Wir freuen uns diese Woche auf unsere neue Kuratorim Susanne Wosnitzka (@ Donauschwalbe)! Susanne ist Musikwissenschaftlerin und Wieder-Glänzend-Macherin: die gelernte Schreinerin und Möbelrestauratorin studierte Musikwissenschaft in Augsburg und arbeitet die Geschichte von Frauen in der Musik auf. Derzeit ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Archiv Frau und Musik Frankfurt/Main (größtenteils online) tätig. Zudem arbeitet sie ehrenamtlich im wissenschaftlichen Beirat von KVAST (schwedische Komponistinnen-Society) und der Deutschen Mozart-Gesellschaft und ist ehrenamtliche Mitvorstandsfrau im Verein musica femina münchen.
Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Ein weiter und steiniger Weg: Aus einem Nicht-Akademiker:innen-Haushalt (aber mit Faible für Chorgesang und sehr an Geschichte interessierten Eltern, die meine Schwester und mich in jedes Heimatmuseum, auf jede Burg, zu jedem Chorfest und Wertungssingen mitnahmen) über Hauptschule (verheerendes Lernumfeld), geglückter Wechsel auf Realschule, danach Ausbildung zur Schreinerin, wegen unguter Arbeitsverhältnisse nach Arbeitslosigkeit eine Weiterbildung in Möbelrestauration. Darin lernte ich handwerklich mehr als in drei Jahren Ausbildung und stellte fest, dass ich nicht mit neuem Holz arbeiten möchte, sondern mit altem. Als ich das erste Mal erlebt habe, wie ein völlig zerschundenes Möbelstück, dem ich gleichsam neuen Schellack zu trinken gab, wieder zum Leben erweckte, wollte ich genau das: Alten Stücken wieder eine Bedeutung geben. Allerdings war der Job unterbezahlt und für ein Studium der Möbelrestauration hätte ich so noch weitere zwei Jahre auf Ausbeutung arbeiten müssen oder sowieso das Abitur gebraucht. Also Abi nachholen innerhalb zwei Jahren auf einer technischen Oberschule mit zweiter Fremdsprache, währenddessen Arbeit in einem kleinen Theater, in dem ich bühnen- und beobachtungstechnisch ‚Sehen‘ lernte, dann über ‚zufällige‘ Verkettungen das Studium der Musikwissenschaft in Augsburg (Nebenfächer Klassische Archäologie, Europäische Ethnologie/Volkskunde und Kunstgeschichte): Magistra Artium. Danach fand ich Arbeit bei einem Violinwettbewerb als Leitungsassistenz, es trudelten die ersten Aufträge und die Idee zur Dissertation ein und ich machte mich selbstständig, weil ich keinen Platz an der Uni fand bei ca. 10 Doktorand:innen.
Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Für mein aktuelles Feld – die feministische Musikwissenschaft – habe ich mich nicht entschieden, sondern es hat sich mich eher ausgesucht, weil ich dieses Gespür habe, aus unscheinbaren Dingen wieder etwas Schönes herzustellen. Dieses Credo zieht sich durch meine ganze Arbeit, bin ich zur Forschung nach ‚vergessenen‘ bzw. von herkömmlicher Musikwissenschaft oft gar nicht beachteten Komponistinnen gekommen. Weil an der Uni dazu kaum gelehrt wurde, entwickelte ich im Studium meine eigene Vorlesungsreihe und dachte mir, ob es überhaupt möglich sei, eine ganze Reihe nur zu Komponistinnen zu machen. Ich dachte: „Es muss eigentlich nichts dazu geben, denn sonst würde es doch im Fach Musik gelehrt werden!“ Als ich dann recht schnell feststellte, dass es dazu seit mehr als 40 Jahren fundierteste Forschung, Publikationen, Noten und Musik gab, wurde ich wütend. Und noch wütender, als ich erstmals Lieder von Fanny Hensel hörte: Mit einer dermaßen Brillanz, dass ich mich fragte, wie man das alles nicht kennen oder nicht beachten könne. Mit meiner Reihe hatte ich so großen Erfolg, dass ich damit zu tingeln anfing auch in Kulturzentren. Durch eines davon in Kempten kam ich zur Dirigentin Mary Ellen Kitchens, die die erste war, die mich in diese feministischenMusiknetzwerke mitnahm. Und dort blühte ich auf, weil ich genau mein Ding gefunden hatte. Ich möchte diesen bedeutenden Anteil an der Gesamtgeschichte vermitteln, wie ich es als Laiin und Studierende selbst gerne vermittelt bekommen hätte. Dahingehend bin ich immer noch die ‚Handwerkerin‘, die sich auf die Baustellen begibt, um Lücken zu schließen. Mitunter gewaltige Lücken!
Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Für das Archiv Frau und Musik arbeite ich als Social-Media- und Webseiten-Beauftragte als auch für die Öffentlichkeitsarbeit. Dafür bieten wir Workshops und Vorträge, beraten Leute, die sich andere und innovativere Konzertprogramme wünschen oder mache ich hin und wieder Führungen durch das Archiv mit seiner Schatzkammer. Meine andere Arbeit aber – und von der ich durchdrungen bin – ist die Forschung an historischen Augsburger Tageszeitungen, derer ich bislang sieben zwischen 1746 und 1878 in Gänze auf Musik-, Kultur- und andere Nachrichten abgegrast habe. Ich suchte zunächst nur Musiknachrichten, aber schnell wurde mir klar, dass ich eine Stadt in Gänze auf Kultur anschauen muss, weil sich alles aufeinander bezieht, vor allem in der Vergangenheit, weil das Stadtgefüge eine andere, eine kleine Welt für sich war mit eigenen Gesetzen zu Funktionalität und Repräsentation. So konnte ich daraus die gesamte Theater- und Konzertgeschichte der Stadt fast lückenlos chronologisch nachvollziehen; ebenso Seuchen- und Hygienegeschíchte, zu Gesetzgebung, Naturkatastrophen, Femiziden, Abtreibungen, Antisemitismus, zu vergessenen Mordgeschichten, einer bis dahin völlig unbekannten große Frauenbewegung in Paris im späten 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts, völlig Neues zu Clara Schumann in Augsburg und als Highlight eine sehr heiße Spur zu Beethovens und Mozarts verschollenen Oboen-Konzerten, von denen sich Abschriften eventuell in Augsburg befinden könnten – mit meiner Arbeit gebe ich vor allem der Stadt Augsburg quasi ein neues Antlitz. Dazu blogge ich auf meiner Webseite und auf Twitter und biete Stadtführungen in Augsburg. Dieses Lesen der Zeitungen (also nicht nur die Suche nach Stichworten darin) sowie das Abtippen der alten Nachrichten half mir über eine schlimme Zeit der ersten beiden Corona-Jahre, in denen ich fast alle Vorträge und Aufträge verlor und durch Schließungen auch die Uni und Archive nicht mehr nutzen konnte. Fabrikarbeit hielt mich körperlich fit, danach die Arbeit an den Zeitungen abends und nachts auch geistig (bis ich den Fabrik-Job wieder verlor). Über das Bloggen spürte ich dann erstmals wieder, wie gefragt meine Forschungen und vor allem meine ‚Nase‘ für Querverbindungen sind, als sich auch viele Kulturinstitute in den Online-Kosmos wagten und mir die Chance gaben, meine Schätze als Gastbloggerin zu zeigen. Daher wurde mir die Online-Arbeit ein zweites Standbein, besonders auf Twitter, wodurch ich unglaubliche Solidarität grade in der Histo-Bubble erfuhr, tolle neue Leute kennenlernte und mich weiter entfalten konnte.
Motivation: warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Mehr geht glaube ich fast nicht mehr 😉
Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Klavierspielen (besonders gerne historische Tonfilmmusik der 1920er bis 1950er Jahre), ein bisschen Ukuleleklampfen, Flohmärkte nach interessanten Sachen abgrasen, Tante zweier reizender Nichten sein, gewisse PC-Spiele auf Darstellung von Musikinstrumenten, auf Platzierung von Musik und korrekte Wiedergabe von Musikgeschichte prüfen. Und dazu ebenfalls bloggen.
Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Der Versuch, auszuschlafen. Über den Stadtmarkt schlendern und die verschiedenen Gerüche inhalieren. Die besondere Atmosphäre von Museen genießen. Ein stiller Tag meist ohne Musik. Herumradeln und versuchen, das in den historischen Zeitungen Gelesene in der modernen Stadt wiederzufindenwie durch einen inneren Guckkasten hindurch – Vieles ist noch da: latente Geschichte (Blut und Blutspritzer), das ich mit meinem Wissen (Luminol) und Kombinierungsgabe (UV-Licht) wieder sichtbar machen kann (die Zeitmaschine in mir werde ich einfach nicht los). Rumgammeln.