Hier ist Michael in seinen eigenen Worten...
Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Ich hatte schon immer ein technisch, naturwissenschaftliches und mathematisches Grundinteresse. Insbesondere hat mich die mathematische Herangehensweise fasziniert. Wir können die Natur beschreiben, diese Beschreibung mit mathematischen Mitteln umändern und dann Gesetze erhalten,
die wirklich wieder die reale Natur widerspiegeln. Eigentlich verrückt, wenn man bedenkt, dass die Mathematik auch nur ein von Menschen erdachtes Gedankenkonstrukt ist. Diese Faszination hat mich zunächst ins Physik-Studium getrieben. Bei der Wahl meines Schwerpunktes habe ich mich für theoretische Neurowissenschaften („Gehirnforschung“) entschieden. Nein, das ist nicht unüblich, Physiker sind häufiger in den Neurowissenschaften vertreten, als man denkt. Leider ist das Gehirn weniger gut verstanden als die Physik und somit sind die theoretischen Beschreibungen auch eher „messy“ im Vergleich zur Physik. Jegliche Theorie benötigt erst einmal eine solide Datenlage und so war meine Schlussfolgerung, dass ich experimentelle Erfahrungen sammeln sollte. Seit Ende 2012 bin ich nun in der Forschungsgruppe Sensomotorik, geleitet von Alexander Gail, am Deutschen Primatenzentrum in Göttingen. Dort habe ich im letzten Jahr meine Promotion beendet.
Naja, grundsätzlich wollte ich ja „das Gehirn verstehen“. Das ist eine Phrase, die jeder sagt, der etwas mit Gehirn oder Nervenzellen zu tun hat, egal ob Psychologe, Mikrobiologe oder Informatiker. Da ich einen eher mathematisch-technischen Hintergrund habe, bin ich in den „Systemischen Neurowissenschaften“ gelandet. Das bedeutet, ich interessiere mich eher für abstraktere Beschreibungen des Systems „Gehirn“ als den biologischen Details.
Zudem ist es faszinierend, dass sich komplizierte kognitive Prozesse, schon in einfachen Bewegungen widerspiegeln. Da ja Fußball-WM ist, nehme ich als Beispiel einen Elfmeterschützen: Eigentlich muss der nur einmal gegen den Ball treten. Aber um auch ein Tor zu erzielen, muss der Schütze im Laufen seinen Schuss planen, den Fuß koordinieren, die Ballposition beachten, die Torwartposition beachten, die Torwartbewegungen antizipieren, und und und… Der Forschungsbereich „Sensomotorik“ beschäftigt sich damit, wie das Gehirn Sinnesreizen verarbeitet, um daraufhin eine Bewegung auszuführen. In dem wir einfache Bewegungsabläufe und die dazu gehörige Gehirnaktivität studieren, können wir also verschiedene kognitive Prozesse im Gehirn untersuchen. Das fand ich spannend.
Wie gesagt, wir untersuchen, wie das Gehirn sensorische Informationen verarbeitet, um eine Bewegung zu planen und auszuführen. Jetzt zeigt das Beispiel des Elfmeterschützens, dass viele Prozesse gleichzeitig ablaufen. Das macht es nahezu unmöglich gemessenen Daten zum richtigen Prozess zuzuordnen. Das heißt, wir benötigen streng kontrollierte Laborbedingungen mit sehr einfachen und minimalen Bewegungen. Üblicherweise werden bei uns, und ähnlichen Laboren, Armbewegungen in abgedunkelten Räumen untersucht. Probanden erhalten nur die nötigen Sinnesreize und müssen ganz bestimmte Bewegungen ausführen. Das ermöglicht es, Verhaltensprozesse zu isolieren und zu studieren. Der Nachteil ist allerdings, dass wir es damit schwer haben, das große Ganze im Gehirn zu verstehen. Das Gehirn ist schließlich so effektiv, da es viele Prozesse parallel ausführt und nicht nacheinander wie ein Computer.
Während wir in den letzten Jahren einiges Wissen angehäuft haben, wie das Gehirn Armbewegungen kontrolliert, beschränkt sich das fast ausschließlich auf Armbewegungen im Sitzen. Wir haben so gut wie keine Ahnung, wie das Gehirn Armbewegungen im Laufen plant und kontrolliert. Laufen und gleichzeitig nach etwas Greifen, oder am Kopf kratzen ist ja nicht gerade etwas, was wir selten machen. Da das allerdings kaum erforscht ist, musste ich zunächst komplett neue Experimentierumgebungen entwickeln. Tatsächlich bestand ein großer Teil meiner Doktorarbeit aus Löten, Schaltkreise designen, 3D-drucken, Kontrollsoftware programmieren und alles zusammenzuschrauben.
Um Laufen und Greifen zu untersuchen, habe ich zwei experimentelle Umgebungen entwickelt. Eine für menschliche Probanden. Ich habe da untersucht, wie Menschen Vibrationsreize an der Hand gleichzeitig mit Lichtreizen an einem Objekt wahrnehmen, während sie mit der Hand zu diesem Objekt hinlaufen und danach greifen. Wie das Gehirn Sehsinn und Tastsinn miteinander abwägt, hängt damit zusammen, wie weit das Objekt entfernt ist und ob Bewegungen geplant sind. Da die Reize und der Abstand des Objektes von mir kontrolliert werden, kann ich Rückschlüsse auf die Bewegungsplanung machen.
Gleichzeitig möchte ich aber auch „sehen“ was im Gehirn vorgeht. Das Gehirn selber ist ein Netzwerk aus vielen Milliarden Nervenzellen. Um Rückschlüsse auf einzelne Gehirnregionen zu machen, müssen wir auch die Aktivität einzelner Nervenzellen betrachten. Das geht leider nur invasiv und in der Regel (von sehr speziellen Umständen abgesehen) nicht im Menschen. Daher sind Tierversuche notwendig. Da zielgerichtete Armbewegungen eine Spezialität von Primaten sind, arbeiten wir hier mit Rhesus Affen. Ich habe eine experimentelle Umgebung entwickelt, in der ich Affen mit Belohnungen darauf trainiert habe, von einer festgelegten Stelle im Käfig zu einem Objekt zu laufen und nach dem Objekt zu greifen. Dabei habe ich ein System, mit dem ich die Aktivität einzelner Nervenzellen im Gehirn des Affen vor und während der Bewegung messen kann.
Tierversuche bedeuten eine besondere Verantwortung. Ethisch und rechtlich gibt es klare Prinzipien Richtlinien. Unter anderem haben wir die Verantwortung den Tieren eine möglichst angenehme Umgebung zu liefern. In unserer Abteilung haben wir daher eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die sich ausschließlich damit beschäftigt, das Wohlergehen der Tiere zu quantifizieren und zu verbessern. Im Zuge dieser Gruppe habe ich daran gearbeitet das Tiertraining zu automatisieren, in dem sich die Schwierigkeit der Aufgabe automatisch an das Können des Tieres anpasst. Das fordert die Tiere aber überfordert sie nicht. Gleichzeitig haben wir ein System entwickelt, dass Teile des Trainings nicht in der experimentellen Umgebung, sondern in der vertrauten Heimatumgebung durchgeführt werden können.
Darauf habe ich eine eher generelle und eine eher speziellere Antwort.
Generell, denke ich, dass ein großes Interesse der Öffentlichkeit an der Funktionsweise des Gehirns besteht. So ein Ding hat ja auch jeder von uns im Kopf. Die Schwierigkeit ist es, dass es unglaublich viele verschiedene Forschungsrichtungen innerhalb der Neurowissenschaften gibt. Jede Einzelne hat ihre Daseinsberechtigung aber auch ihre Grenzen. Möchten man also mehr über das Gehirn erfahren, macht es Sinn, vielen verschiedenen Neurowissenschaftlern zuzuhören. Das bedeutet allerdings auch, wenn jemand daherkommt und sagt: „Ich erzähle dir jetzt die ganze Wahrheit wie das Gehirn funktioniert.“, dann darf man ruhig skeptisch sein, ob das so stimmt.
Im Speziellen wollte ich mit meiner Forschung auch einer konkreten Anwendung zuarbeiten: der Gehirn-Maschine-Schnittstelle. Gehirn-Maschine-Schnittstellen haben z. B. das Potenzial das Querschnittsgelähmte oder Patienten mit amputierten Gliedmaßen wieder Bewegungen durch Roboterprothesen zurückerlangen. Das klingt jetzt sehr nach Science-Fiction (ist es auch ein Stück weit noch), aber mittlerweile gibt es schon die ersten Firmen, die direkt an Anwendungen arbeiten.
Ich gehöre zum Organisationsteam des „March for Science Göttingen“. Wir sind eine recht engagierte und heterogene Gruppe und da Göttingen eine Wissenschaftsstadt ist, erhalten wir viel Unterstützung von Stadt, Uni und Forschungsinstituten. So macht Wissenschaftskommunikation besonders Spaß.
Während meiner Promotion habe ich die Zeitschrift „GGNB-Times“ mit aufgebaut. Das ist die offizielle Zeitschrift der Graduiertenschule „GGNB“ von und für Studenten.
Außerdem bin ich noch bei Pro-Test Deutschland (@ProTestDE) tätig. Das ist eine unabhängige Gruppe aus jungen Wissenschaftlern, wissenschaftlichem Personal und Studenten, die eine offene und objektive Debatte über Tierversuche voranbringen möchten. Viele der Mitglieder machen oder haben Zugang zu Tierversuchen und nutzen ProTest als Plattform, um über die eigenen Ansichten aus erster Hand berichten zu können. Gleichzeitig versuchen wir wissenschaftliche Institutionen zu motivieren, offenen über die eigenen Experimente zu reden, um die Diskussion auf Tatsachen und nicht auf Mythen zu konzentrieren.
Seit vielen vielen Jahren fechte ich, Säbel um genau zu sein. (Sportfechten, kein „Studentenfechten“! Das ist ein großer Unterschied.) Früher habe ich noch regelmäßiger im Verein gefochten und war auch bei ein paar Deutschen Meisterschaften dabei. Mittlerweile bin ich eher unregelmäßig im Studentensport in Göttingen aktiv.
Für ein halbes Jahr habe ich in Göttingen am „Theater im OP“ (@Theater_im_OP) als Schauspieler mitgemacht. Ich hätte gerne noch mehr gemacht, aber Theater ist zeitaufwendig und es kamen so Kleinigkeiten wie „Doktorarbeit-Schreiben“ dazwischen…
Gegen halb acht aufstehen, damit ich um neun Uhr auf der Skipiste bin; bis vier Uhr Skifahren; ein gutes Abendessen kochen und den Abend gemütlich ausklingen lassen. Das Ganze mit meiner Freundin versteht sich. Da die Berge weit weg sind, kommt das leider nicht so häufig vor. Aber auch Tage ohne Skifahren können sehr schön sein 😊.
Bitte begrüßt Michael ganz herzlich bei Real Scientists DE!
Bitte begrüßt Michael ganz herzlich bei Real Scientists DE!
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