hat mich relativ orientierungslos durch eine Ausbildung zum biologisch-technischen Assistenten sowie durch mehrere Versuche, einen entomologischen Job zu finden, geführt. Letztlich dann in ein Biologiestudium an der Universität Duisburg-Essen. Und parallel habe ich im Entomologischen Verein Krefeld geforscht, der eine wissenschaftlich ausgerichtete Fachgesellschaft ist. Naja, und irgendwann hat es dann plötzlich auch Leute interessiert, was ich so mache. Ich habe das nie davon Abhängig gemacht aber mein heutiger Job hat sich mehr entwickelt, als dass es ihn konkret gegeben hätte und ein junger Mensch bei einer Suche überhaupt auf ihn stoßen könnte

Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Die bloße Faszination hat mich dort hinein getrieben. Mir war relativ früh klar, dass ich im Prinzip gar nichts anderes tun möchte. Und ich habe früher eigentlich immer das Leben um mein Hobby, meine Passion oder wie man es auch nennen mag, gebastelt. Schon zu Schulzeiten. Aus heutiger Sicht hat sich das gelohnt. Mich erfüllt, was ich tue.  

Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Aktuell forsche ich u.A. in mehreren Verbundforschungsvorhaben zu Insektendiversität und dem Einflüssen von Landnutzung auf biologische Vielfalt im Schutzgebietsnetz. Das sind sogar die größten bisherigen Projekte in diesem Bereich. Letztlich haben wir die Grundsituation, dass menschliche Einflüsse auf Biodiversität diese überall auf diesem Planeten irreversibel schädigen. Auch direkt vor unserer Haustüre. Um biologische Vielfalt zu erhalten, gibt es bei uns rechtsverbindliche Ansätze, die dafür sorgen sollen, dass sie lokal halt möglichst gut erhalten bleibt. Das sind zum Beispiel Schutzgebiete wie beispielsweise Naturschutzgebiete. Da gibt es allerdings das Versäumnis, dass wir uns erst heute mit der umfassenden Aufdeckung der Artenvielfalt beschäftigen und wissen, dass dort an einem Standort im Laufe eines Jahres mal eben 2000-3500 verschiedene Insektenarten an nur einem Punkt leben. Zu den Risikofaktoren, die diese Vielfalt bedrohen, wissen wir ebenfalls viel zu wenig. Das ist gerade wirklich überwiegend noch Neuland, und das im Jahr 2022. Und das ist eigentlich mein Job: die aktuelle Sachlage dokumentieren, Risikofaktoren zu ermitteln und Handlungsempfehlungen aus Forschungsperspektive für den lokalen Erhalt der Vielfalt zu geben.

Mein absoluter Antrieb ist dabei aber die Faszination von Insekten und anderen Organismen. Und die versuche ich auch in meinem persönlichen Ansatz von Wissenschaftskommunikation rüberzubringen. Auf Instagram (@totholz.thomas) habe ich irgendwann einmal damit begonnen, zu biologischer Vielfalt, Insekten, Biodiversitätsforschung und Wissenschaft generell zu informieren. Und das hat langsam zunehmend immer mehr Menschen erreicht, die diese Inhalte in irgendeiner Form spannend fanden und finden. Zum Teil motivierte es sogar schon eine ganze Reihe junger Menschen dazu, selbst ein Biologiestudium anzufangen, obwohl ihnen ältere Generationen dauerhaft vorhalten, dass das keine guten Jobs seien. Das ist natürlich eine zu unrecht pauschalisierte Falschinformation, die einfach nicht zeitgemäß ist (schon alleine die ganzen Umweltbehörden, die in den 1970er Jahren gegründet wurden erfahren jetzt den Generationswechsel, da die Menschen in Ruhestand gehen). Für Wisskomm gehe ich aber auch ganz unübliche Wege, z. B.  mit neuen Buchkonzepten (be prepared!) oder aber die Veranstaltung lebendigerer Wissensvermittlung mit Forschungsinhalten. So kam es sogar mal dazu, dass ich gemeinsam mit dem Musikproduzenten und Biologen Dominik Eulberg und der grandiosen Biologin Dr. Kim Mortega vom Museum für Naturkunde in Berlin eine Biodiversitätsshow in einem Berliner Techno-Club veranstaltete, bei denen wir Sachinhalte in einer Multimedia-Show vermittelten. Und im Anschluss wurde getanzt. Ich versuche also gelegentlich aus meiner eigenen Komfortzone herauszukommen und mal ganz neue Konzepte auszutesten. Ich halte aber auch ganz klassische Vorträge oder bin hier und da als Dozent tätig.

Motivation: warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Die Wichtigkeit vom Erhalt von biologischer Vielfalt ist mir persönlich eigentlich schon länger klar. Dass die Öffentlichkeit sich irgendwo schon für die Arbeit interessiert habe ich mehr erfahren, als das irgendwie proaktiv einzufordern. Im Jahr 2017 hatten wir in einem internationalen Forschungsteam den Verlust von 75% der Biomasse von Insekten über 27 Jahre in deutschen Naturschutzgebieten veröffentlicht. Die Publikation ging irgendwie durch die Decke und hatte weltweit (bis heute) einen sehr großen Einfluss, was letztlich bei uns ja auch zu der gesellschaftspolitischen Debatte zum Insektensterben führte. Der Umstand, dass heute eigentlich alle den Begriff „Insektensterben“ kennen und um den Verlust biologischer Vielfalt Bescheid wissen, zeigte uns schon, dass die Bedeutung des Themas gegeben ist. Unser Projekt ist gerade auch Projekt des Monats beim Bundesamt für Naturschutz. Die öffentliche Wahrnehmung hat mich mehr in die Richtung geschubst, dass wir als Wissenschaftler*innen auch eine Verantwortung haben, Sachlagen zu den eigenen Forschungsinhalten zu kommunizieren. 

Wir tragen alle unseren Teil zu laufenden Biodiversitätsschäden bei und nehmen damit - wenn man es mal rein anthropozentrisch betrachten möchte - künftigen Generationen von Menschen die Möglichkeit, in einer ähnlichen Lebensqualität zu leben, wie wir heute. Viele Menschen in modernen weißen und westlichen Kulturen haben sich sehr stark von der Wahrnehmung entfernt, dass Biodiversität nach wie vor ihre Lebensgrundlage ist und beispielsweise unsere vollständige Ernährungssicherung und Wasserversorgung davon abhängt. Damit laufende Schäden nicht völlig ungehemmt vorangehen, braucht es Menschen, die diese Sachlage dokumentieren und sich mit Begeisterung dafür einsetzen, um die Wichtigkeit deutlich zu machen. Jede*r Einzelne sollte eine gewisse Grundbildung und Sensibilisierung zu Biodiversität haben, wenn ein nachhaltiger Umgang in den hiesigen Kulturkreisen schon nichts Selbstverständliches ist. 

Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Oh, jetzt hatte ich oben schon fast ausufernd ausgeholt. Nein, das ist eigentlich ein Spektrum von Tätigkeiten in meinem Job. Etwa 80-90% nimmt die Forschung ein, der Rest ist die Kommunikation dazu. Ich möchte das künftig auch einfach in schwankendem Maße tun, je nachdem welche Projekte mir zusagen oder was ich ausprobieren möchte.

Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Nein, ich bin wie viele Nerds eher langweilig und in meinem Fall 24/7 Insektenforscher. Ehrenamtlich bin ich Vorsitzender des Entomologischen Vereines Krefeld, wo sich eine ganze Reihe von Mitgliedern um die Bewahrung alter musealer Sammlungen der Stadt Krefeld kümmert. Da gibt es immer sehr viel zu tun. Ansonsten schlendere ich gerne mal über Antikmärkte, kaufe mir zu viele Bücher oder schaue mir Städte an, um letztlich doch nur irgendwo zu landen, wo es was leckeres zum Essen gibt.  

Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Momentan ist sehr viel los und ich muss ehrlich sagen, manchmal bin ich einfach froh, wenn ich überhaupt mal durchatmen kann. Am besten gefällt es mir, wenn ich Kreativität ausleben kann. Dazu reicht aber ein freier Tag nie, das funktioniert erst, wenn ich wirklich Ruhe habe und 2-3 Tage frei habe. Alle paar Wochen ist das aber mal der Fall über die Wochenenden. 

Bitte begrüßt Thomas ganz herzlich bei Real Scientists DE!

Sunday, July 3, 2022

Neurowissenschaft mit Virtual Reality - Michael Wiesing ist jetzt bei Real Scientists!

Diese Woche freuen wir uns sehr, euch unseren neuen Kurator Michael Wiesing (@VR_Neuroscience) vorstellen zu dürfen! Michael ist gelernter KFZ Mechaniker und studierte zwischen 2009 und 2015 Biologie und Experimentelle Neurowissenschaften an der Universität Köln. Von 2015 bis 2019 war er als Doktorand am Forschungszentrum Jülich am Institut für kognitive Neurowissenschaften tätig und ist nun seit 2020 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Wahrnehmungspsychologie (Twitter: @MotorPerception) der Uni Düsseldorf.  

Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?

Dass ich eines Tages in der Wissenschaft landen werde, hätte ich mir lange Zeit selbst in meinen
Träumen nicht vorstellen können. Nach meinem Realschulabschluss habe ich damals eine Ausbildung zum Kraftfahrzeugmechaniker angefangen. Im Laufe der Ausbildung wurde mir aber immer deutlicher, dass das nicht der richtige Beruf für mich ist. Stattdessen habe ich mich damals schon lieber mit Computern beschäftigt und fand auch wissenschaftliche Themen immer spannender als Autos. Nach meiner Ausbildung habe ich mein Abitur im zweiten Bildungsweg nachgeholt. Während dieser Zeit fand ich immer mehr Interesse an psychologischen und neurowissenschaftlichen Themen,
weshalb ich mit dem Gedanken gespielt habe, etwas in die Richtung zu studieren.
Bevor ich mit dem Studium begonnen habe, wollte ich noch einen Einblick in den Forschungsalltag
bekommen und habe ein Praktikum am Institut für kognitive Neurowissenschaften (INM-3) im
Forschungszentrum Jülich absolviert. Im Rahmen des Praktikums war ich in eine Studie über
Synästhesie mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) involviert. Ich fand sowohl das
Thema und auch den ganzen Prozess, Experimente zu entwickeln, sehr spannend. Die Erlebnisse in
der Zeit haben mir die letzte Gewissheit gegeben, mich für eine wissenschaftliche Laufbahn im
Bereich der kognitiven Neurowissenschaft zu entscheiden.

Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Bei der Wahl des Themas für meine Dissertation hat man mir viel Freiraum gegeben und ich konnte
mein Thema selbst wählen. Zu der Zeit habe ich auch zum ersten Mal die Oculus Rift Development Kit
2 bei einem Freund getestet und war sofort angetan von den Möglichkeiten zur Untersuchung
kognitiver Prozesse, die sich mit der Technik ergeben. Am Ende habe ich mich dafür entschieden,
Virtual Reality (VR) als Werkzeug zur Erforschung kognitiver Prozesse zum Thema meiner Dissertation zu untersuchen. Bis heute finde ich sowohl die Möglichkeiten die VR für kognitive Neurowissenschaft bringt sowie die technischen und methodischen Herausforderungen, die die Technik an uns Wissenschaftler stellt, sehr spannend.

Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Aktuell arbeite ich an der Heinrich-Heine-Universität in der Gruppe für Wahrnehmungspsychologie
und untersuche, wie motorische Prozesse unsere Wahrnehmung beeinflussen. Wenn wir uns
bewegen, erhalten wir über unsere Sinne zahlreiche Informationen über die Beschaffenheit unserer Umgebung. Virtual Reality ermöglicht es mir sensorische Informationen in Abhängigkeit von den
Bewegungen der Versuchspersonen in Echtzeit zu manipulieren und dabei zu untersuchen, wie sich
das Gehirn auf neue Zusammenhänge zwischen Wahrnehmung und Motorik einstellt und
Verhalten sich den Gegebenheiten der Umwelt dynamisch anpasst.

Motivation: warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Virtual Reality wird in Zukunft eine immer größere Rolle in unserem Leben spielen. Bislang ist aber
noch nicht wirklich verstanden, welche Auswirkungen die Technologie auf uns haben wird. In meiner
eigenen Forschung nutze ich VR als Werkzeug, um kognitive Prozesse zu untersuchen. Dafür ist es
wichtig, erstmal zu verstehen, wie die Technik sich auf die Wahrnehmung und das Verhalten von
Versuchspersonen auswirkt. Anders formuliert: Verhalten sich Versuchspersonen in einem
Experiment anders, nur weil das Experiment in VR stattfindet?

Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Durch meine Arbeit habe ich gemerkt, dass ich sehr viel Spaß am 3D Rendering habe und so kommt
regelmäßig vor, dass ich meine Freizeit nutze und an den Umgebungen für meine Experimente feile.
Ob die Details, an denen ich dabei arbeite, einen experimentellen Vorteil bringen, sei erstmal
dahingestellt. Spaß macht es auf jeden Fall! Außerdem habe ich mir letzten Jahr einen 3D Drucker gekauft, der seitdem selten stillsteht.

Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Erst einmal ausschlafen und dann ein wenig in den Tag hineinleben, Freunde treffen und abends auf
die Couch, Serien oder Filme schauen, vorzugsweise mit ausreichend Junkfood.

Bitte begrüßt Michael ganz herzlich bei Real Scientists DE!