Sunday, June 20, 2021

Psychische Gesundheit in der Kindesentwicklung - Aleksa Kaurin ist jetzt bei Real Scientists DE!

Diese Woche freuen wir uns sehr, euch unsere neue Kuratorin Aleksa Kaurin (@AleksaKaurin) vorstellen zu dürfen! Aleksa promovierte an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz, und absolvierte parallel dazu ihre Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin. Während ihrer Promotion war sie als von der Fulbright Kommission geförderte Gastwissenschaftlerin an der University of California (Riverside). Im Anschluss an die Dissertation und Approbation folgte eine kurze Episode am Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz, bevor sie für zwei Jahre an die University of Pittsburgh ging. Während dieses Aufenthalts beschäftigte sie sich vor allem damit, welchen Einfluss zwischenmenschliche Beziehungen auf das psychische Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen haben. Seit April 2021ist Aleksa Juniorprofessorin für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Universität Witten/Herdecke.

Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Fragen danach, wie wir zu denen werden, die wir sind, wie wir Krisen in unsere Biografie integrieren und welche Rolle dabei unsere zwischenmenschlichen Beziehungen spielen, haben mich schon immer fasziniert. Ursprünglich wollte ich diesem Interesse als Filmemacherin nachgehen, aber als ich an einer Filmhochschule angenommen wurde, wurde ich unsicher. Die Psychologie schien mir besser geeignet zu sein, Antworten auf meine Fragen zu finden. Gleich zu Beginn meines Bachelorstudiums habe ich als studentische Hilfskraft eine Arbeitsgruppe unterstützt, die sich mit Hochbegabtenforschung und -förderung im Kindes- und Jugendalter beschäftigte. So kam ich in ein sehr leistungsorientiertes, aber auch sehr unterstützendes Umfeld. Das war eine prägende Erfahrung, die mir dabei geholfen hat zu verstehen, dass ich mein Leben gerne in der Wissenschaft verbringen wollte.

Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden und/oder was hält dich dort?
Ich bin als Migrantin mit Kriegsfluchterfahrung in Deutschland aufgewachsen. Zu erleben wie meine Eltern, Freunde und Verwandte versuchten, in einem neuen und nicht immer freundlichen Umfeld neu anzufangen und zugleich ihre Erfahrungen zu verarbeiten – all das hat mich wahrscheinlich früh und nachhaltig für Prozesse der Krisenbewältigung sensibilisiert.
Aus wissenschaftlicher Sicht, finde ich es sehr spannend, dass die meisten psychischen Störungen ihren Beginn im späten Kindes- bzw. Jugendalter haben. Ohne adäquate Behandlung bleiben diese Störungen bis ins Erwachsenenalter bestehen und stellen somit einen bedeutsamen Risikofaktor für die Entwicklung psychischer Erkrankungen über die gesamte Lebensspanne dar. Gleichzeitig wurde lange Zeit davon ausgegangen, dass Erkenntnisse aus der Forschung zu psychischen Störungen im Erwachsenenalter ohne Weiteres auf das Kindes- und Jugendalter übertragbar seien. Das ist in vielerlei Hinsicht problematisch, vor allem aber, weil wir bei Kindern und Jugendlichen immer im Hinterkopf behalten müssen, vor welchen Entwicklungsherausforderungen sie stehen. Was ist behandlungsbedürftig und was ist im Rahmen normaler Entwicklungsverläufe zu betrachten? Was kann das Kind schon? Was muss es noch lernen? Was ist aus welchen Gründen auf der Strecke geblieben? Die Beantwortung dieser Fragen ist essenziell, um zu einordnen zu können, ob wir bestimmte Verhaltensweisen als vorübergehend und üblicherweise in bestimmten Altersgruppen auftretend einordnen, oder ob wir von einer Belastung ausgehen müssen, die einer Behandlung bedarf.

Diese Mischung aus akutem Forschungsbedarf und der besonderen Verantwortung, die uns in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zukommt, fasziniert mich. Wenn es gelingt zu verstehen, wie wir Bedürfnisse zu verschiedenen Zeitpunkten der Entwicklung therapeutisch sinnvoll aufgreifen und Menschen dabei unterstützen können, in für sie hilfreicher Weise mit Krisen und Traumata umzugehen und langfristig gestärkt und selbstbestimmt durchs Leben zu gehen – dann kann ich mir keinen schöneren Beruf für mich vorstellen.

Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Seit April dieses Jahres bin ich Juniorprofessorin für Kinder- und Jugendpsychologie an der Universität Witten/Herdecke. Meine Arbeit besteht vor allem aus Forschung, Lehre und des Aufbaus einer psychotherapeutischen Forschungs- und Lehrambulanz für Kinder und Jugendliche.
Meine Forschung beschäftigt sich mit den Schnittstellen zwischen Entwicklungs-, Persönlichkeits- und klinischer Psychologie. Mich interessiert, wie unsere Beziehungen im Kindes- und Jugendalter die Art und Weise beeinflussen, wie wir mit stressigen Ereignissen umgehen, wie diese Prozesse durch individuelle Unterschiede und psychische Störungen beeinflusst werden und welchem Wandel sie in unserer Entwicklung unterliegen. Ein zentrales Anliegen meiner Forschung besteht darin, genau zu verstehen, wie sich bestimmte Phänomene psychischer Gesundheit in Abhängigkeit des Entwicklungsstandes eines Kindes im Alltag äußern, um so ein genaues Verständnis aufrechterhaltender Mechanismen zu befördern.
Meine Lehrveranstaltungen stammen v.a. aus dem Bereich der Psychotherapieforschung aber auch der Entwicklungspsychopathologie, also desjenigen Teilbereichs der klinischen Psychologie, der bestimmte Verhaltensweisen als Resultat eines dynamischen Wechselspiels von Risikofaktoren und Ressourcen im Entwicklungsverlauf versteht. Zudem betreue ich Abschlussarbeiten, Praktika und kann hoffentlich bald auch eigene Doktorand:innen einstellen.

Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Wir alle wissen, dass es uns nicht immer gut geht, und ich halte es für sehr wichtig, ein wissenschaftlich fundiertes Verständnis für diese Episoden und ihre möglichen Ursachen zu entwickeln. Psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter werden in der Öffentlichkeit vor allem dann diskutiert, wenn es zu Eskalationen kommt oder – wie zurzeit – diskutiert wird, wie bestehende Vorbelastungen durch die COVID19-Pandemie verstärkt werden. In diesen Debatten schwingt oft eine latente Stigmatisierung der Betroffenen mit. Das macht mich nicht nur sehr traurig – es ist vor allem kontraproduktiv, denn diese Stigmatisierung erschwert eine rechtzeitige Intervention. Das ist umso gefährlicher, da Kinder und Jugendliche deutlich weniger Möglichkeiten haben als Erwachsene, sich selbst um eine adäquate Behandlung zu kümmern und auf ihre Bezugspersonen angewiesen sind. Wenn wir als Klinische Wissenschaftler:innen unsere Forschungsergebnisse in größerem Umfang in die Öffentlichkeit einbringen würden, dann könnten viele dieser Diskussionen reflektierter ausfallen.
Als Kinder- und Jugendpsychologin interagiere ich mit verschiedensten Berufsgruppen und beziehe die unterschiedlichen psychosozialen Bezüge der Kids in die Behandlung mit ein. Häufig fällt mir dabei auf, dass psychische Erkrankungen nicht mit körperlichen gleichgestellt sind, ich z.B. bei Lehrer:innen seltener auf Verständnis stoße, wenn ich erkläre, dass Schüler:innen aufgrund einer Depression nicht am Unterricht teilnehmen können.
Mit einer besseren Kommunikation unserer Forschung lässt sich diese grundlegende Skepsis und damit verbundene Irrglauben hoffentlich nach und nach ausräumen. Ich wünsche mir, dass wir auf diese Weise ein sensibles und entstigmatisierendes gesellschaftliches Umfeld schaffen können und wir langfristig einen hilfreichen, lösungsorientierten Umgang mit psychischer Gesundheit im Kindes- und Jugendalter finden.

Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Neben meiner Forschungs- und Lehrtätigkeit arbeite ich auch als Psychotherapeutin mit Kindern und Jugendlichen. Obwohl ich hierdurch de facto (noch) einen Tag in der Woche weniger zur Verfügung habe, um an meinen wissenschaftlichen Projekten zu arbeiten, fühle ich mich nach dem Tag in der Ambulanz in der Regel sehr erholt und bereichert. Das klingt vielleicht paradox. Aber es ist ein gutes Gefühl zu merken, dass meine wissenschaftliche Arbeit direkte Übersetzung im Alltag finden kann und nicht nur als Muster in abstrakten Datenmatrizen existiert.
Zudem bin ich auch als Editorin verschiedener wissenschaftlicher Zeitschriften tätig. Das sprengt meine zeitlichen Kapazitäten ab und an, aber es ist ein so gutes Gefühl sich mit aktuellen Fragen aus der Wissenschaft zu beschäftigen und zu wissen, dass man an der Gestaltung seines Feldes mitwirkt.

Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Früher habe ich auch als freie Filmemacherin gearbeitet, wozu ich durch meinen zeitintensiven Beruf nicht mehr komme. Ich werde aber immer noch gelegentlich auf mein IMDB-Profil angesprochen – zuletzt bei der juristischen Beratung im Rahmen meiner Berufungsverhandlung („Frau Kaurin, eine Frage vorab …“).
Ich liebe es außerdem, lange Waldspaziergänge zu machen, auf meinem Rennrad den Fahrtwind zu spüren oder am Ende eines langen Tages ein paar Bahnen im Schwimmbad zu ziehen. Und wenn ich an einer Bücherei vorbeikomme, dann finde ich bestimmt schnell Nachschub für meine Kinderbuchsammlung.

Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Idealerweise verbringe ich den ganzen Tag draußen und falle abends erschöpft ins Bett. Am allerliebsten bin ich dabei für eine längere Zeit unterwegs, mit wenig Gepäck und nur einem ungefähren Plan in welcher Gegend ich übernachten könnte. Ich liebe es draußen zu sein und Zeit für meine Freunde und Familie zu haben oder auch mich stundenlang mit Themen/Büchern zu befassen, die wenig mit meiner Arbeit zu tun haben. Aktuell liegen „Eure Heimat ist unser Albtraum“, „Unterleuten“ und „Deutschland und die Migration“ auf meinem Stapel.

Bitte begrüßt Aleksa ganz herzlich bei Real Scientists DE!

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