Wir freuen uns extrem, Juliane Bienert (@julianebien) als neue Kuratorin bei Real Scientists DE begrüßen zu dürfen. Juliane hat Germanistik und Komparatistik an der Ruhr-Universität Bochum studiert und promoviert aktuell in der Germanistischen Mediävistik zu verbindlichen Sprechakten und Geschlechterrollen in Erzähltexten des Hochmittelalters. Seit Ende ihres Masters arbeitet sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte an den Universitäten in Bonn und Bochum. Abseits von der Forschung schlägt ihr Herz für die Wissenschaftskommunikation und die Hochschuldidaktik, wobei sie immer auf der Suche nach kreativen und möglichst inklusiven Wegen der
Vermittlung ist.
Auch Juliane blieb nicht von unseren üblichen Fragen über sie selbst verschont. Und ihre Antworten waren super interessant:
Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Ich bin mit der Motivation ins Literaturstudium gegangen, von der
einem eigentlich alle (zumindest, wenn es nach meinen Lehrkräften geht,)
abraten: ich lese unheimlich gerne und habe mich schon zu Schulzeiten
schriftlich in allen möglichen Bereichen - auch den Analysen im
Deutschunterricht - ausgetobt. Einen konkreten Berufswunsch hatte ich
nicht, auch wenn ich das Verlagslektorat, wie wohl fast jede Leseratte,
spannend fand. Ich habe mich gleich in der ersten Uni-Woche in meine
Studienfächer verliebt und habe so viele Kurse extra gewählt, wie mir
möglich war. Besonders angetan hat es mir die Literatur des Mittelalters
und durch einen großartigen Dozenten (den ich jetzt meinen
Promotionsbetreuer nenne) habe ich das nötige Selbstbewusstsein
gewonnen, um mich nicht nur für einen Master of Arts, sondern auch für
eine Promotion zu entscheiden. Wie ich also in der Wissenschaft gelandet
bin? Ich wollte einfach mehr noch mehr lernen.
Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Die Germanistische Mediävistik ist ein kleines Fach, wenn man
bedenkt, dass es an vielen Unis, auch in NRW, kein Teil des
Germanistikstudiums mehr ist. Im ersten Semester habe ich diese fremde
Sprache verabscheut und kann heute mit Stolz behaupten, die Schlechteste
im Grundkurs gewesen zu sein. Doch sobald es literaturwissenschaftlich
wurde und ich in die Welt der maeren, Ritter und edlen Damen eingetaucht
bin, konnte ich sozusagen "hinter das Klischee" blicken. Wir haben alle
irgendwie ein Bild im Kopf, wenn wir an das Mittelalter denken - den
Ausdruck "finsteres Mittelalter" haben sicherlich viele schon gehört
oder gesagt. Ich habe über das Studium und darüber hinaus immer wieder
festgestellt, wie bunt und farbenfroh diese Epoche eigentlich ist und
wie wertvoll die Beschäftigung mit den Stoffen auch für aktuelle
Debatten und Krisen sein kann. Das hat mich letztendlich gehalten: ich
möchte nicht nur Studierende davon überzeugen, dass es sich lohnt, diese
scheinbar verstaubten Texte zu lesen - oder zumindest denen zuzuhören,
die sie spannend und mit viel Herzblut übersetzen, bewahren und
vermitteln.
Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Meine Forschung beschäftigt sich grob gesagt mit dem Einfluss
verbindlicher Sprechakte (z.B. einem Versprechen, Eid oder Schwur) auf
die Geschlechterrollen in mittelalterlichen Erzähltexten des 12. und 13.
Jahrhunderts. Ich untersuche das Geflecht, in dem diese Art der
verbindlichen Kommunikation stattfindet - das bedeutet, dass ein
Versprechen nicht einfach nur eine reine Sprachhandlung ist, sondern
immer auch in kulturelle, gesellschaftliche und allgemein soziale
Normen, Werte und Regeln eingebunden ist. Dazu gehören auch
Geschlechterrollen, die in der Literatur, die ich analysiere, gar nicht
so starr und festgezogen sind, wie man es vom Mittelalter vielleicht
denken würde. Auch Alleinherrscherinnen und listige Zofen spielen eine
große Rolle! Nachweisen möchte ich am Ende nicht nur, dass verbindliche
Kommunikation Geschlechterrollen beeinflusst, sondern ich möchte
aufzeigen, inwiefern verbindliches Sprechen dazu führt, dass
erzählerisch mit Geschlechterrollen umgegangen werden kann - meine These
(, die sich zum jetzigen Zeitpunkt schon mehrfach bestätigt hat) ist,
dass verbindliche Sprechakte Geschlechterrollen aufbrechen, verändern
und neu prägen.
Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Weil das Mittelalter so viel mehr vorweisen kann als Ritter und
Burgfräulein! Wusstet ihr zum Beispiel, dass auch in dieser Epoche
queere Identität Teil der Literatur gewesen ist? Oder dass Frauen
durchaus auch alleine herrschen konnten? Oder dass die Hexenverfolgung
hauptsächlich gar nicht im Mittelalter stattgefunden hat? Mein eigener
Anspruch ist in erster Linie, Stereotype und Vorurteile aufzubrechen und
den Facettenreichtum der Literatur des Mittelalters nicht nur in meiner
Forschung, sondern auch in meiner Lehre und Wissenschaftskommunikation
abzubilden. Das Mittelalter - genauer: die Literatur des Mittelalters -
bietet so viele Anknüpfungspunkte für die "großen Fragen" unserer Zeit
und ich wünschte mir, dass wir - Innovation und "Technologieoffenheit"
in allen Ehren - öfter auch einen Blick zurückwerfen und uns die
Errungenschaften und komplexen Diskurse dieser scheinbar fremden Zeit
vor Augen führen.
Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Neben einem anspruchsvollen Uni-Alltag blieb in den letzten zwei
Jahren nicht viel Zeit (und Energie) für andere Tätigkeiten. Trotz allem
bin ich seit Beginn meines Bachelors motivierte Hobby-Bloggerin - hier
hat meine Leidenschaft für Wissenschaftskommunikation schon angefangen,
indem ich allen, die mitlesen, von meinem Studium berichtet habe. Gerade
über die Komparatistik - ein kleines Fach, meiner Meinung nach ein oft
zu verborgener Schatz unter den Studiengängen - gab es, als ich mich
nach einem Ausbildungsweg umgesehen habe, kaum Informationen. Da habe
ich mir gedacht: dann mache ich das eben! Seit Anfang des Jahres 2023
bin ich außerdem hin und wieder ehrenamtlich tätig und helfe Kindern und
Jugendlichen als Kursbegleitung bei der Junior-Uni.Ruhr dabei, Freude an
den unterschiedlichsten Themengebieten zu entwickeln.
Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Ich bin passionierte Querflötistin - wenn auch nicht auf
Profi-Niveau, dann doch lange Jahre als Hobby. Angefangen habe ich zu
Beginn des Gymnasiums und habe viele Jahre in zwei Orchestern (unter
anderem an der Ruhr-Uni) gespielt. Das Gemeinschaftsgefühl, wenn mit
zahlreichen verschiedenen Instrumenten ein Stück Form annimmt, ist
unbeschreiblich und auch wenn ich aktuell keine Zeit fürs Orchester und
die langen Wochenendproben habe, werde ich die Querflöte nie ganz aus
der Hand legen, sondern bewahre sie mir aktuell im zum Glück sehr
musikalischen Familienkreis.
Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forschende sind ja auch nur Menschen)
Ich bin nicht unbedingt fürs Ausschlafen bekannt, daher beginnt ein
freier Tag bei mir in der Regel um 9 Uhr. Runterkommen kann ich am
besten bei einem Spaziergang mit dem Hund, beim stundenlangen Lesen oder
wenn ich mit der besten Freundin durch die zum Glück sehr grüne
Heimatstadt schlendere. Egal ob 30 Grad oder 0, der Tag beinhaltet immer
eine Tasse heißen Tee.
Bitte begrüßt Juliane ganz herzlich bei Real Scientists DE!
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