Mit großer Vorfreude möchten wir euch unsere neue Kuratorin Julia Nentzl (@JNentzl) vorstellen! Julia ist eine in Berlin und Leipzig tätige Psychologin mit Spezialisierung in Rechtspsychologie. Nach ihrem Studium arbeitete sie als Therapeutin für Gewalt- und Sexualstraftäter im Freiheitsentzug sowie unter Bewährung. In ihrer aktuellen verhaltens- und sexualtherapeutischen Arbeit im Präventionsprojekt Dunkelfeld Leipzig behandelt sie anonym Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen und darunter leiden. Ihr wissenschaftlicher Schwerpunkt liegt in der Verhinderung von sexuellem Kindesmissbrauch, welchen sie als Doktorandin an der Humboldt-Universität zu Berlin interkulturell untersucht. Zudem ist sie als Lehrbeauftragte an der Hochschule Stendal tätig und lehrt Diagnostik und Behandlung von Gewalt- und Sexualstraftätern.
Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Die Idee Psychologie zu studieren und anschließend Therapeutin zu werden entstand schon während des Abiturs. Die Vorlesungen im Studium zu Statistik und wissenschaftlicher Methodik waren erstmal dröge. Mein Interesse am wissenschaftlichen Arbeiten kam dann mit der Bachelorarbeit. Selber eine wissenschaftliche Frage zu formulieren und durch eigene Untersuchungen Antworten zu finden – das war der Punkt im Studium, als die Forscherin in mir geboren wurde.
Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Während des Studiums habe ich eine Vorlesung zu Sexualwissenschaften an der Charité Berlin besucht und war thematisch sofort gefesselt. Gerade das Thema der sexuellen Präferenzstörung, also wenn durch abweichende sexuelle Vorlieben die betroffene Person leidet oder andere zu Schaden kommen, hat mich interessiert. Ich wollte mich der herausfordernden Aufgabe annehmen, Betroffene dabei zu unterstützen, die eigene sexuelle Präferenz zu akzeptieren und problematische sexuelle Impulse zu kontrollieren. Menschen mit Pädophilie, also einer sexuellen Ansprechbarkeit für Kinder, sind häufig von Stigmatisierung betroffen, denn die Pädophilie wird häufig direkt mit dem Begehen eines sexuellen Kindesmissbrauchs gleichgesetzt. Auch Therapeuten scheuen sich teilweise, Menschen mit sexuellem Interesse an Kindern zu behandeln. Ich wollte mich der Herausforderung stellen, Aufklärungsarbeit zu leisten und mich dieser speziellen Patientengruppe anzunehmen. So habe ich dann mein erstes Praktikum beim Präventionsprojekt Dunkelfeld, einem anonymen Behandlungsprogramm für pädophile Männer, begonnen und bin seitdem in diesem Feld tätig.
Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
In meiner Tätigkeit im Präventionsprojekt Dunkelfeld führe ich Diagnostik und Therapien durch. In einem gründlichen klinischen Interview – ergänzt durch Fragebögen und Tests – untersuche ich, ob eine sexuelle Ansprechbarkeit für Kinder vorliegt und ob unser Behandlungsangebot für den Patienten passend ist. Ich führe auch Psychotherapien durch, entweder als Gruppen- oder Einzeltherapie. Vor allem geht es dabei um das Erlernen und Trainieren von Kompetenzen zum sicheren, nicht fremd- und selbstgefährdenden Umgang mit eigenen sexuellen Impulsen. Neben der klinischen Arbeit bleibt manchmal auch etwas Zeit für Begleitforschung, wo ich Daten aus den Fragebögen, Tests und Therapieverläufen statistisch auswerte. Die Fragestellungen variieren zwischen methodischen Fragen, z.B. wie gut bestimmte Fragebögen in unserer Patientengruppe messtechnisch funktionieren, und klinischen Fragestellungen, beispielsweise welche Faktoren das Risiko für problematisches sexuelles Verhalten erhöhen oder auch, welche Effekte denn unter der Therapie zu verzeichnen sind.
Neben meiner Tätigkeit im Präventionsprojekt Dunkelfeld bin ich als Dozentin tätig und betreue auch hin und wieder Abschlussarbeiten; diese dann gerne im Rahmen meines Dissertationsprojekts. Neben der Berufstätigkeit genügend Zeit für die Doktorarbeit zu finden ist nicht immer einfach, selbst für arbeitssame Organisationstalente wie mich.
Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Für die Prävention von sexueller Gewalt ist für mich die Arbeit mit potentiellen Tätern, also Menschen die z.B. aufgrund einer Pädophilie ein erhöhtes Risiko für das Begehen eines Missbrauchs haben, und auch die Arbeit mit Tätern, die ihre Fehler nicht wiederholen wollen, unabdingbar. Ich sehe es als besonders wichtig an, nicht nur den Schaden zu therapieren wenn er eingetreten ist, sondern zusätzlich präventiv zu wirken, um möglichst viele Opfer zu verhindern.
Präferenzstörungen sind Schicksal und nicht ausgesucht. Niemand hat die Möglichkeit zu wählen, wie alt die Person ist die Objekt des sexuellen Verlangens ist. Die betroffenen Menschen sind aber trotzdem für ihr Verhalten verantwortlich und müssen lernen, mit ihren sexuellen Wünschen und Impulsen umzugehen. Hierfür braucht es einerseits ein niederschwelliges, flächendeckendes professionelles Behandlungsangebot, und andererseits auch Aufklärungsarbeit in der Allgemeinbevölkerung, um die Betroffenen bei ihrer Verantwortungsübernahme zu unterstützen. Oft ist es ihnen nicht möglich, das soziale Umfeld einzuweihen. Ein Beispiel: Ein trockener Alkoholiker, der von seinem Nachbarn auf einen Wein eingeladen wird, wird meist als verantwortungsvoll wahrgenommen, wenn er die Einladung mit Verweis auf die Suchtproblematik dankend ablehnt. Ein Mann mit sexuellem Interesse an Kindern, der im Familien- oder Freundeskreis gebeten wird, kurz auf ein Kind alleine aufzupassen, und dies ablehnt mit der Begründung, dass es aufgrund seiner sexuellen Ansprechbarkeit für ihn eine Risikosituation darstelle, würde hingegen starker Stigmatisierung ausgesetzt sein, wenn nicht sogar als Kinderschänder vorverurteilt werden. Die Betroffenen fühlen sich aufgrund ihrer Präferenz eh schon häufig als Außenseiter und versuchen sozial wenig aufzufallen. Dies kann dazu führen, dass sie sich aus Erklärungsnot in Situationen begeben, die ihr Risiko für Problemverhalten erhöht. Ich denke, dass eine Sensibilisierung zu diesem Thema es den Betroffenen erleichtert, sich professionelle Hilfe und Unterstützung im sozialen Umfeld zu suchen.
Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Um mich in Sexualtherapie weiterzubilden, schaue ich seit letztem Jahr über den Tellerrand der Sexualdelinquenz hinaus und behandele auch in Patienten, die Probleme im Bereich der sexuellen Funktion haben (z.B. Erektionsstörungen) oder sich nicht mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren.
Zu psychologischen Fragen, über die ich in meiner Arbeit stolpere, schreibe ich seit neuestem Blog-Artikel auf Medium.
Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Kochen ist eine große Leidenschaft von mir. Wenn ich abends von der Arbeit nach Hause komme, koche ich ein leckeres Gericht, komme so vom stressigen Arbeitsalltag runter und schalte richtig ab. Sehr gerne lese ich auch, das hilft mir zu entschleunigen und ich lerne immer wieder andere Perspektiven zu übernehmen. Am Wochenende treffe ich mich gerne mit Freunden und erfreue mich des Austausch und gemeinsamer Unternehmungen.
Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Ein freier Tag ist dadurch gekennzeichnet, dass kein Wecker klingelt und ich richtig ausschlafe. Gerne frühstücke ich bei gutem Wetter auf dem Balkon, mache dann etwas Sport und gehe am Nachmittag in den Park. Da entspanne ich im grünen Gras mit einem Buch oder gerne auch mit Freunden.
Bitte begrüßt Julia ganz herzlich bei Real Scientists DE!
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