Mit großer Vorfreude möchten wir euch unsere neue Kuratorin Nora Raschle (@bornascientist) vorstellen! Nora ist studierte Neuropsychologin und hat an der Universität Zürich über frühe Vorzeichen von Legasthenie promoviert. Nach mehreren Jahren als Postdoc am Boston Children’s Hospital und der Harvard Medical School zog sie zurück in die Schweiz und forscht seither an der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Abteilung der Universitären Psychiatrischen Kliniken in Basel. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der Gehirnentwicklung von Kindern und Jugendlichen, insbesondere im Hinblick auf die soziale, emotionale und sprachliche Entwicklung.
Auf https://bornascientist.com/ betreibt Nora einen Blog, oder besser gesagt: eine bunte Plattform mit dem Ziel, Neurowissenschaft verständlich zu kommunizieren. Hier ist Nora in ihren eigenen Worten:
Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Ich war schon immer fasziniert vom Gehirn und der Idee herauszufinden, wie dieses Organ unser Handeln und unsere Gedanken beeinflusst. Wie wir Verhalten und Fähigkeiten lernen, aber auch, weshalb das nicht bei jedem gleich abläuft und welche Konsequenzen dies haben kann. Nach einem Grundstudium in Psychologie habe ich mein Lizentiatsstudium in Neuropsychologie an der Universität Zürich abgeschlossen. Für meine Masterarbeit reiste ich ins Ausland und führte als sogenannter „Visiting Scholar“ eine Forschungsstudie mittels transkranialer Gleichstromstimulation im Bereich der Tonverarbeitung am Beth Israel Deaconess Medical Center und Harvard Medical School Boston (USA) durch.
In den Anfängen der Neuropsychologie lernten man über die Funktion des Gehirns durch einzigartige Fallstudien. Nicht weit von meinem damaligen Arbeitsplatz entfernt befindet sich eines der wohl bekanntesten Relikte einer Fallstudie aus dem Gebiet der Neurowissenschaften; der Schädel von Phineas Gage. Eine Eisenstange hatte sich bei einem Arbeitsunfall durch dessen Gehirn gebohrt. Überlebt hat er dies, aber seine Persönlichkeit und sein Verhalten veränderten sich komplett. Solche und weitere Studien bildeten die Grundlage unseres Verständnisses, dass Verhalten durch unterschiedliche Gehirnregionen gesteuert werden muss. Zum Zeitpunkt meines Lizentiatsabschlusses (Ende 2007) gab es verschiedenste immer bessere Methoden, welche Vorgänge des Gehirnes räumlich oder zeitlich darstellen konnten. Die Magnetresonanztomographie (MRT), eine nicht invasive und sichere Methode, ermöglicht Einblicke in die Struktur und Funktion des Gehirnes, und faszinierte mich daher am meisten.
Im Team von Prof. Nadine Gaab (Laboratories of Cognitive Neuroscience, Children’s Hospital & Harvard Medical School Boston) bekam ich die Möglichkeit diese Methode von Grund auf zu erlernen und anzuwenden. Dabei habe ich mich speziell für die pädiatrische Bildgebung interessiert. Das heisst, wie man mit Hilfe von MRT das sich typisch und atypisch entwickelnde Gehirn darstellen kann. Als Doktorandin und später als Postdoc habe ich die verhaltensbezogenen und neuronalen Korrelate von Kindern mit einem Risiko für Dyslexie untersucht. Dabei ging es darum aufzuzeigen, ob die Gehirnstruktur und Funktion uns genauere Informationen über die Entstehung dieser entwicklungsbezogenen Sprachschwierigkeiten aufzeigen lassen. Meinen Doktortitel verteidigte ich erfolgreich im Jahr 2011 an der Universität Zürich, nur kurze Zeit nachdem ich Mutter von Zwillingen geworden bin, ein neues Universum an Erfahrungen.
Nach sechs Jahren Forschungsarbeiten an der US-Ostküste bin ich 2013 mit meiner Familie zurück in die Schweiz gezogen. Seither arbeite ich in Basel als Wissenschaftlerin an der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Abteilung der Universitären Psychiatrischen Kliniken. Dort bin ich für die bildgebungsbezogenen Studien (Magnetresonanztomographie) zur Untersuchung der Hirnentwicklung bei Kindern und Jugendlichen zuständig.
Die pädiatrische Bildgebung bringt eine ganz einzigartige Faszination und neue Herausforderungen mit sich. Faszinierend, da immer noch relative wenig über die frühen Entwicklungsprozesse bekannt ist. Lange wurde das Gehirn mehrheitlich bei Erwachsenen erforscht. Dafür gibt es sowohl technisch bedingte als auch praktische Gründe. Herausfordernd ist dabei der Umgang mit den Kindern, der immer auch den Einbezug der Familien beinhaltet.
Das Verständnis für bildgebende Methoden und die Wichtigkeit dieser Untersuchungen für Forschungszwecke müssen dabei auf einfache und verständliche Weise kommuniziert werden. Das sollte auch immer Spass machen. Bei uns werden Kinder selber zu kleinen Forschern. Sie helfen uns zu verstehen wie Verhaltensweisen gelernt wird, manchmal auch was diese schwierig macht. Nur dank ihrer Teilnahme wissen wir, wie sich das menschliche Gehirn entwickelt. Wenn wir verstehen, wie Kinder lernen und die Welt wahrnehmen, dann können wir in einem weiteren Schritt auch versuchen zu verstehen, weshalb dies nicht jedem Kind gleich gut gelingt. Weshalb es in der Entwicklung Verzögerungen geben kann oder Verhaltensweisen entstehen, die zu einer starken Belastung für das Kind oder seine Umgebung werden können.
Forschungsstudien mit Kindern werden bei uns sehr spielerisch und mit viel Fantasie umgesetzt. Diese Kombination von naturwissenschaftlichem Arbeiten und Kreativität haben für mich besonderen Anreiz. Für meine Doktorarbeit habe ich Stunden meiner „Freizeit“ investiert, um kinderfreundliche MRT-Aufgaben, kurze Filme und attraktives Studienmaterial zu entwickeln. Die Laborarbeit beinhalteten dann aber auch viel programmieren, schreiben und technische Arbeiten. Die Kombination von naturwissenschaftlichem Vorgehen und Kreativität war zu gleichen Teilen entscheidend für den Start von erfolgreichen Studien im Bereich der Gehirnentwicklung.
Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Die Forschungsarbeit besteht meist aus verschiedenen Schritten: (1) das Entwerfen einer Studie und Einwerben von Drittmitteln, (2) Einholen von Ethikbewilligungen für den eigentlichen Versuch, (3) Studienvorbereitung, Rekrutieren und Testen, (4) Analysieren, Auswerten und Interpretieren, (5) Präsentation von Resultaten an Konferenzen und das Schreiben von Manuskripten. Mittlerweile hat sich meine Arbeit weg von der eigentlichen Durchführung von Studien hin zur Betreuung und mehr administrativen Arbeiten verschoben. Bei mir ist das zurzeit so, dass ich Doktoranden und Postdocs betreue, Verantwortungen für das Team trage, Entscheidungen treffe, Anträge schreibe, Analysen durchführe und betreue, Artikel schreibe und immer weniger in der praktischen Durchführung der Studien und dem eigentlichen Testen involviert bin.
Inhaltlich führe ich Studien im Bereich der Sprach- und Emotionsentwicklung bei Kindern im Vorschul- bis Jugendalter durch. Diese Entwicklung wird in Bezug zur psychischen Gesundheit und schulischem Erfolg sowie dem zwischenmenschlichem Funktionieren untersucht. Wir studieren die Hirnentwicklung sowohl bei gesunden Kindern und Jugendlichen als auch bei Kindern und Jugendlichen mit entwicklungsbezogenen Schwierigkeiten (z.B. Dyslexie) oder klinischen Diagnosen wie zum Beispiel der Störung des Sozialverhaltens.
Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Die Entwicklung des menschlichen Gehirnes ist ein Prozess, der zum Teil genetisch bedingt ist, aber auch stark von unserer Umwelt geprägt wird. Die Grundbausteine für menschliches Verhalten werden in der Kindheit gelegt. Negative Erfahrungen können lebenslange psychische und physische Konsequenzen mit sich bringen. Ein besseres Verständnis dieser Prozesse hilft uns, frühzeitig und richtig zu intervenieren. Verhaltensbezogene und mentale Erkrankungen haben Konsequenzen, welche weit über das betroffene Kind hinausreichen. Die Erkrankung eines Kindes betrifft die ganze Familie, deren Umgebung (z.B. das Schulsystem), kann finanzielle Mehrkosten für die Gesellschaft bedeuten und in der Summe auf globaler Ebene spürbar sein.
Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
In meiner Freizeit führe ich einen Blog (www.bornascientist.com) welcher sich die Wissenschaftskommunikation zum Ziel gesetzt hat. Dabei soll Forschung aus meinem Bereich auf verständliche und kreative Art und Weise an alle vermittelt werden. Denn Forschung soll für alle sein und unbedingt über die Grenzen eines Labors hinaus von Nutzen sein.
Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Auch wenn es schwierig scheint, auch Wissenschaftler sollten sich Zeit für Hobbies und Freizeit nehmen. Ich bin Mutter dreier Kinder (nicht mein Hobby, aber Leben) und Wissenschaftlerin. Wenn sich etwas freie Zeit ergibt, male ich sehr gerne. Das Malen hat sich in der Zwischenzeit auch aufs Illustrieren und Comiczeichnen ausgeweitet; tatsächlich male ich so ziemlich auf alles was mir zwischen die Finger kommt: Bilder, Gesichter, Kuchen,… Sport gibt mir die Möglichkeit für einen Ausgleich und ist damit sehr wichtig. Früher war ich sicherlich aktiver (Volleyball, Snowboarding, Joggen etc.). Heute halten mich die Kinder auf Trab. Zum Ausgleich gehe ich abends gerne mal Klettern. Dabei kann man komplett abschalten und den Kopf woanders haben.
Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
(1) Ausschlafen, (2) Pancakes mit Erdbeeren, Schlagsahne und Kaffee, (3) mit den Kids zu alten Hits durch die Wohnung tanzen, (4) aktiv sein: Wandern, Schwimmen, Spielen, (4) Essen mit Familie und Freunden, (5) TV & malen
Bitte begrüßt Nora ganz herzlich bei Real Scientists DE!
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