Wir begrüßen diese Woche Joana Grah bei Real Scientists DE! Joana (@joanagrah.bsky.social) studierte Mathematik (BSc und MSc) an der Uni Münster und promovierte in angewandter Mathematik zu Mathematischen Bildverarbeitungsmethoden in der Krebsforschung an der University of Cambridge, UK. Nach einem Postdoc zu computergestütztem personalisiertem Mammographie-Screening am Alan Turing Institute in London arbeitete sie an der Technischen Universität Graz, Österreich, an Variationsnetzwerken für Denoising und Demosaicing und als selbstständige Beraterin für Digitalisierung und KI im Rahmen der Steiermark Schau für das Kunsthaus Graz. Anschließend verließ sie die aktive Forschung um am Heine Center for Artificial Intelligence and Data Science an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Workshops zum Thema KI und Programmierung für Wissenschaftler*innen außerhalb der Informatik/Mathematik zu geben, den Online-Kurs “KI für alle” für den KI-Campus mitzuentwickeln und Wissenschaftskommunikation zu betreiben, z.B. in Form des Podcasts “Inside HeiCAD” und der YouTube-Erklärvideoserie “Heine und Lovelace fragen nach”. Zur Zeit ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und stellvertretende Fachgebietsleitung der “Bildanalyse” am Zentrum für Künstliche Intelligenz in der Public Health-Forschung am Robert Koch-Institut in Berlin/Wildau.
Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Ich würde jetzt gerne sagen “Ich wollte schon als Kind Forscherin werden”, aber tatsächlich war das überhaupt nicht so. Ich bin FirstGen-Akademikerin, d.h. meine Eltern haben keinen akademischen Hintergrund. Es stand eigentlich gar nicht zur Debatte, dass ich irgendwann mal studieren würde. Dann war ich in der Schule ziemlich gut, hatte Spaß an bestimmten Fächern, u.a. Mathe, und wurde auch von einigen Lehrer*innen gefördert. Kurz vorm Abi habe ich mich dann also doch für einige Studiengänge beworben, sowohl für sprachwissenschaftliche als auch für mathematische, weil mir beides in der Schule gut gefallen hat. Die Entscheidung für Mathe kam dann aus dem Bauch heraus - und weil ich gerne nach Münster wollte und man dort ja in diesem schönen Schloss studiert… Natürlich war die Mathe-Fakultät ein bisschen außerhalb und wie so oft in einem eher weniger schönen Gebäude angesiedelt, aber das hat meiner Begeisterung für die Stadt keinen Abbruch getan. Mein Studium war alles andere als leicht, ganz im Gegenteil. Ich bin ziemlich naiv ins Studium gestartet und dachte es würde ungefähr so ablaufen wie in der Schule - das war natürlich nicht so und nach einem sehr holprigen Start gewöhnte ich mich langsam an das universitäre Umfeld. Die Entscheidung nach dem Bachelor noch den Master zu machen, kam eher spontan, vielleicht auch, weil mir noch nicht so klar war, was ich nach dem Studium eigentlich machen wollte. Im Master wählten wir dann Spezialisierungen und zum ersten Mal verstand ich 1) warum wir bestimmte Dinge in den Grundlagenvorlesungen gemacht haben und diese, obwohl sie ziemlich trocken erschienen, im angewandten Kontext total viel Sinn machen und 2) dass mir Mathe am meisten Spaß macht, wenn es eine reale Anwendung gibt. Ich besuchte begeistert Vorlesungen zu Stochastischen Differentialgleichungen und Bildverarbeitung in der Biologie und Medizin, wobei die Bildverarbeitung mein späteres Masterarbeits- und auch Promotionsthema werden sollte. Am Ende des Masters bekam ich die Gelegenheit, ein halbes Jahr im Ausland zu verbringen und dort meine Masterarbeit zu schreiben. Ich hatte eine unglaublich tolle Zeit in Cambridge, UK, und am Ende motivierten mich die Begeisterung für mein Thema und die vielen positiven Erfahrungen in der Cambridge Image Analysis Arbeitsgruppe mit tollen Menschen dazu, mich für eine Promotionsstelle dort zu bewerben. Irgendwie habe ich seit dem die Forschung oder zumindest das akademische Feld nicht verlassen, obwohl es durchaus gute Gründe gibt, das zu tun. Ich glaube am Ende bin ich ziemlich idealistisch und bilde mir zumindest ein, mit meiner Forschung etwas bewirken zu können.
Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Zum Teil habe ich das in meiner vorherigen Antwort schon beschrieben, aber meine ersten Vorlesungen in der angewandten Mathe haben echt einen großen Unterschied für mich gemacht und mich endgültig für das Fach begeistert. Mathe spielt tatsächlich in so gut wie allen anderen Forschungsfeldern - manchmal sehr offensichtlich, aber manchmal auch gut versteckt - eine Rolle. Das Tolle am Mathestudium ist, dass man sich durch die Theorie so eine Art Toolset aneignet und Methoden lernt, die man dann später in vielen verschiedenen Gebieten anwenden kann. Mein Forschungsschwerpunkt war immer die Bildverarbeitung. Das Schöne daran ist, dass auch Bilder als Daten ja in den verschiedensten Bereichen auftreten können, z.B. in der Astronomie, in der Kunstgeschichte, in den Materialwissenschaften, in der Medizin oder in den Pflanzenwissenschaften. Dadurch wird es nie langweilig. Mein Herz schlägt aber definitiv am Meisten für Anwendungen in der Biologie und Medizin, d.h. dort können Daten z.B. Mikroskopiebilder, CT-/Röntgenaufnahmen oder MRT-Bilder sein. Im letzten Jahrzehnt hat sich das Feld der Bildverarbeitung durch die Popularität von Methoden der so genannten Künstlichen Intelligenz ziemlich schnell verändert und weiterentwickelt. Gestartet bin ich in meiner Masterarbeit und Promotion mit mathematischen Bildverarbeitungsmethoden, aber dann habe ich mich immer mehr auch mit KI und maschinellem Lernen beschäftigt. Es ist total spannend und ein großes Privileg, hautnah mitzubekommen, wie sich ein ganzes Forschungsfeld in Echtzeit verändert. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass KI nie wirklich “traditionelle” Methoden ablösen wird, sondern dass vernünftige, nachhaltige, faire, erklärbare und für die Gesellschaft nützliche Lösungen eine Kombination aus beidem sein werden.
Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Ich bin zur Zeit wissenschaftliche Mitarbeiterin und stellvertretende Fachgebietsleitung der “Bildanalyse” am Zentrum für Künstliche Intelligenz in der Public Health-Forschung (ZKI-PH) am RKI. Die Daten, mit denen ich tagtäglich arbeite, sind nach wie vor Bilder. Im Moment arbeite ich einerseits mit Phasenkontrastmikroskopiebildern von verschiedenen Zelllinien, für die z.B. Medikamente getestet werden, und andererseits mit Elektronenmikroskopiebildern von Viren, z.B. dem uns gut bekannten SARS-CoV-2. Eine Aufgabe der Bildverarbeitung, mit der ich mich intensiv beschäftige, ist die Segmentierung. Das bedeutet, dass bestimmte Objekte in einem Bild, z.B. Zellen oder Viren, als zusammenhängendes Objekt erkannt und von anderen Objekten und dem Hintergrund getrennt werden. Dies kann z.B. durch eine Segmentierungsmaske visualisiert werden. Im Anschluss können dann beispielsweise Objekte gezählt, ihre Morphologie untersucht oder weitere Statistiken berechnet und weitere Analysen durchgeführt werden wie z.B. Klassifikation.
Motivation: Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Ich glaube alleine das Buzzword “KI” erregt schon automatisch sehr viel Aufmerksamkeit. Das ist nicht immer gut, weil ich nicht immer mit der Darstellung von KI in der Öffentlichkeit einverstanden bin. Ich finde, es gibt zu viel Hype sowohl was die Möglichkeiten und Chancen von KI betrifft - es gibt immer noch keine AGI (artificial general intelligence), also KI, die diverse menschliche Fähigkeiten übersteigt und nicht nur eine bestimmte Aufgabe besser und schneller lösen kann - als auch bzgl. ihrer Risiken. Oftmals wird zu viel Fokus auf Weltuntergangsszenarien gelegt und unnötig Ängste geschürt, während die wirklichen Herausforderungen, mit denen wir uns intensiv beschäftigen sollten, in der Regulierung und den gesellschaftlichen Konsequenzen von KI liegen. Daher ist es umso wichtiger, aufzuklären und gute Wissenschaftskommunikation zu betreiben. Am ZKI-PH betrachten wir das Thema KI für Public Health ganzheitlich, passend zum “One Health”-Ansatz. Es gibt neben der Bildanalyse Arbeitsgruppen zum Thema Phylogenomik, zur Klima- und Gesellschaftsanalytik und zur Visualisierung, und die Erklärbarkeit von Methoden und Kommunikation nach außen bildet einen Schwerpunkt. In meinen aktuellen Projekten können zum einen durch die automatisierte Analyse am Computer viel Zeit, Kosten und Personalressourcen gespart werden. Zum anderen unterstützen die Analysen und Ergebnisse die biomedizinische Forschung, indem z.B. die Wirksamkeit von Medikamenten verifiziert werden kann oder einzelne Beobachtungen wie etwa zu morphologischen Veränderungen generalisiert werden können.
Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Obwohl ich das kurz während meiner Tätigkeit an der HHU Düsseldorf teilweise hauptberuflich gemacht habe, betreibe ich jetzt wieder Wissenschaftskommunikation als Hobby. Ganz besonders am Herzen liegt mir das Projekt “Her Maths Story”, das ich momentan mit meiner guten Freundin Julia Kroos zusammen betreibe. Wir veröffentlichen regelmäßig Geschichten von Frauen in der Mathematik um sie sichtbarer zu machen und Mathematikerinnen am Anfang ihrer Karriere zu ermutigen, weiterzumachen, obwohl es noch nicht so viele Frauen als Vorbilder gibt. Wir haben eine Webseite (https://hermathsstory.eu/) und sind auf fünf Kanälen in den Sozialen Medien unterwegs. Ansonsten nehme ich sehr gerne Gelegenheiten wahr um Outreach zu betreiben, z.B. durfte ich letztes Jahr bei Soapbox Science Berlin als Speakerin am Potsdamer Platz dabei sein.
Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Ich tanze seit ich 4 Jahre alt bin und habe nie wirklich damit aufgehört. Ich finde, es ist der beste Sport überhaupt, weil es sich für mich nicht wie Sport anfühlt, und es gibt so vielfältige Möglichkeiten sich durch Tanz auszudrücken. Außerdem ist das Tanzen für mich in schwierigen Situationen immer ein verlässlicher Ausgleich. Die längste Zeit habe ich wohl Modern Dance betrieben und dann später in einer Musical-Formation getanzt, aber mich auch in Contemporary, Dancehall und Salsa ausprobiert.
Wie sieht dein idealer freier Tag aus? (Forschende sind ja auch nur Menschen)
Ausschlafen (ich bin leider kein Morgen-Mensch) und ausgiebig brunchen, je nach Wetter im Park oder im Café mit Freund*innen treffen, Tanzen gehen natürlich, Zeit haben ein nicht-wissenschaftliches Buch zu lesen, abends auf ein Konzert gehen.
Bitte begrüßt Joana ganz herzlich auf dem Kanal!