Sunday, May 11, 2025

Mini-Gehirne für die Krebsforschung! Anna Wolfram ist jetzt bei Real Scientists DE!

 

Anna Wolfram Porträtfoto

Diese Woche freuen wir uns auf unsere Kuratorin Anna Wolfram (@annawolfram.bsky.social)! Anna ist Joint PhD Candidate in Neurowissenschaften und Chemie am Universitätsklinikum Tübingen und der Universität Castilla La Mancha. Sie entwickelt cerebrale Assembloide – Mini-Gehirne mit Tumoren – für die tierversuchsfreie Wirkstofftestung. Neben ihrer Forschung engagiert sie sich für Gleichberechtigung in der Wissenschaft, u. a. als Koordinatorin des Netzwerks Frauen mit Format und als Autorin von Extending the Complexity of the Leaky Pipeline Phenomenon in Natural Science. Sie ist außerdem #SciMom auf einem dual academic career path.

 

Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Schon in der 7. Klasse wollte ich die Welt im Detail verstehen – mit dem ursprünglichen Plan, Chemie zu studieren. Nach der 10. Klasse habe ich ein Auslandsjahr in Neuseeland gemacht und dort eine Biochemikerin als Biologielehrerin gehabt. Ihr Unterricht drehte sich vor allem um das zentrale Dogma der Mikrobiologie und da war für mich klar: Ich will die Chemie des Lebens wirklich verstehen. Also habe ich ab 2015 Biochemie in Heidelberg studiert.

Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden und/oder was hält dich dort?

Bereits im ersten Jahr meines Studiums wollte ich mich auf Krebsforschung spezialisieren. Mir war es wichtig, einen umfassenden Überblick über die Entwicklung von Krebsmedikamenten zu bekommen – von der chemischen Synthese über biologische Testung und computergestützte Optimierung bis hin zur klinischen Anwendung. Also habe ich mir über fünf Jahre hinweg Einblicke in all diese Bereiche verschafft.

Während meiner Masterarbeit bin ich dann ins internationale Krebsforschungs-Konsortium TreatBrain gerutscht – zunächst mit einem Projekt in der organischen Chemie zur Synthese neuer Chemotherapeutika gegen Glioblastome. Diese Arbeit war ursprünglich nicht geplant – sie entstand, weil meine eigentliche Masterarbeit coronabedingt abgesagt wurde. Daraus entwickelte sich jedoch die Idee zu einem Joint PhD an der Schnittstelle von Chemie und Neurowissenschaften (genauer gesagt: Neuro-Immuno-Onkologie).

Meine Stärke liegt eigentlich in der 3D-Zellkultur und so haben meine beiden Betreuenden, Prof. Dr. Carlos Romero-Nieto und Prof. Dr. Lisa Sevenich und ich ein interdisziplinäres Projekt gestartet, um eines der zentralen Probleme in der Krebsforschung anzugehen: Nicht die mangelnde Wirksamkeit vieler Medikamente ist das Problem, sondern ihre Toxizität – vor allem im Gehirn ist hohe Toxizität keine Option.

Gemeinsam mit meiner Kollegin Vanessa Arnold habe ich begonnen, neurale Modelle zu entwickeln, um Neurotoxizität und Wirksamkeit schon früh in der präklinischen Pipeline zu testen. Nach zwei Jahren haben wir ein komplettes Modell-Set aufgebaut – von High-Throughput-2D-Systemen bis hin zu mitteldurchsatzfähigen 3D-Assembloiden.

Das Besondere: Wir haben die ersten Krebs-Assembloide entwickelt – „Mini-Gehirne mit Tumoren“ – bei denen der Tumor vollständig von gesundem Gewebe umgeben ist. Damit können wir Krebs realitätsnah simulieren – und das komplett ex vivo, also ohne Tierversuche. Darüber werde ich in meiner Woche als Kuratorin auch auf BlueSky berichten.

Was mich hält: Das Potenzial, unsere 3D-Modelle künftig für die funktionale Präzisionsmedizin weiterzuentwickeln. Unser langfristiges Ziel ist es, Hirntumorerkrankungen besser zu verstehen – indem wir Mini-Modelle aus gesundem, hirnähnlichem Gewebe (das wir im Labor kultivieren) mit patientenspezifischen Tumorzellen kombinieren. Auf diesen individualisierten Modellen könnten wir Medikamente nicht nur auf Wirksamkeit, sondern auch auf Toxizität testen – und so Behandlungen entwickeln, die eine möglichst hohe Effektivität bei gleichzeitig minimalen Nebenwirkungen bieten.

In meiner Wunschvorstellung gehören diese „Patienten-Avatare“ eines Tages genauso selbstverständlich zum klinischen Alltag wie die genomische Präzisionsmedizin. Auch wenn der Weg dorthin noch weit ist – genau dieses Ziel hält mich.


Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Cerebrale Assembloide – Mini-Gehirne mit Tumoren – begeistern mich. Wie wir in kleinen Zellaggregaten (0,6-1 mm – auch wenn das für Organoide schon ziemlich groß ist) komplexe Strukturen modellieren können, beeindruckt mich immer wieder.

Wenn ich ein neues Modell entwickle – also versuche, einen Krebs in gesundes Gewebe zu integrieren, mit dem ich noch nie gearbeitet habe, die Architektur meiner Modelle zu verändern oder meine Probe zu optimieren – dann ist das einfach spannend für mich. Immer wenn ich etwas Neues ausprobieren darf, bin ich aufgeregt wie ein kleines Kind vor dem Geburtstag. Denn die Grenzen des Bekannten zu verschieben, ist einfach unglaublich aufregend.

Gleichzeitig ist mein Alltag natürlich auch geprägt von wissenschaftlichen Problemen – echte Durchbrüche kommen nicht ohne viel Struggle. Mein Mentor sagt immer: Als Wissenschaftler:innen sind wir vor allem Problemlöser:innen – das heißt, wir müssen jeden Tag mit neuen Hürden rechnen und lernen, Freude daran zu finden, sie zu überwinden.

Und genau so würde ich meine Arbeit beschreiben: viele spannende Herausforderungen – wissenschaftlich, organisatorisch, finanziell, technisch – und all das lösen wir im Team, im Sevenich Lab am M3 und in der C. Romero-Nieto Research Group an der UCLM in Spanien.


Motivation: Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?

Tierversuche sollten auf ein Minimum reduziert werden – dem stimmen sicherlich viele zu. Aber das gelingt nur, wenn wir funktionierende Alternativen haben. Denn niemand möchte Krebsmedikamente zum ersten Mal an Patient:innen testen. Genau hier setzen unsere Systeme an.

Schon heute arbeiten wir mit Assembloiden, die aus Mausstammzellen gewonnen werden – damit können wir insbesondere Neurotoxizitätstests bereits ohne Tierversuche durchführen. Und wir verfolgen ein langfristiges Ziel: Patient:innen-Avatare mit Tumoren, die vollständig von gesundem Gewebe umschlossen sind. Auch wenn die Entwicklung solcher Modelle noch zwei bis vier Jahre benötigen wird – ihr Potenzial ist enorm.

Zudem sind wir eine der wenigen Gruppen, die gezielt 3D-Modelle für Hirnmetastasen entwickeln – ein oft übersehenes Feld. In Deutschland erkrankt etwa jede achte Frau an Brustkrebs und bei 10 bis 20 Prozent entwickeln sich später Hirnmetastasen. Für diese Patientinnen gibt es bisher kaum klinische Studien oder neue Therapien – meist bleibt nur die palliative Versorgung.

Mit unseren Modellen können wir selbst in diesen Fällen kombinierte Tests zu Wirksamkeit und Toxizität durchführen – und so dazu beitragen, künftig gezieltere und verträglichere Behandlungen zu entwickeln.

Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?

Bildung ist der Schlüssel zu einer gerechteren Welt – davon bin ich fest überzeugt und daran richte ich mein Engagement neben meiner naturwissenschaftlichen Arbeit aus.

Von 2015 bis 2022 durfte ich die Bildungsinitiative IG Friedenstaube leiten – 2024 mit dem Margot-Friedländer-Schulpreis ausgezeichnet – und begleite sie bis heute als Beraterin. Besonders am Herzen liegt mir die Gleichstellung von Frauen.

Deshalb engagiere ich mich neben meiner Promotion als Koordinatorin des Netzwerks Frauen mit Format in Wissenschaft und Wirtschaft an der Goethe-Universität Frankfurt. Gegründet von der beeindruckenden Vorreiterin Astrid von der Malsburg, ist es das einzige Netzwerk seiner Art in Deutschland, das Wissenschaft und Stadtgesellschaft aktiv miteinander verbindet.

Darüber hinaus bin ich eine #SciMom – mein Mann und ich verfolgen einen dual academic career path, der leider mehr durch unser eigenes Engagement als durch strukturelle Unterstützung ermöglicht wird. Aus diesem Grund spreche ich regelmäßig über die Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Karriere und Familie.

Das führt mich zu meinem letzten großen Thema: dem Verbleib von Frauen in der Wissenschaft. In meinem Buch Extending the Complexity of the Leaky Pipeline Phenomenon in Natural Science analysiere ich einen besorgniserregenden globalen Trend: Frauen verschwinden aus der akademischen Laufbahn nicht schrittweise, sondern es kommt zu einem abrupten Bruch – vor allem beim Übergang von der Postdoc-Phase bzw. Juniorgruppenleitung zur Professur. Hier verlieren wir wertvolles Humankapital. Das muss sich ändern!

Deshalb spreche ich jährlich mit Studierenden darüber und engagiere mich im International Younger Chemists Network (IYCN) im Bereich Diversity, Equity & Inclusion.

Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?

Ich mag die Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und um unserer Tochter einen Gegenpol zu zwei Eltern in den Naturwissenschaften zu bieten, besuchen wir gemeinsam Kunstausstellungen, gehen ins Ballett oder in die Oper.


Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forschende sind ja auch nur Menschen)?
Ich glaube, Wissenschaft hat weder Anfang noch Ende – und oft sind es gerade die Tage, an denen ich nicht arbeite, an denen mir die besten Ideen kommen. Wenn ich mit meiner Familie Zeit verbringe, draußen unterwegs bin mit unserer Hündin oder gelegentlich beim Pferd – genau das wäre mein idealer freier Tag: Zeit und Raum für Bewegung, Gespräche und Denken in Gemeinschaft mit der Familie.



Bitte begrüßt Anna ganz herzlich bei Real Scientists DE!

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