Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Ich bin einer dieser Menschen, die schon als Kind Naturwissenschaftler*innen werden wollten und es dann tatsächlich geworden sind. Meine Eltern förderten diese Interessen, indem sie mir zu Geburtstagen und Weihnachten fleißig „Was ist was ?“ Bücher schenkten, und später Kosmos Chemiekästen. Ja, ich habe tatsächlich auch an Jugend Forscht teilgenommen. Ich machte mir natürlich Sorgen, dass dies eine schwierige Berufslaufbahn werden würde, zumal ich keine Vorbilder in meiner Familie und Bekanntenkreis hatte. Ich überlegte deshalb kurzzeitig Medizin zu studieren. Die Erfahrungen während meines Zivildienstes in einem Krankenhaus haben mich allerdings schnell von diesem Vorhaben abgebracht. Zu meiner Überraschung wurde ich 1989 als Nachrücker im Studiengang Biochemie an der FU Berlin zugelassen, vier Wochen vor Studienbeginn. Insbesondere die längeren Laborpraktika im Hauptstudium und Semesterferienaufenthalte in akademischen Forschungslaboren in Hamburg und London hatten mich dann endgültig für die Grundlagenforschung begeistert.
Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden und/oder was hält dich da?
Ich verstehe mich als interdisziplinärer Wissenschaftler, der Techniken und Grundlagen aus vielen Forschungsgebieten anwendet, um wissenschaftliche Fragestellungen zu lösen, die mich interessieren. Dabei lege ich Wert auf die Anwendbarkeit meiner Ergebnisse für die Medizin und die öffentliche Gesundheitsfürsorge (Public Health).
Die sensorische Neurobiologie fasziniert mich nun schon seit mehr als 25 Jahren. Wie nehmen wir unsere Umwelt, unseren Körper und andere Menschen war ? Physische Reize wie Temperaturänderungen, Schmerz, oder Berührung ? Können wir Störungen dieser Mechanismen wie chronische Schmerzen oder Husten eindämmen ?
Derzeit arbeiten meine Labormitglieder und ich hauptsächlich an Projekten in der Toxikologie und den Regulierungswissenschaften (Regulatory Science). Haben Menschen Mechanismen entwickelt, die giftige Substanzen in unserer Umwelt wahrnehmen und Vermeidungsreaktionen auslösen, so wie Schmerz, Irritation, Niesen oder Husten ? Spielen diese Mechanismen eine Rolle bei der Entwicklung von Asthma und Hautallergien ? Werden diese Mechanismen durch Zusatzstoffe unterdrückt, um Zigaretten und andere Tabakprodukte bekömmlicher zu machen? Das ist spannend und hat oftmals eine schnelle Umsetzung in Gesetzgebung und regulatorische Maßnahmen zur Folge, um die Menschen vor toxischen und abhängig machenden Produkten zu schützen. Wir tragen zu Innovationen in diesen Feldern bei, indem wir unser Wissen und Methoden aus der sensorischen Neurobiologie, Pharmakologie und Pulmonologie mit toxikologischen, verhaltensbiologischen und genetischen Ansätzen kombinieren.
Erzähl uns etwas über deine Arbeit!
Mein Labor forscht zur Zeit in zwei Bereichen, der sensorischen Neurobiologie mit Implikationen für die Schmerzforschung und Pulmonologie, und der Toxikologie/Regulierungswissenschaft. Als Professor und Leiter einer Arbeitsgruppe bin ich Mentor von mehreren Postdoktorand*innen und professionellen akademischen Wissenschaftler*innen (Senior Scientists), Doktorand*innen und Studentischen Hilfskräften. Ich gebe Anstöße zu neuen Projekten, gebe experimentelle Ratschläge, werte Daten aus und schreibe Publikationen und viele, viele Forschungsanträge. Ich leite weiterhin Forschungskooperationen mit Arbeitsgruppen an anderen US-Universitäten, in den Niederlanden, Finnland und Deutschland (München). Weiterhin bin ich verantwortlich für Tierversuchsanträge und Einhaltung jeglicher Laborsicherheitsbestimmungen.
Ich gebe Vorlesungen in der Anästhesie und in Doktorandenprogrammen zur Neurobiologie von Ionenkanälen, Schmerzpharmakologie und Toxikologie. Ich betreue auch Doktorand*innen als Co-Mentor an der North Carolina Central University (NCCU), einer benachbarten historischen afroamerikanischen Universität. Ich reise ungefähr einmal im Monat zu nationalen oder internationalen Konferenzen um neue Forschungsergebnisse vorzustellen, Kollegen wiederzutreffen, Förderinstitutionen über unsere wissenschaftlichen Fortschritte zu unterrichten, und meine Labormitglieder bei ihren Präsentationen und Netzwerkaufbau zu unterstützen. Ich bin auch in Komitees von professionellen Berufsstandsorganisationen tätig, u.a. in der American Thoracic Society, der Organisation der Lungenfachärzte und -Forscher.
Ich bin Mitglied in Berufungskommissionen meiner Universität, begutachte Beförderungsgesuche interner und externer Fakultätsmitglieder und bin Sachverständiger für wissenschaftliche Integrität meines Fachbereichs. Weiterhin begutachte ich Forschungsanträge für die National Institutes of Health (NIH) und andere Förderer.
Wenn ich tatsächlich noch einmal im Labor arbeite (oh Schreck !!), dann helfe ich meinen Mitarbeiter*innen bei Klonierungen, Agarosegele abschalten und fotografieren, Platten kühlstellen und Zellkultur, insbesondere an Wochenenden.
Motivation: Warum sollte sich die Öffentlichkeit für eure Forschung/Arbeit interessieren?
Wir alle erleben Schmerz als extrem unangenehm, und wollen ihn so schnell wie möglich wieder loswerden ! Dies ist komplizierter als gedacht. Die stärksten Schmerzmittel, die Opiate, machen abhängig und können tödlich sein. Deshalb sind weitere Investitionen in die Schmerz(grundlagen)forschung notwendig, um neue Behandlungsansätze zu entwickeln. Unsere toxikologische Arbeit hat aufgezeigt, wie Chemikalien wie Tränengaswirkstoffe extreme Schmerzzustände auslösen und zu Verletzungen und Entzündungen der Atemwege und Lunge führen können. Die derzeit gültigen Sicherheitsannahmen zum Einsatz von Tränengasen basieren auf veralteten Forschungsdaten und müssen angesichts dieser neuen Ergebnisse dringend revidiert werden. Unsere Arbeit im Bereich der Regulierungswissenschaft hat neue Strategien der Tabakindustrie aufgedeckt, durch chemische Modifikation von Aromastoffen die Regulierung ihrer Produkte zu unterminieren und durch Modifikation des Nikotins stärker abhängig machende Produkte zu entwickeln. Gesetzgeber und regulatorische Instanzen müssen diesen Entwicklungen entgegentreten, gerade in Deutschland mit seiner sehr hohen Raucherquote.
Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Ich bin mehr und mehr in beratenden Funktionen für nationale und internationale Institutionen tätig. U.a. bin ich Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats für Tabakproduktregulierung der FDA (United States Food and Drug Administration Tobacco Products Scientific Advisory Committee), und berate die Studiengruppe zur Tabakproduktregulierung der Weltgesundheitsorganisation (WHO TobReg). Besonders viel Spaß bring mir meine Beratungstätigkeit für das Justizministerium des Bundesstaates Kalifornien. Kalifornien ist seit Jahrzehnten federführend im Kampf gegen die Tabakindustrie und ist ein Leitbild für die Gesetzgebung auf föderaler Ebene und für andere Bundesstaaten der USA. Ich konnte bei der Ausarbeitung eines neuen Gesetzes mithelfen, das im letzten Jahr vom kalifornischen Abgeordnetenhaus und Gouverneur verabschiedet wurde und zu umfangreichen weiteren Verboten von Tabakprodukten führte. Ich habe mehrere Jahre an Konferenzen der Organisation für die Prohibition von Chemiewaffen (OPCW) teilgenommen und dort Wissenschaftler und Diplomaten über die Wirkungsmechanismen hochtoxischer und schmerzauslösender Chemikalien aufgeklärt.
Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Meine Frau und ich sind seit vier Wochen empty nesters. Vorschläge für neue Hobbies sind da sehr willkommen ! Ansonsten backe ich gern Mohn- und Sesambrötchen aus Hefeteig. Die vermisse ich nach wie vor sehr. Ich helfe auch gern meiner Frau beim Zubereiten chinesischer Jiaozi (Maultaschen, dumplings) und Baozi (gefüllte Dampfknödel). Manchmal spiele ich ein paar Stunden Elite:Dangerous und an unserer neuen Switch 2.
Wie sieht für dich ein idealer freier Tag aus (Forschende sind ja auch nur Menschen)?
(Forschende sind ja auch nur Menschen)?
Mein idealer freier Tag ist ein Tag, an dem wir eine Opernaufführung besuchen. Ansonsten Tage mit langem Frühstück und langen Waldspaziergängen, gekrönt mit einem Abendessen in „The Pig“, unserem Lieblings-Barbeque-Restaurant in der Nachbarschaft.
Bitte begrüßt Sven ganz herzlich auf dem Kanal!