Monday, October 25, 2021

Politischer und religiöser Extremismus - Annika Brockschmidt ist jetzt (wieder) bei Real Scientists DE!

Mit großer Vorfreude möchten wir euch eine alte Bekannte vorstellen: nachdem sie 2018 bereits eine Woche bei Real Scientists DE kuratiert hatte, ist Annika Brockschmidt (@ardenthistorian) zum zweiten Mal bei uns zu Gast. Annika hat einen Bachelor in Geschichte und Germanistik von der Uni Heidelberg und einen Master in War and Conflict Studies von der Uni Potsdam. Sie ist als freie Journalistin für den Tagesspiegel, ZEIT Online und ZEIT Geschichte tätig und hat zwei Sachbücher bei Rowohlt veröffentlicht: "Goethes Faust und Einsteins Haken" und diesen Oktober "Amerikas Gotteskrieger. Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet". Wenn sie nicht gerade (zu Recherchezwecken) Predigten von Televangelists schaut, oder über die Religiöse Rechte schreibt, ist sie mit ihrem Hund in der Natur oder mit der Nase in einem Buch zu finden.

Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Ich fand es immer schon spannend, was Menschen dazu bringt, sich Extremen anzuschließen - sei es politischem oder religiösem Extremismus, oder beidem. In meiner historischen Ausbildung habe ich mich viel mit Propaganda und Genozid beschäftigt, ein Hintergrund, der mir auch jetzt bei der Arbeit am Buch "Amerikas Gotteskrieger" geholfen hat, wenn es darum ging, rechtsextreme Rhetorik zu entschlüsseln und Gewaltmechanismen herauszustellen.

Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Ich halte mich täglich auf dem Laufenden, was in der amerikanischen Politischen und Religiösen Rechten geschieht - das ist mühsam, deprimierend und kann frustrierend sein, gleichzeitig ist es aber auch wahnsinnig spannend, quasi an einem "lebendigen" Thema zu recherchieren und darüber zu schreiben. Man weiß nie, was als nächstes kommt. 

Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Ohne Christlichen Nationalismus und die Religiöse Rechte in den USA zu verstehen, kann man die aktuelle politische Lage in den USA weder richtig begreifen noch durchdringen. Wer beides unterschätzt, trifft eine fatale Fehleinschätzung: Denn so oft die Religiöse Rechte auch für tot erklärt wurde, ist sie nie von der politischen Bildfläche verschwunden. Und sie wird auch in der nahen Zukunft der USA weiterhin eine massive Rolle spielen, da sie die Radikalisierung der Republikaner massiv vorantreibt. 

Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Ich produziere den Podcast "HistoPod" für die Bundeszentrale für Politische Bildung und "Wissen Entgrenzen" für die Max Weber Stiftung. Außerdem habe ich einen neuen Podcast zur Religiösen Rechten in den USA gestartet, namens "Kreuz und Flagge", der sowohl für Deutsch - als auch Englischsprachige Hörer*innen spannend sein könnte. Über Patreon erhalten Abonnenten zusätzlich erweiterte Episoden, den Patreon-exklusiven Podcast "USA-Update" zur aktuellen politischen Lage in den USA und weitere Inhalte, wie Texte, Essays und Fotos. 

Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Um den Kopf freizukriegen verbringe ich vielen Stunden mit dem Hund draußen - sonst hätte ich vermutlich längst den Verstand verloren. 

Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Ausschlafen (Hündchen ist Langschläferin), ausgedehntes Frühstück, Spaziergang mit Frieda und ihren Hundefreunden am Meer, ein fauler Tag inklusive Mittagsschlaf (Schlafdefizit hat mittlerweile besorgniserregende Ausmaße erreicht) mit vielen Büchern, Pausen zum Spielen und einem Abendessen mit Freunden.

Bitte begrüßt Annika ganz herzlich bei Real Scientists DE!

Sunday, October 17, 2021

Sprache als Schlüssel zur Geschichte - Maria Zielenbach ist jetzt bei Real Scientists DE!

Mit großer Vorfreude möchten wir euch unsere neue Kuratorin Maria Zielenbach (@dietweeterei) vorstellen! Maria hat Linguistik an der Universität zu Köln studiert und auch einen BA in Islamwissenschaften („Sprachen und Kulturen der islamischen Welt“). Zurzeit promoviert sie an der Vrijen Universiteit Amsterdam zur Geschichte der Nord-Halmahera-Sprachen im ERC Projekt OUTOFPAPUA (Papuans on the move). Thema ihrer Dissertation ist eine Rekonstruktion von Proto-Nord-Halmahera und weiter die Untersuchung eines möglichen Anschluss der Sprachfamilie an Sprachen in Westpapua. Maria ist Schriftführerin des Verein Junge Sprachwissenschaft e.V. Weiterhin ist sie bei der Deutschen Tolkien Gesellschaft e.V. aktiv, moderiert das Diskussionsformat TolkShow und den Podcast Silmaria.

Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Während meines Studiums habe ich im Institut für Linguistik in Köln gearbeitet und dabei den Wissenschaftsalltag kennengelernt. Obwohl der natürlich seine Tücken hat, war mein Plan A immer in die Forschung zu gehen, einfach, weil ich gerne Dinge herausfinden möchte. Nach meinem Masterabschluss im Frühjahr habe ich dann zu meinem eigenen Erstaunen sehr schnell eine Promotionsstelle gefunden, sodass ich seit September jetzt voll drin bin.

Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Ich wusste schon relativ früh, dass ich Linguistik studieren möchte. Ich fand Grammatik einfach toll und jeder Aspekt von Sprache hat mich fasziniert. Das ist immer noch so. Mein Weg zur historischen Linguistik war etwas verwickelt. Im Bachelor in Köln muss man im ersten Semester Kurse zu allgemeiner Sprachwissenschaft, Phonetik und historischer Sprachwissenschaft belegen. Letzteres heißt konkret klassische Indogermanistik. Ich habe mich dann zuerst dafür entschieden, aber im 3. Semester die Sprachtypologie für mich entdeckt und die Indogermanistik erstmal hinter mich gelassen. Da ich im Nebenfach Islamwissenschaften studiert hab, bin ich über Arabisch zur Semitistik gekommen und dabei habe ich festgestellt, dass es nicht die historische Sprachwissenschaft, sondern die indogermanischen Sprachen sind, die mich nicht wirklich interessieren. Darum habe ich angefangen mich mit der Diachronie (der Entwicklung) von anderen Sprachfamilien zu beschäftigen und nebenher weiterhin Kurse zu Typologie und Sprachdokumentation belegt. Daher bin ich ziemlich breit aufgestellt. Meine Stelle in Amsterdam vereint alles, was ich im Studium so gemacht hab: Historische Sprachwissenschaft, Sprachdokumentation, Austronesistik und Typologie. 

Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Ich erforsche die Familie der Nord-Halmahera-Sprachen. Halmahera ist eine indonesische Insel vor dem Vogelkopf von Neuguinea, etwas kleiner als Sachsen. Dort leben etwa 500.000 Menschen. Aus linguistischer Perspektive ist die Insel geteilt: im Süden werden austronesische Sprachen gesprochen (weitläufig verwandt mit Indonesisch, Maori usw.), im Norden Sprachen, die keiner größeren Sprachfamilie zugeordnet werden können. Zu der Familie gehören auch Sprachen auf den umliegenden Inseln Ternate, Tidore, Makian und Morotai. Die ersten drei kennt man vielleicht als „Gewürzinseln“. Sie waren lange Zeit der einzige Ort der Welt, an dem Gewürznelken wuchsen. Keine der Sprachen hat mehr als 100.000 Sprecher*innen. Durch die zunehmende Rolle der Kommunikationssprachen Moluccan Malay und der Amtssprache Indonesisch, gelten sie alle als von Sprachtod bedroht. Außerdem sind sie bislang nur wenig erforscht. Thema meiner Dissertation ist eine Rekonstruktion der Ursprache, aus der sich alle Nord-Halmahera-Sprachen entwickelt haben. Außerdem beschäftigt sich unser Projekt mit der Frage, ob die Nord-Halmahera-Sprachen mit Sprachen im Westen von Neuguinea verwandt sind und ob sich darüber Populationsbewegungen erschließen lassen.
Da ich noch ganz am Anfang meiner Promotion bin besteht meine Arbeit aktuell noch hauptsächlich aus der Lektüre der vorhandenen Literatur und dem Abtippen von Wörterbüchern (kein Witz), um Datensätze in die Datenbank unseres Projekts einzupflegen. Mit deren Hilfe kann ich dann hoffentlich bald mit der eigentlichen Forschung (Rekonstruktion) beginnen. Es ist auch vorgesehen, dass ich zur Sprachdokumentation nach Indonesien reise. Durch Corona ist das aber erstmal in den Hintergrund gerückt.
Kurzfassung: Ich starre auf Daten. 

Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Eine kleine Inselgruppe in Indonesien ist für die meisten erstmal sehr weit weg und auch meine Forschung hat für viele keinerlei praktische Anwendung. Im Grunde leistet sie aber einen Beitrag zu sehr grundlegenden Frage: wie verändern sich Sprachen und wie sind Populationen auf und um Papua gewandert. Dein Leben wird es also nicht verändern, aber es ist spannend. Und die Sprecher*innen der Sprachen haben genauso ein Recht, etwas über die Geschichte ihrer Sprachen zu wissen, wie wir hier in Europa es über unsere Sprachen tun. 

Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
An der Uni habe ich bislang keine, allerdings bin ich seit einem halben Jahr im Vorstand der Jungen Sprachwissenschaft e.V., einem Verein für Linguistikstudierende und -promovierende. 

Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Historische Linguist*innen haben den Ruf weg, die nerdigsten unter den ohnehin schon nerdigen Linguist*innen zu sein. Ich tu mein Bestes, um diesem Klischee zu entsprechen und bin sehr aktiv in der Deutschen Tolkien Gesellschaft e.V. In diesem Rahmen gebe ich öfters Vorträge, die auch immer was mit Linguistik zu tun haben. Seit einem halben Jahr moderiere ich auch ein Online-Diskussionsformat (die TolkShow) und seit Kurzem habe ich einen Podcast zum Silmarillion: Silmaria (ja, der ist nach mir benannt – nein, ich habe den Namen nicht erfunden). 

Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Lesend auf einer Couch liegend während jemand für mich kocht (an dieser Stelle möchte ich meine Eltern grüßen)

Bitte begrüßt Maria ganz herzlich bei Real Scientists DE!

Sunday, October 10, 2021

Gletscher in Grönland - Jenny Turton ist jetzt bei Real Scientists DE!

Diese Woche freuen wir uns sehr, euch unsere neue Kuratorin Jenny Turton (@TurtonJ1990) vorstellen zu dürfen. Jenny ist Polarmeteorologie- und Klimaforscherin. Ihre Arbeit konzentriert sich auf den Einfluss verschiedener atmosphärische Prozesse auf das schmelzen von Gletschern und Schelfeis in der Antarktis und Grönland. Außerdem ist sie Vertreterin für Nachwuchswissenschaftler bei der European Geosciences Union (EGU).

Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?

Ich genoss unabhängige Forschung für mein Bachelor-Projekt, also beschloss ich, weiter zu forschen, indem ich habe einen Master durch Forschung (MRes) gemacht habe. Während mir die Forschung Spaß machte, wollte ich mich auf die Polarregionen oder Berge konzentrieren, also führte mich dies zu meiner Doktorarbeit beim British Antarctic Survey und der Universität Leeds.

Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?

Als Kind wollte ich Wettervorhersager und Moderator werden und ich liebe die Kälte und den Schnee. Also habe ich die beiden irgendwie zusammengebracht und bin jetzt Polarmeteorologieforscherin. Ich arbeite gerne an der Schnittstelle zwischen Atmosphäre und Kryosphäre.

Erzähle uns etwas über deine Arbeit! 

Meine Arbeit konzentriert sich auf den Einfluss verschiedener atmosphärische Prozesse (z.B Föhn Wind, Warmluft Advection, Stürme, atmosphärische Flüsse), auf das schmelzen von Gletschern und Shelfeis. Im moment konzentrierte ich auf Nioghalvfjerdsfjorden Gletscher (kurz 79° Nord) in Nordostgrönland. Ich führe regionale Atmosphärenmodelle für Fallstudien der atmosphärischen Prozesse durch und verwende Simulationen aus Oberflächenmassenbilanzmodellen, um zu sehen, welche Auswirkungen sie auf die Eisoberfläche haben. Meine Arbeit ist Teil des GROCE-projekt (@GROCE79N), das Ozean, Eis und Atmosphäre im Nordosten Grönlands untersucht.

Motivation: warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren? 

Der 79° Nord Gletscher ist das größte verbleibende Schelfeis in Grönland. Ein großer Teil des Gletschers schwimmt auf dem Ozean und ist der Erwärmung des Ozeans und der Atmosphäre ausgesetzt. Der Gletscher verliert an Masse durch Oberflächen- und Basalschmelzen sowie durch Eiskalben. Die Atmosphäre in dieser Region hat sich um über 3°C erwärmt, was schneller ist als der globale Durschnitt.

Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten? 

Ich betreue Masterstudenten und unterrichte gelegentlich Kurse. Außerdem bin ich stellvertretende Vertreterin für 'Early Career' (Nachwuchs-) Wissenschafteren bei der European Geosciences Union (EGU). Das heißt, ich höre auf die Bedürfnisse der Mitglieder (durch die 22 Bereichsvertreter) und diskutiere diese mit den Ratsmitgliedern. Wir haben regelmäßige Online-Meetings, um Veränderungen zu besprechen, Networking- und Karriere-Events vorzuschlagen und die jährliche Konferenz zu organisieren.  

Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest? 

Ich mache gerne "wissenschaftliche Handarbeit". Wie Kreuzstichkarten der Antarktis und das Grundgestein der Länder, einen Schal mit Farben stricken, die das Wetter repräsentieren und saisonale Dekorationen für meine Wohnung machen.

Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)? 

Morgens laufen gehen, um aufzuwachen, dann einen frischen Kaffee in meinem Lieblingscafé kaufen, durch den Park laufen (hoffentlich wenn es schneit, aber ich nehme auch Sonnenschein), sitzen und mein Buch lesen. Abends gehe ich mit Freunden auf Cocktails trinken und Abendessen oder grille im Park. In Nürnberg regnet es nicht allzu oft, so dass man einige Samstage so verbringen kann. Als ich in Großbritannien lebte, habe ich jedes Wochenende Netball gespielt (denken Sie an Basketball, aber ohne Dribbling und mit mehr Regeln) und ich vermisse Mannschaftssportarten.

Bitte begrüßt Jenny herzlich bei Real Scientists DE!

Sunday, October 3, 2021

Auf der Suche nach dem digitalen Sinn - Andreas Bischof ist jetzt bei Real Scientists DE!

Diese Woche freuen wir uns sehr, euch unseren neuen Kurator Andreas Bischof (@analog_a) vorstellen zu dürfen. Mit einem Hintergrund in Soziologie und Kulturwissenschaften untersucht Andreas, wie Mensch, Gesellschaft und Technologie miteinander interagieren. Derzeit leitet er eine BMBF-Nachwuchsforschungsgruppe an der Technischen Universität Chemnitz, die interdisziplinäre Kompetenzen für den digitalen Wandel erforscht. Die Themen seiner Arbeit umfassen partizipative Methoden der Technikentwicklung, Sozial- und Pflegerobotik, sowie die digitalen Bedingungen sozialen Sinns. 

Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Ehrlich gesagt bin ich über Umwege in der Wissenschaft gelandet. Ich wollte ursprünglich Journalist werden und habe für den Bachelor einen Studiengang gesucht, der etwas Inhaltliches voranstellt, auf dass ich dann den Master in Leipzig satteln könnte. "Kulturwissenschaften" klang nett und interessant. In der Einführungsvorlesung "Kultursoziologie" war es dann um mich geschehen: Da konnten Leute erklären, wie das Verhalten Einzelner sich zu gesellschaftlichen Effekten auftürmt, und wie wiederum große gesellschaftliche Veränderungen immer auch auf Alltagshandlungen der Menschen basiert. Das hat mich fasziniert!

Nach dem Studium wollte ich mich weiterhin vertiefen können, und habe eine Promotionsstelle angenommen. Von dort aus geriet ich recht schnell in den "Strudel" des Wissenschaftsbetriebs aus Tagungen, Publikationen, Projekten, undsoweiter.

Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Auch hier hat natürlich der Zufall eine Rolle gespielt. Ich bin schon immer medien- und technikaffin und habe auch im Studium einige Belegarbeiten zu solchen Themen geschrieben, unter anderem meine Masterarbeit 2012 als empirische Studie zum Facebook-Verhalten von Jugendlichen. Dadurch bin ich zu den Fragestellungen gekommen, die sich am Schnittfeld von Medien, Technik und Gesellschaft bewegen und begann, Kontakt zu anderen Disziplinen aufzunehmen. Schließlich landete ich in einem interdisziplinären Graduiertenkolleg, in dem Sozialwissenschaften und Ifnormatik gemeinsam in Tandems arbeiteten – Und mittlerweile leite ich als Soziologe und Kulturwiussenschaftler selbst eine Arbeitsgruppe an einer Professur für Medieninformatik!

Ich halte es für eine dringende Notwendigkeit, das Reflexions- und Methodenwissen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften in Technikentwicklung und Informatik angewendet werden. Deswegen gehe ich aktiv an die Schnittstellen von Mensch-Computer-Interaktion, Sozialwissenschaften und Design, um die großen Querschnittsprobleme unserer Zeit in neuen Konstellationen zu bearbeiten.

Erzähle uns etwas über deine Arbeit!

Mein Alltag als Wissenschaftler besteht darin, wissenschaftliche Probleme und Diskurse immer wieder für unterschiedliche Gruppen anschlussfähig zu machen. Warum sollten App-Entwickler etwas über die Lebenswelt alleinlebender Seniorinnen, über deren Hobbies und sozialen Netzwerke wissen? Warum sollten Kultursoziologinnen wissen, wie maschinelle Textinterpretation von YouTube-Kommentaren funktioniert? Ich bin also fortlaufend dabei, die ganz grundlegenden Tugenden wissenschaftlichen Arbeitens in Wort und Text umzusetzen: beschreiben, verstehen, erklären. Dass ich das sowohl für Informatiker:innen können muss, als auch für Kulturwissenschaftler:innen macht die Sache manchmal etwas anstrengend, ist aber eine gute Schule, nicht in abgehobene Gedankenbauwerke abzudriften.

Und dann sind da natürlich noch die Verwaltungsarbeit und das Schreiben und Einreichen von Anträgen, die etwa ein Drittel meiner Arbeitszeit als befristet beschäftigeter Post-Doc beanspruchen.

Motivation: warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Es wird der Eindruck erweckt, wir könnten große ökologische und soziale Fragen vorrangig technisch lösen. Dem liegt ein Missverständnis zugrunde. Jede technische "Lösung" ist schon immer sozial und politisch – Sie antwortet auf ein von Menschen gestelltes Problem. Die Annahmen hinter diesen Problemen und Lösungen – und die Asymettrie zwischen Nutzenden und Entwickelnden – müssen gesellschaftlich verstanden und diskutiert werden, um eine demokratische Meinungsbildung über Digitalisierung zu ermöglichen.

Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Ich interessiere mich für Podcasting, und versuche das als Mittel der Wissenschaftskommunikation (https://www.tu-chemnitz.de/tu/pressestelle/tucscicast.php) und Lehre (https://home.uni-leipzig.de/podcastethnografie/) einzusetzen. Außerdem gründe ich derzeit mit anderen Forscherinnen ein interdisziplinäres Netzwerk zu Technologien für das Alter(n): https://www.socio-gerontechnology.net/

Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?

Leider komme ich als Elternteil von zwei Kindern und befristet beschäftigter Post-Doc zu wenig interessanten Sachen aus Arbeit und Familie – Was beides an sich ja schon hochinteressant ist Wenn sich Zeit ergibt, versuche ich etwas Sport – Radfahren und Laufen – zu machen.

Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?

Ausschlafen (ha, zuletzt 2016?), im Bett Kaffee trinken und lesen. Dann rausgehen und Freunde treffen und mindestens die Hälfte vom Tag nicht verplanen, sondern geschehen lassen.