Diese Woche freuen wir uns sehr, euch unsere neue Kuratorin Katharin Tai (@katharintai) vorstellen zu dürfen! Katharin ist Politikwissenschaftlerin und freie Journalistin. Sie hat an der SciencesPo in Paris Euro-Asia Relations studiert und anschließend an der Universität Oxford ihren Master in International Relations gemacht. Aktuell promoviert sie in den USA am MIT zur chinesischen Außen- und Netzpolitik.
Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Ich habe schon in der Schule gemerkt, dass ich unheimlich Spaß daran habe, mich in komplizierte Zusammenhänge reinzuwühlen, sie zu verstehen und dann zu erklären, besonders in der Politik. Falls möglich wollte ich das mit einem Fokus auf Politik in Ostasien zu meinem Beruf machen. Damals war ich allerdings noch unsicher, ob es vor allem Arbeit zu Japan oder China werden würde. Politikwissenchaftliche Forschung ist letztendlich einer der wenigen Bereiche, in denen das wirklich möglich ist, wenn man Glück hat und nach dem Doktor einen Job findet.
Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Die Politikwissenschaft versucht im Idealfall, eine Balance zwischen belastbarer Forschung zu konkreten Fällen und der Suche nach verallgemeinerbaren Theorien zu finden, zum Beispiel: Was können wir von China darüber lernen, wie autoritäre Systeme im Rest der Welt funktionieren? Was können wir vom wirtschaftlichen Erfolg von Südkorea oder Taiwan darüber lernen, welche politischen Institutionen wichtige Bedingungen für Wirtschaftswachstum sind? Das mit der Balance klappt natürlich nicht immer, mal nimmt das Eine, mal das Andere Überhand, und es ist auch eine echte Herausforderung, diesen Sweet Spot zu finden. Aber insgesamt finde ich es einen guten Ansporn, sich zu fragen, inwieweit wir allgemeine Muster in der Politik finden können.
Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Ich bin gerade im 4. Jahr meines Doktors und versuche, herauszufinden, wie genau ich mein Dissertations-Thema am besten konzipiere und empirisch angehe - besonders, da Feldforschung in China gerade nicht möglich ist. Allgemein arbeite ich zwischen den Feldern Internationale Beziehungen und Vergleichende Politikwissenschaft mit einem Fokus auf Netzpolitik in China, Taiwan und Hongkong. Ich interessiere mich besonders für die Integration von Technik in bestehende Politik und Institutionen, die Beziehung und die Interaktionen von Staat und Gesellschaft, insbesondere die Rolle bürokratischer Systeme, und das gesamte Subfeld zu autoritären (und hybriden) politischen Systemen. Zum Beispiel habe ich gerade eine Chicago bei einer Konferenz ein Paper zur historischen Entwicklung der chinesischen Definition von “Cybersecurity” vorgestellt, in der ich mir vor allem die 90er Jahre anschaue.
Mein Alltag besteht aktuell aus drei Teilen: Dissertation, einem Seminar, das ich belege, und einem Forschungsprojekt, bei dem ich eine Professorin am MIT unterstütze. Die Arbeit für die Dissertation ist eine Mischung aus dem Durchsuchen von historischen und aktuellen chinesischen Quellen, von 1949 bis heute, und dem Suchen, Säubern und Nutzen von diversen Datensätzen, wie z.B. der ethnischen Zusammensetzung verschiedener chinesischer Städte. Hinzukommt eine gute Portion existentielle Krise bei der Suche nach der richtigen Forschungsfrage. Für das Seminar lese ich jede Woche mindestens zwei Bücher (eins über China, eins aus der vergleichenden Politikwissenschaft aus dem gleichen Themenbereich) und fahre einmal pro Woche mit dem Rad zum Seminar nach Harvard. Für das Forschungsprojekt lese ich gerade vor allem Sekundärliteratur und recherchiere Primärquellen aus den letzten 100 Jahren deutscher Politik.
Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Die Politikwissenschaft zu autoritären Regimen allgemein und zu chinesischer Politik im Besonderen ist überraschend oft kontraintuitiv im Vergleich zu hergebrachten, akzeptierten Weisheiten zu diesen Gebieten außerhalb der Politikwissenschaft - manche Sachen, von denen man glaubt, sie zu wissen, stellen sich bei genauerem Hinsehen manchmal als ganz anders oder viel komplizierter heraus, als man das oft im öffentlichen Diskurs mitbekommt. Solche Missverständnisse können dann Auswirkungen auf Politik haben, z.B. wenn es um den Umgang mit China als aufsteigender Weltmacht geht, oder lassen auch viele Menschen mit einem verzerrten, vereinfachten Bild von einem sehr komplizierten Land zurück. Ein gutes Beispiel was die allgemeine Wahrnehmung angeht ist die Forschung über die chinesischen Internetzensur, die viele Annahmen, die mir dazu in Deutschland oft begegnen, widerlegt: Die Politikwissenschaftlern Margaret Roberts hat herausgefunden, dass die Bestrafung von Leuten für das Posten kritischer Aussagen eine viel kleinere Rolle spielt als z.B. das Schaffen von kleinen Hürden, die es einfach nervig, aber nicht unmöglich machen, bestimmte Webseiten zu nutzen - und das reicht oft, um viele Menschen davon abzuhalten, diese Seiten aufzusuchen. Ein anderes Beispiel ist die Forschung dazu, wie Wahlen autoritären Regierungen helfen, an der Macht zu bleiben - weil Wahlen allein eben noch lange keine Demokratie ausmachen.
Natürlich sind komplizierte, nuancierte Theorien auch viel schwieriger zu vermitteln als einfache Narrative und erfordern etwas mehr Zeit, um sie zu durchdringen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Aber ich glaube, dass es sich lohnt, sich mit der Literatur zu autoritärer Politik auseinanderzusetzen - sei es nur für den Überraschungsfaktor, oder weil es eben auch an sich interessant ist, wie Politik in unterschiedlichen politischen Systemen funktioniert.
Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Wenn der Doktor nicht gerade Überhand nimmt, schreibe ich auch journalistisch über China, Taiwan und Hongkong und betreibe mit einem Freund und Kollegen den Fernostwärts-Podcast und Newsletter über die gleiche Region.
Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
In meiner Freizeit gehe ich mehrmals die Woche zum Taekwondo. Außerdem coache ich das taiwanesische Schuldebattierteam im World Schools-Stil.
Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Ausschlafen, in Ruhe frühstücken, draußen in der Sonne irgendetwas mit Lieblingsmenschen unternehmen, abends kochen oder essen gehen, dann noch etwas lesen.
Bitte begrüßt Katharin ganz herzlich bei Real Scientists DE!
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