Sunday, April 30, 2017

DNA-Origami und künstliche Zellen - Kerstin Göpfrich ist jetzt bei Real Scientists DE!

Mit großer Vorfreude stellen wir euch unsere neue Kuratorin Kerstin Göpfrich (@KGoepfrich) vor! Kerstin ist studierte Physikerin und faltet gerne: Sie promovierte in Cambridge zum Thema "DNA Origami Nanoporen". Jetzt forscht als Postdoc am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart weiter in der synthetischen Biologie und arbeitet daran, eines Tages künstliche lebende Zellen zu bauen. Über Kerstins verschiedene Projekte erfahrt ihr mehr unter http://kerstin-goepfrich.de/de/wissen-teilen.html.


Hier ist Kerstin in ihren eigenen Worten:

Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Ehrlich gesagt: Dank ERASMUS! Das ist ein EU-Programm, das Studenten einen Aufenthalt an einer europäischen Gastuniversität ermöglicht. Ich bin damals für ein halbes Jahr aus Erlangen nach Cambridge gegangen, habe dort an einem Forschungsprojekt mitgearbeitet und meinen späteren Doktorvater getroffen. Mir hat das Projekt und die Gruppe einfach so gut gefallen, dass ich unbedingt weiter machen wollte!



Ehrlich gesagt, es gibt ganz ganz viele spannende Themen in der Wissenschaft – da fällt die Entscheidung nicht leicht. Ich finde die Biophysik spannend, weil man neuen Werkzeugen aus der Physik zu neuen Einsichten über die Biologie, über das Leben kommen kann. Was mich dort hält? Die einmalige Chance dabei zu sein, wenn sich die Grenzen menschlichen Wissens ein klein wenig verschieben!



Während meiner Doktorarbeit faltete ich DNA. DNA Origami ist tatsächlich der wissenschaftliche Fachausdruck dafür. Dabei geht es nicht um Genetik oder Erbinformation, sondern um Baukunst in der Nanowelt. Smileys wurden zum Beispiel schon aus DNA gebaut. DNA Origami steht jetzt im Moment an der Schwelle vom Machbarkeitsbeweis hin zu Anwendungen. Was würden Sie denn bauen, wenn Sie einen Baukasten aus einzelnen Molekülen hätten? Ich bin neugierig – lassen Sie es mich wissen unter dem Hashtag #DNABaukasten! Ich selbst baue kleinste Kanäle aus DNA. Sie können Poren in Zellen bilden. 50 % der Medikamente, die wir heute verwenden, greifen an natürlichen Zellporen an. Nun stellen Sie sich vor, wir könnten künstliche Kanäle genau so bauen, wie wir sie brauchen! In meinem Postdoc möchte ich nun nicht nur künstliche Kanäle bauen, sondern ganze künstliche Zellen: Synthetische Biologie. Ich habe aber gerade erst angefangen, deshalb mehr dazu in einer Weile!

Als ich zum ersten Mal von einigen der Dinge gehört habe, mit denen ich jetzt tagtäglich arbeite, ist mir wirklich die Kinnlade runter gefallen – ich konnte es kaum glauben. Vielleicht geht es anderen ja auch so! Einige Aspekte meiner Arbeit stehen in direkter Verbindung mit Technologien, die unsere Gesellschaft verändern werden – zum Beispiel DNA-Sequenzierer. Ich möchte Informationen bereit stellen, damit jeder für sich entscheiden kann, wie sie oder er dazu steht.


Wenn ich gerade nicht im Labor bin, dann versuche ich, die Wissenschaft aus dem Labor heraus zu holen. Egal ob Radio, Fernsehen, Online, Print, Vorträge, TEDx, Workshops oder Unterricht – ich probiere immer gerne was Neues. Ich schreibe zum Beispiel Rezensionen über Wissenschaftsvideos für Spektrum der Wissenschaft, habe mit den Naked Scientists Radiosendungen produziert und bin erst letzte Woche beim Deutschlandfinale von FameLab aufgetreten. Und ich tweete für @TheNanoporeSite. Hier findet ihr ein paar meiner vergangenen und aktuellen Projekte: http://kerstin-goepfrich.de/de/wissen-teilen.html.

Wenn ich nicht gerade DNA falte, dann meinen eigenen Körper: Ich mache sehr gerne Akrobatik. Außerdem gehe ich klettern oder tanzen und bin gerne draußen in der Natur.

Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Für mich gibt es nicht den einen idealen freien Tag. Immer etwas Neues soll es sein!

Bitte begrüßt Kerstin ganz herzlich bei Real Scientists DE!

Sunday, April 23, 2017

Mit Systembiologie gegen den Krebs - Lorenz Adlung ist jetzt bei Real Scientists DE!


Wir freuen uns sehr, euch unseren neuen Kurator Lorenz Adlung (@lorenzadlung) vorzustellen! Lorenz ist Systembiologe und forscht zur Zeit als Doktorand in der Abteilung Systembiologie der Signaltransduktion am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Über die Wissenschaftskommunikation von Lorenz Adlung erfahrt ihr mehr unter https://lorenzadlung.wordpress.com/.


Hier ist Lorenz in seinen eigenen Worten:

Ich habe versucht, meinen unbändigen Wissensdurst bestmöglich zu stillen, bin dabei jedoch kläglich gescheitert. Neugier und Detailversessenheit bilden nach wie vor meinen Antrieb und die Grundlage für meinen ungetrübten Enthusiasmus.  

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die Herausforderungen der modernen Biowissenschaften nur mit interdisziplinären Ansätzen bewältigen können. Krebs ist eine allzu komplexe Krankheit, als dass man sie intuitiv verstehen könnte. Deshalb müssen wir uns eines systembiologischen Ansatzes bedienen und mit quantitativen, experimentellen Daten mathematische Modelle kalibrieren, die es uns erlauben, gezielte Krebstherapien zu entwickeln.



 Ich beschäftige mich in der Grundlagenforschung mit regulativen Mechanismen bei zellulären Entscheidungsprozessen. Die Vorläufer-Zellen unserer roten Blutkörperchen sind im Wesentlichen vom Wachstumshormon Epo abhängig. Dieses eine Hormon aktiviert unterschiedliche zelluläre Signalverarbeitungswege, die komplexe Prozesse wie Zellteilung und -reifung steuern. Wenn wir mithilfe mathematischer Modelle besser verstehen, wie diese dynamischen Prozesse reguliert werden, können wir die Blutzellbildung optimieren für Eigenbluttherapien und Transfusionen sowie den Blutkrebs zielgerichtet bekämpfen.

Wir konnten erst kürzlich in einer Veröffentlichung zeigen, dass sich die von uns entwickelten Verfahren direkt im klinischen Kontext anwenden lassen. Durch den systembiologischen Ansatz ist es uns möglich, höchst effizient und verlässlich Vorhersagen über biologische Prozesse zu treffen. Damit legen wir den Grundstein für die personalisierte Medizin der Zukunft, die uns alle etwas angeht.

 
Lorenz' Statement zum March for Science

Ich bin wissenschaftlicher Mentor beim Heidelberger Life-Science Lab am DKFZ. In dieser Rolle betreue ich unterschiedliche Forschungsprojekte von Schülerinnen und Schülern, und ich leite Arbeitsgruppen u.a. zu den Themen Biomathematik, Synthetische Biologie und Englische Literatur.

Ich interessiere mich für alle Aspekte der Wissenschaftskommunikation. Zuvorderst bin ich beim Science Slam aktiv, aber ich biete auch Text- und Schreib-Werkstätten an und suche immer wieder neue Formate, um meine Forschungsergebnisse mitzuteilen.

Wie sieht dein idealer freier Tag aus?
Lesen, spazieren, denken.

Bitte begrüßt Lorenz ganz herzlich bei Real Scientists DE!

Saturday, April 22, 2017

Für eine faktenbasierte Diskussion über Tierversuche - ein Essay von Lars Dittrich

Wir von Real Scientists DE haben einige Wissenschaftler nach ihrer Meinung über die Rolle der Forschung in der Gesellschaft gefragt. Hier ist der Beitrag von unserem ehemaligen Kurator Lars Dittrich (@dittrich_lars):

Für eine faktenbasierte Diskussion über Tierversuche 
(Lars Dittrich, Pro-Test Deutschland e.V.)


Tierversuche in Forschung und Entwicklung stellen uns vor ein Dilemma. Auf der einen Seite stehen Tod und Leid der Versuchstiere. Sollten wir sie nicht lieber verschonen? Auf der anderen Seite steht der Nutzen, den wir durch das erlangte Wissen haben. Wissen, das uns gegebenenfalls in der Zukunft ermöglicht, Patienten das Leben oder Tierarten vor dem Aussterben zu retten. Sollen wir die wirklich im Stich lassen? Wir müssen uns als Gesellschaft einigen. Welche Tierversuche sind gewollt, welche nicht? Diese Entscheidung ist alles andere als trivial. Wer sich nur ein bisschen mit dem Thema beschäftigt, merkt schnell, dass Versuch nicht gleich Versuch ist und Nutzen nicht gleich Nutzen. Die Methoden ändern sich ständig, damit auch die mögliche Belastung für die Tiere. Wir brauchen eine andauernde Debatte. 

Was wir stattdessen haben, ist eine Farce. Organisierte Tierversuchsgegner haben sich aus der Diskussion um eine ethische Bewertung lange verabschiedet. Stattdessen fahren sie die gleiche Strategie, wie in den 50ern die Tabakindustrie, später die agendagetriebenen Klimaleugner oder Impfgegner. Sie leugnen die Fakten. Es gäbe gar kein Dilemma. Man könne jederzeit auf Tierversuche verzichten, ohne den geringsten Preis dafür zahlen zu müssen. Im Gegenteil, die Wissenschaft würde dadurch automatisch besser. Wie erklärt man dann, dass die Wissenschaftler geschlossen etwas anderes versichern? Na, ganz einfach, die lügen halt alle. 

Einzelne Wissenschaftler diffamieren, Kompetenz absprechen, Interessenskonflikt unterstellen, das alles ist direkt aus dem Strategiekonzept anderer großer Wissenschaftsleugner übernommen.

In aufwändigen Kampagnen werden einzelne Wissenschaftler angegriffen. So der Bremer Professor Kreiter, der in kostspieligen, überregionalen Zeitungsanzeigen als “eiskalter Experimentator” bezeichnet wurde, der aus reinem Sadismus völlig nutzlose Forschung betreibe. 

In den einschlägigen Flugblättern, Webseiten und Pressemitteilungen werden die Wörter “Wissenschaftler” oder “Forscher” stets in Anführungszeichen gesetzt. Den Wissenschaftlern wird die Wissenschaftlichkeit abgesprochen. Ihre Arbeit hätte nicht den geringsten wissenschaftlichen Wert, wird gebetsmühlenartig wiederholt. Wenn man es nur oft genug sagt, muss es ja irgendwann wahr werden. Wirkliche Kompetenz hätte nur man selbst, die Tierrechtsorganisation. Medizingeschichte wird einfach umgeschrieben. Die Insulintherapie für Diabetiker? Völlig unabhängig von Forschung mit Hunden entwickelt worden! Der Nobelpreis im Jahre 1923 folglich zu Unrecht vergeben. Die tiefe Hirnstimulation zur Behandlung von Parkinson? Völlig unabhängig von Forschung in Affen entwickelt! Dass Dr. Benabid, der Arzt, der damit erstmalig Patienten erfolgreich behandelte, sagt, dass seine Methode auf der Forschung eines Kollegen mit Affen aufbaut, kann dann ja nur daran liegen, dass er keine Ahnung von der Materie hat. Oder lügt. Diese Liste lässt sich noch lange fortsetzen. Wer “Tierversuche” googelt, findet solche Abhandlungen gleich unter den ersten Treffern.

Je radikaler die “alternative” Version der Wirklichkeit von der offiziellen abweicht, desto bereitwilliger scheint sie aufgenommen zu werden. Wie sehr das fruchtet, merke ich regelmäßig in Diskussionen. Kaum eine Kommentarspalte zum Thema, in der nicht mindestens einmal der Ausspruch zitiert wird: “es gibt nur zwei Gründe, Tierversuche zu befürworten, man weiß zu wenig darüber, oder man verdient daran” (Hartinger). Ein anderer Evergreen: “Wer nicht zögert, Tierversuche zu machen, wird auch nicht zögern, darüber zu lügen” (Shaw). Der schnelle Ausweg aus der kognitiven Dissonanz: Informationen, die nicht zu meiner Meinung passen, müssen unwahr sein. Die Wirklichkeit wird verbogen, bis kein Dilemma mehr existiert, bis es nur noch eindeutig richtig und eindeutig falsch gibt. Dass in dieser Version Heerscharen unabhängiger Forscher weltweit lügen müssten, während Tierrechtsorganisationen mit eindeutiger Interessenslage die einzigen wären, die die Faktenlage richtig erfassen und wissenschaftlich einordnen könnten, müsste eigentlich bei jedem für einen vollen Ausschlag des Bullshit-Detektors reichen. Tut es aber nicht. 

Das mag daran liegen, dass die Texte der Tierrechtsorganisationen zum Teil sehr geschickt geschrieben sind. Durch die altbekannten Methoden des Cherrypicking, dem gezielten Auslassen eines ganzen Bergs an wichtigen Informationen, und der verzerrten Darstellung von Halbwahrheiten, lässt sich eine fundiert klingende Version der Wirklichkeit schreiben, die den Autoren wie durch Zufall genau in den Kram passt. Mit Quellenangaben und allem.

Aber wenn Tierversuche so nutzlos sind, warum werden sie dann durchgeführt? Na, aus Geldgier, natürlich! Es wird nach Herzenslust von einer “Tierversuchsindustrie” fabuliert, die so mächtig sei, dass sie die besseren tierfreien Alternativmethoden unterdrücke. Unabhängige Forscher könnten angeblich nur dicke Förderungen absahnen, wenn sie Tierversuche machten. Erfolgreiche Karrieren von Grundlagenforschern, die ausschließlich an Menschen, mit Computersimulationen, oder Hefezellen arbeiten, bringen die gefühlte Wahrheit dieser Vorstellung nicht ins wanken. Außerdem scheffele big Pharma Unsummen mit unnötigen Tierversuchen. Moment, Pharmaunternehmen verdienen dadurch, dass sie etwas machen, das viel Geld kostet, aber keinerlei Nutzen hat? Eine weitere Steilvorlage für jeden inneren Bullshit-Detektor. Aber die Kombination von big Pharma und Raffgier scheint heutzutage schon für Glaubwürdigkeit auszureichen, egal wie abenteuerlich die Anschuldigung.

Doch bei allen Parallelen zu anderen Fällen systematischer Faktenleugnung gibt es bei der Tierversuchsdiskussion einen wichtigen, großen Unterschied. Den eklatanten Mangel an Widerspruch. Bei den Themen Impfen oder Klimawandel gibt es klare, laute Stellungnahmen, von den größten internationalen und nationalen Wissenschaftsorganisationen bis zu den einzelnen Wissenschaftlern, die sich in Interviews, Blogs und Kommentarspalten um Richtigstellung bemühen. Wir sehen, dass das bei weitem nicht ausreicht - große Teile der Gesellschaft misstrauen der wissenschaftlichen Darstellung der Lage. Beim Thema Tierversuche haben wir aber nicht einmal das. Mit denen möchte niemand assoziiert werden. Kaum einer, der Tierversuche macht oder auf Daten daraus zurückgreift, erklärt sich der Öffentlichkeit. Ein Grund mag sein, dass es sich lediglich um eine Gruppe von Methoden handelt, Mittel zum Zweck. Bei Klima oder Medizin geht es um Ergebnisse, um Erkenntnisse, die in langer, mühsamer Arbeit der Natur abgerungen wurden. Wenn das jemand leugnet, etwa behauptet es gäbe kein HIV oder Masernviren, leugnet er gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis, den Kern dessen, wofür wir unser Leben lang arbeiten. Bei einer Tier-basierten Methode ist das anders. Gäbe es da eine tierfreie Alternative mit höherer Aussagekraft, würde sie im Handumdrehen Einzug in die Labore halten und den entsprechenden Tierversuch verdrängen, selbst wenn das nicht bereits gesetzlich so vorgeschrieben wäre. Wie schnell so etwas geht, kann man an den Beispielen der neuen Methoden Optogenetik oder CRISPR sehen, die in wenigen Jahren weltweit neuer Standard geworden sind. Wer will schon für Tierversuche einstehen, wenn es jedem recht wäre, wenn sie überflüssig würden? Der Knackpunkt ist, dass sie es eben noch nicht sind und auf absehbare Zeit nicht sein werden.

Ich möchte in aller Deutlichkeit klarmachen, was hier auf dem Spiel steht. Tierversuche sind essentiell für die biomedizinische Forschung. Auf sie verzichten, bevor wir sie gleichwertig ersetzen können, bedeutet, Erkenntnisse zu verzögern und damit all jene im Stich lassen, die von ihnen bis dahin profitiert hätten. Zum Beispiel Schwerkranke. Aber es geht um noch mehr. Die Angriffe auf Forschung mit Tieren sind zu einem beträchtlichen Teil Angriffe auf Grundlagenforschung im allgemeinen. Es wird polemisiert, Tiere müssten sterben, damit Forscher (selbstverständlich in Anführungszeichen) ihre Neugier befriedigen könnten. Einzelne Projekte aus der Grundlagenforschung werden willkürlich herausgepickt und als Beispiele eindeutig nutzloser Forschung beschimpft, als “Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Experimentatoren”. Einzelne Projekte, kleinste Puzzlestücke eines langen Erkenntnisprozesses, aus dem Zusammenhang reißen um eine offensichtliche Nutzlosigkeit unterstellen zu können, ist ein schmutziger Trick, ein cheap shot gegen die Wissenschaft, mit dem auch amerikanische rechtsaußen Politiker regelmäßig Forschungsförderung als Geldverschwendung darstellen.

Die Tierversuchsdiskussion, die wir heute haben, ist ein weitgehend unwidersprochener Angriff auf die Glaubwürdigkeit von Wissenschaftlern, der Validität von Evidenz und das Konzept der Grundlagenforschung. Wir sehen in anderen Bereichen, wie schwierig es sein kann, Wissenschaft gegen solche Angriffe zu verteidigen. Eine Verteidigung ganz sein zu lassen und der Demontage einer der größten Errungenschaften unserer Zivilisation tatenlos zuzusehen ist Wahnsinn. Es ist unverantwortlich im höchsten Maße. 

Seit kurzem gibt es die Initiative Tierversuche Verstehen, die mit der Legitimation aller großen deutschen Wissenschaftsverbände endlich versucht, dem etwas entgegen zu setzen. Aber das reicht bei weitem nicht aus. In Zeiten der Google-Suche ist das nur ein einzelner Treffer, eine einzelne Stimme im Morast der Fehlinformationen. Der offizielle Rückhalt von Wissenschaftsvereinigungen fällt für den normalen Internetnutzer nicht ins Gewicht. Was wir brauchen, ist Vielstimmigkeit. Es muss eine Selbstverständlichkeit sein, dass jedes Institut, das mit Tieren forscht, eine Erklärung zu Tierversuchen gut sichtbar auf seiner Homepage platziert. Es muss der Normalfall sein, dass Journalisten eingeladen werden, die Versuchstierhaltung zu besichtigen. Wir müssen transparent mit der ethischen Abwägung umgehen, die wir vornehmen. Was genau muten wir welchen Tieren zu und welchen Grund haben wir, uns davon welchen Nutzen zu versprechen? Diese Abwägung nehmen wir im Auftrag der Öffentlichkeit vor. Es ist unsere Verpflichtung, der Öffentlichkeit diese Informationen zugänglich zu machen.

Aber auch das reicht nicht aus. Wir brauchen die Stimmen der einzelnen Wissenschaftler. Wir sind diejenigen, die Tierversuche verantworten. Wir sind Menschen mit individuellen Beweggründen, kein gesichtsloses Institut. Unsere Beweggründe, unsere Gesichter und unsere Stimmen braucht es in den Blogs, Kommentarspalten und Gesprächen.

Was wir dabei in jedem Beitrag beherzigen sollten, ist die klare Trennung von Meinungen und Fakten. Ein Wissenschaftler, der der Versuchung erliegt, seine Meinung als einzig mögliche Schlussfolgerung, als von den Fakten vorgegebene Konsequenz darzustellen, verfehlt seinen Auftrag. Das gilt im übrigen nicht nur für dieses Thema, sondern auch für alle anderen, bei denen Wissenschaft zu einer gesellschaftlichen Debatte beitragen kann. “Wir brauchen Tierversuche” ist kein Fakt. “Wir brauchen Tierversuche, um bestimmte wissenschaftliche Fragen beantworten zu können” ist ein Fakt. “Die Beantwortung dieser Fragen ist so wichtig, dass Tierversuche dafür nicht nur gerechtfertigt, sondern ethisch geboten sind“ ist eine Meinung. Es ist meine Meinung.

Diskutieren wir über Tierversuche! Nicht nur beim Science March. Respektieren wir, dass Menschen völlig andere Meinungen zum Thema haben können! Aber nur wenn Meinungen auf Fakten basieren, können wir uns sinnvoll über sie austauschen.

Meinungsbildung in einer komplexen Welt - ein Essay von Anne Scheel

Wir von Real Scientists DE haben einige Wissenschaftler nach ihrer Meinung über die Rolle der Forschung in der Gesellschaft gefragt. Hier ist der Beitrag von Anne Scheel (@annemscheel), die unseren Account bereits für eine Woche als Kuratorin geleitet hat:


Meinungsbildung in einer komplexen Welt
 
"BILD Dir Deine Meinung!" Ein Spruch mit einer steilen Karriere. Und mit interessantem Inhalt: Einerseits fordert er zur Meinungsbildung auf, einem Prozess also, indem idealerweise verschiedene Informationsquellen berücksichtigt und gewichtet werden. Andererseits vermittelt er die Botschaft, das Endprodukt dieser Meinungsbildung (die Meinung also) könne direkt aus der BILD-Zeitung übernommen werden -- einer Zeitung, die regelmäßig wegen einseitiger, irreführender oder schlicht falscher Berichterstattung in der Kritik steht. Die Werbung verspricht also eine Arbeitserleichterung: Meinung in verzehrfertiger Form für nur 0,90 €, kein zusätzliches Nachdenken und kein anstrengender Meinungsvergleich nötig.

Wir machen uns leicht lustig beim Gedanken, dass Menschen tatsächlich unreflektiert Inhalte der BILD-Zeitung übernehmen könnten. Aber: was ist mit dem unreflektierten Übernehmen von Inhalten der Süddeutschen Zeitung? Der Tagesschau? Aus einem wissenschaftlichen Fachmagazin? Aus einer Vorlesung im Studium? Vom Hausarzt? Natürlich sind diese Quellen nicht einfach miteinander gleichzusetzen (oder auch nur vergleichbar). Aber es ist nicht schwer, ein Beispiel für eine Situation zu finden, in der uns mal eine einzige Quelle für den Abschluss der Meinungsbildung genügte. Darüber möchte ich heute sprechen: wie wir zu unserem Wissen und zu unseren Meinungen gelangen.

Wir machen einen Exkurs in die USA Mitte des letzten Jahrhunderts. William Perry, Entwicklungspsychologe in Harvard, erforschte in den 1950er und 60ern den Wissenserwerb junger Harvard-Studenten. Die Studenten wurden in den vier Jahren ihres Grundstudiums in regelmäßigen Abständen zu ihren Überzeugungen über den Zugang zu Wissen befragt. Perry beobachtete, dass verschiedene Kohorten von Studenten immer wieder einen ähnlichen Entwicklungsverlauf in ihren Ansichten zeigten.

Erstsemester berichteten meist ein dualistisches Bild von Wissen, Wahrheit und Moral: Es gibt absolute Wahrheit; richtig und falsch, gut und böse. Und der Professor weiß, was wahr ist. Oder - eine schon etwas weiter entwickelte Ansicht - er liegt auch mal falsch, aber es gibt jemand anderes, der die Wahrheit kennt. Auf dieser Stufe wird Wissen einfach von Autoritäten übernommen.
Wenn Perrys Studenten ihre Obrigkeitshörigkeit überwunden hatten, schlug diese Ansicht in ihr Gegenteil um: Alles ist relativ. Die Ansicht des Professors ist nur eine von vielen. Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, und jede Meinung ist gleich viel wert. Diese Multiplizität bedeutet, dass objektive Entscheidungen letztlich gar nicht möglich sind.
Gegen Ende ihres Grundstudiums schließlich zeigten die Studenten eine Integration dieser extremen Ansichten: Zwar gibt es verschiedene subjektive Meinungen, aber wir können uns innerhalb eines Systems auf objektive Kriterien einigen und unterschiedliche Positionen daran messen und beurteilen. Damit sind manche Meinungen gültiger als andere. Wissen und Moral haben immer noch eine gewisse Relativität, aber wir können Maßstäbe entwickeln und anlegen, um uns in dieser Relativität zurechtzufinden und sinnvolle Entscheidungen zu treffen, die nicht völlig subjektiv sind.


Tab. 1 Perrys Schema. Tabelle übersetzt von https://en.wikipedia.org/wiki/William_G._Perry

Auf Basis dieser drei Phasen - Dualismus, Multiplizität, kontextabhängiger Relativismus - entwickelte Perry ein neunstufiges Modell, das als "Perrys Schema" bekannt ist (Tab. 1).
Perry betonte in seinen Arbeiten, dass dieser Entwicklungszyklus als wiederkehrendes Element unseres Erkenntnisgewinns anzusehen sei. Seiner Ansicht nach bewegen wir uns zeitlebens immer wieder durch diese Phasen und können uns in verschiedenen Wissensbereichen auch gleichzeitig auf unterschiedlichen Stufen befinden.

Den Übergang von der ersten in die zweite Phase bezeichnete Perry auch als die "Vertreibung aus dem Paradies". Es liegt etwas Beruhigendes in der Ansicht, dass absolute Wahrheit und absolute Moral existieren und es eine Person gibt, von der man sie erfahren kann. Die Einsicht, dass die Welt weit komplizierter ist, kann große Verunsicherung auslösen. War es nicht viel gemütlicher im schwarz-weißen Dualismus? Wie soll ich mich jetzt zurechtfinden? Das Herausarbeiten eigener Standards und Werte, die aus der "alles ist relativ"-Sichtweise schließlich zur letzten Phase von Perrys Schema führen, ist harte Arbeit. Und sie ist nie endgültig abgeschlossen.

Zurück zur Meinungsbildung durch deutsche Tageszeitungen. Der Aufruhr, den im vergangenen Jahr die Entdeckung von "fake news" auslöste, hat mich sehr an die Vertreibung aus dem Paradies erinnert. Wie bitte, wir können nicht mehr glauben, was in der Zeitung steht? Wie soll man da noch unterscheiden können? Kann man eigentlich noch irgendetwas glauben? Mancherorts war die Verunsicherung so groß, dass man erklärte, man habe "die Nase voll von Experten". Der perfekte Übergang zum Multiplizismus: Wenn ich mich nicht mehr auf die Quelle verlassen kann, der ich bisher blind vertraut habe, glaube ich jetzt niemandem mehr. Alle Quellen sind gleich unzuverlässig. Ich halte mich nur noch an mich selbst.

Als Wissenschaftlerin zähle ich vielleicht zu einem gewissen Grad als "Expertin" (der Teil von mir, der im Forschungsalltag die meiste Zeit das Gefühl hat, gar nichts zu kapieren, wehrt sich vehement gegen dieses Label, während der Teil, der schon ganze zwei Zeitungsinterviews gegeben hat, ihm beruhigend zuflüstert, dass Wissen relativ ist). Deshalb hat mich der Eindruck, dass die Öffentlichkeit -- manche Teile der Öffentlichkeit zu bestimmten Zeitpunkten -- Experten ihre Wertschätzung entzieht, sehr beunruhigt. Denn natürlich weiß ich, dass Experten die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen haben und nicht automatisch Bescheid wissen (siehe Forschungsalltag-Anne), aber wir haben doch auch keine bessere Wissensquelle als die Menschen, die sich mit einem Thema am besten auskennen.

Aber als ich Perrys Schema kennenlernte, bekam ich eine etwas andere Perspektive. Im Rahmen dieses Modells sieht die Abkehr von Experten auf einmal nicht mehr wie ein Rückschritt aus, sondern wie ein Fortschritt: Wir haben uns von Phase 1 nach Phase 2 weiterentwickelt! Wenn wir jetzt am Ball bleiben, könnten wir es in Phase 3 schaffen: Dann würde die Meinung von Experten nicht als absolut und endgültig angesehen, aber etwa als höherwertig als die von manchem Kolumnisten. Vielleicht haben wir das ja heimlich, still und leise schon geschafft?
Die Antwort darauf ist natürlich gleichzeitig ja und nein. Es gibt nicht "die Öffentlichkeit", und selbst wenn Perrys Schema eine in allen Details zutreffende Beschreibung der Entwicklung wäre, würde man in verschiedenen Gruppen und in Bezug auf verschiedene Themen ein großes Chaos unterschiedlicher Stufen des Modells vorfinden -- vielleicht Stufe 1 beim Thema Krebstherapien, Stufe 2 in der Griechenland-Krise, Stufe 3 im Diät-Dschungel?

Herauszufinden, wo genau wir stehen, ist nicht der Punkt. Mein Anliegen ist die Entwicklung an sich: Wir sind ständig in Bewegung. Die Welt ist verflucht kompliziert und Meinungsbildung ist eine ziemlich anstrengende Angelegenheit. Die eine Autorität, die uns sagen kann, wo es lang geht, existiert nicht. Aber das ist kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken, denn es gibt trotzdem bessere und schlechtere Informationen. Diese Unterscheidung kann sehr schwierig und in manchen Gebieten unmöglich sein -- da brauchen wir wieder die Experten: Nicht nur, um uns Fakten zu liefern, sondern auch um uns beizubringen, wie wir bessere von schlechteren Informationen unterscheiden können.

Wissenschaft ist im Grunde nichts anderes als dieser Prozess: Um in der Klimaforschung oder der Quantenphysik oder der Psychotherapie zu einem Konsens zu gelangen, müssen wir die Arbeit vieler Wissenschaftler zusammentragen und nach ihrer Aussagekraft gewichten. Und nichts davon steht für die Ewigkeit; neue Informationen führen zu neuen Bewertungen. Auch Wissenschaftler befinden sich manchmal in Stufe 1 von Perrys Schema! Manchmal tun wir Dinge nur deshalb, weil die Wissenschaftler vor uns sie auch so gemacht haben. Manchmal ist das, was der Doktorvater sagt, zwangsläufig wahr. Manchmal führen neue Informationen dazu, dass unser Weltbild zusammenbricht und wir uns für einen Moment nicht mehr zurecht finden in unserem Fachgebiet, weil alles relativ erscheint. Aber immer muss unser Ziel sein, in all der Unsicherheit mit dem bestmöglichen Leitfaden, den wir gerade zur Hand haben, Entscheidungen zu treffen.

Wissenschaftler haben nicht immer Recht, aber Wissenschaft ist die unendliche Reise zum Zusammenfügen der besten verfügbaren Informationen. Als Forscher, als Laien, als Zeitungsleser, als Studenten, als Patienten, als Fernsehzuschauer können wir die Herausforderung annehmen, uns unsere Meinung zu bilden. Das erfordert Energie, die Auseinandersetzung mit verschiedenen Quellen, Neugier, und die Erkenntnis, dass man niemals fertig wird mit diesem Unterfangen. Aber vielleicht ist das auch eine Erleichterung: Es ist okay, verwirrt zu sein. Solange wir die Bildung in "Meinungsbildung" nie aufgeben.

 

Die Zukunft der Wissenschaft - ein Essay von Lorenz Adlung

Wir von Real Scientists DE haben einige Wissenschaftler nach ihrer Meinung über die Rolle der Forschung in der Gesellschaft gefragt. Hier ist der Beitrag von Lorenz Adlung (@LorenzAdlung), der auch ab Montag unseren Account für eine Woche als Kurator leiten wird:



Die Zukunft der Wissenschaft - es ist kompliziert, aber es funktioniert.

Unsere Welt wird immer verzahnter, Probleme werden vielschichtiger und Herausforderungen komplexer. Beziehungen sind kompliziert, unser Alltag hochdynamisch. Das ist in den Naturwissenschaften nicht anders. Technologien entwickeln sich rapide weiter, Innovation schafft neue Forschungsfelder, die in dieser Form niemals zuvor existiert haben. Während es in den letzten Dekaden des vergangenen Jahrhunderts noch genügte, ein einzelnes Gen in einem Organismus zu identifizieren, sind die modernen Biowissenschaften nicht erst seit dem Durchbruch beim Humanen Genomprojekt im Jahre 2001 auf die Erforschung des Zusammenspiels aller Gene eines Individuums fokussiert, was nicht nur neue Sequenziermethoden vorantrieb, sondern auch die Entwicklung computergestützter Verfahren für die Daten-Analyse erforderte.

Die neusten Erkenntnisse auf dem Gebiet der Tumorbiologie zeigen, dass Krebs eine komplexe Krankheit ist, der mit herkömmlichen Verfahren nicht beizukommen ist. Würde das eine Gen existieren, das den Krebs auslöst, müsste man dieses eine Onko-Gen lediglich identifizieren und eliminieren, um den Tumor zu bekämpfen. Leidlich haben wir in der Vergangenheit lernen müssen, dass nicht ein einzelner Krebs existiert, sondern diverse Subtypen. Ein Onko-Gen wirkt nicht in Isolation, sondern in Wechselwirkung mit anderen Erbfaktoren. Neben der Hyperaktivität von Onko-Genen können gleichwohl Defekte in Tumorsuppressor-Genen zur Krebsentstehung beitragen. Insgesamt ist es ein Zusammenspiel einer Vielzahl von genetischen Elementen, das zur Entartung vormals gesunder Zellen führt. Dabei sind nicht nur die Protein-kodierenden DNA-Sequenzen von Belang. Diese tragen lediglich etwa zwei Prozent zu unserem Erbgut bei. Die regulative Komplexität des menschlichen Organismus erwächst aus den verbleibenden, mehr als drei1 Milliarden Nukleotidbausteinen, die niemals in Eiweißstrukturen übersetzt werden. Selbst deren DNA-Sequenzen sowie die der etwa 20.000 Protein-kodierenden Gene determinieren nicht notwendigerweise unsere Körperzellen auf Gesundheit oder Krebs.
Denn alle 37 Billionen Köperzellen teilen das gleiche Erbgut. Dass ausschließlich Mutationen genügen, die sich im Erbgut einer Zelle und deren Nachkommen außerhalb der Keimbahnen anreichern, damit ein Tumor entsteht, ist selten, weil zelluläre Reparatur- und Vorsorge-Mechanismen existieren. Allerdings können gleichwohl Fehler auftreten, wenn der genetische Code in Eiweißmoleküle übersetzt wird, wenn die Proteine aktiviert oder deaktiviert werden, oder wenn sie schlussendlich entsorgt werden sollen. Die molekularen Maschinerien innerhalb unserer Zellen sind nicht nur vielschichtig verzahnt, sondern agieren auch äußerst dynamisch. Aktivitätszustände von Enzymen können bspw. durch Phosphorylierung und Dephosphorylierung innerhalb von Sekunden ein- bzw. ausgeschaltet werden. Einige Proteinmodifikationen wirken jedoch auf ganz anderen Zeitskalen. So ist die räumliche Anordnung von Proteinen und DNA im Zellkern u. a. vom Acetylierungsmuster der Histone abhängig, um die das Erbgut gewunden ist. Nur wenn an bestimmten Stellen die richtigen chemischen Modifikationen vorgenommen wurden, kann die DNA entwunden und abgelesen werden, um das genetische Programm auszuführen, das einem Zelltyp seine spezifische Funktion verleiht. Aber Acetylierung von Histonen, Entwindung von DNA, sowie deren Transkription und Translation benötigt Zeit; in Summe stets mehrere Stunden. Die Phosphorylierung von regulativen Enzymen oder Transkriptionsfaktoren in Antwort auf ein zelluläres Wachstumssignal geschieht zwar sehr schnell, die nachfolgenden Reaktionen zum Initiieren des Zellwachstums benötigen jedoch eine Menge Zeit und involvieren die Produktion vieler, spezifischer Proteine.
Ob eine Zelle überhaupt Wachstumssignale wahrnehmen kann, wird maßgeblich von der unmittelbaren Zell-Umgebung bestimmt. Benachbarte Zellen können Wachstumshormone aufnehmen und dadurch den Kontakt anderer Zellen mit den Signalmolekülen vermindern. Alternativ können Zellen ihr Signalverhalten gegenseitig beeinflussen, indem sie Botenstoffe austauschen oder sich direkt miteinander verknüpfen über Membran-verankerte Liganden und Rezeptoren.
Welche und wie viele Zellen sich in direkter Nachbarschaft zueinander befinden, hängt wiederum vom menschlichen Organismus in seiner Gesamtheit ab. Es handelt sich zwar um eine unbequeme Wahrheit, doch unsere Gene fixieren unser Schicksal nur zu einem Teil. Immer mehr verstehen wir, wie sich unser Lebensstil auf unsere Gesundheit auswirkt. Rauchen korreliert nicht nur mit dem Auftreten von Lungenkrebs; es steht in einem ursächlichen Zusammenhang. Denn beim Tabakkonsum entstehen polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, die direkt mit dem Erbgut wechselwirken können und damit Mutationen hervorrufen, die das sensible Gleichgewicht innerhalb der Zellen aus der Balance bringen. Dabei wird nicht nur die DNA eines Gens innerhalb eines Zelltyps verändert, sondern das Erbgut verschiedener Zellen kann an unterschiedlichen Stellen betroffen sein mit weitreichenden Konsequenzen für den Stoffwechselhaushalt ganzer Zell-Populationen.

Was im Detail bei der Entstehung unterschiedlicher Krebstypen geschieht, ist bisher nur in Teilen verstanden, aber die Konsequenzen sind genauso unbestritten wie fatal: Entartung von Zellen, Tumorwachstum und Metastasierung. Um allen Menschen die optimale, individuelle Krebs-Vorsorge und -Therapie bieten zu können, benötigen wir mehr als nur den zellulären Bauplan in Form von DNA-Sequenzen. Wir müssen wissen, wie die zellulären Bausteine zusammenpassen. Die Bauarbeiten in den Zellen stellen einen zeitlich hochaufgelösten Prozess dar, der in seiner Komplexität von einzelnen Wissenschaftlern nur schwer zu durchdringen ist. Erst kürzlich gelang es mir im Verbund mit anderen Wissenschaftlern zu zeigen, wie man von Zelltyp-spezifischen Proteinmengen auf zelluläre Signalverarbeitung und das Zellteilungsverhalten schließen kann. Dabei haben wir mittels Massenspektrometrie die Anzahl von mehr als sechs Tausend verschiedenen Eiweißmolekülen aus einer einzigen Probe bestimmen können. Diese Informationen haben wir dann in das von uns entwickelte mathematische Modell eingespeist, um daraus spezifisch für die Stammzellspender zu berechnen, welche Medikamente die Blutzellen am besten an übermäßiger Zellteilung hemmen. Die Computer-basierten Vorhersagen konnten wir anschließend im Experiment bestätigen. In Zukunft könnte mit diesem Verfahren eine effiziente Personalisierung der Blutkrebstherapie ermöglicht werden, was momentan von mir erprobt wird. Generell ist die Anwendung von Grundlagenforschung im klinischen Kontext jedoch nur dann möglich, wenn Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen zusammenarbeiten und das Optimum aus den momentanen technischen Möglichkeiten im jeweiligen Fachgebiet herausholen. Dies gilt es zu berücksichtigen. Um den Krebs zu besiegen, bedarf es deshalb exzellent ausgebildeter Genetiker. Aber alleine wären diese zurück im vergangenen Jahrhundert. Im Team mit fähigen Biochemikern, Computerwissenschaftlern und Medizinern können die modernen Hochdurchsatztechnologien allerdings ideal genutzt und weiterentwickelt werden, für innovative, translationale Forschung zum Wohle der Patienten.



Adlung L, Kar S, Wagner M-C, She B, Chakraborty S, Bao J, Lattermann S, Boerries M, Busch H, Wuchter P, Ho AD, Timmer J, Schilling M, Höfer T & Klingmüller U (2017) Protein abundance of AKT and ERK pathway components governs cell type-specific regulation of proliferation. Mol. Syst. Biol. 13: 904

1i.e. 3,17

Grundlagenforschung und die Öffentlichkeit - ein Essay von Ulrike Träger

Wir von Real Scientists DE haben einige Wissenschaftler nach ihrer Meinung über die Rolle der Forschung in der Gesellschaft gefragt. Hier ist der Beitrag von Ulrike Träger (@immunoblogist), die auch bald unseren Account für eine Woche als Kuratorin leiten wird:


Ich marschiere für die Grundlagenforschung

Dieser Samstag, der 22. April 2017, stellt ein seltenes Ereignis dar. In 518 Städten weltweit werden Wissenschaftler auf die Straße gehen. Und das, obwohl Wissenschaftler eigentlich dazu neigen, für ihre Forschung zu leben. In ihrer eigenen kleinen Blase sozusagen. Etwas Einschneidendes muss passieren, um Wissenschaftler aus allen Bereichen zu vereinen und zum Demonstrieren zu bewegen. Bemerkenswert ist, dass der „March for Science“ für etwas ist. Nicht dagegen. Ja, die Idee entstand als Protest gegen die neue amerikanische Regierung. Eine Regierung, die wissenschaftliche Erkenntnisse mit "alternativen" Tatsachen ersetzt. Eine Regierung, die nicht an den Klimawandel oder die Sicherheit von Impfungen glaubt. Aber wenn man die Geschwindigkeit sieht, mit der sich das Konzept einer Demonstration für die Wissenschaft auf der ganzen Welt verbreitet hat, muss man sich fragen, ob nicht mehr dahinter steckt.

Populisten sind auf dem Vormarsch in vielen Ländern - denkt nur an die bevorstehenden französischen Wahlen - und sie alle haben eins gemeinsam. Sie neigen dazu, ihre eigenen Wahrheiten zu generieren. Große Versprechen und Aussagen beruhen dabei selten auf fundierten Fakten, dafür meist auf einer Meinung. Aber warum hören die Leute diesen Politikern zu? Warum gibt es keinen größeren Aufschrei für Wahrheit auf der Grundlage von Beweisen? Weil in den meisten Ländern Wissenschaftler als eine Art Elite gesehen werden. Eine Gruppe von Menschen, die unter sich bleibt und zu der die meisten Bürger keine Verbindung haben. Das wird schmerzlich sichtbar, wenn man sieht, wie Wissenschaftler in den Medien dargestellt werden. Sie sind entweder die Schurken (wie in jedem Superhelden-Film) oder Witzfiguren (Big Bang Theory).

Die Leute haben genug von Eliten. Denn wer weiß, was diese Wissenschaftler sich in ihren Elfenbeintürmen wieder gedacht haben, richtig? Aber dieses Denken ist gefährlich - Politiker und Bürger sollten Wissenschaftlern vertrauen. Wissenschaftler widmen sich ihr Leben lang einem bestimmtem Thema. Sie sind Experten in ihrem Bereich und können Beweise liefern, um die Politik zu informieren and damit Gesetze in Gang zu setzen, um jedermanns Leben besser zu machen. Um das Vertrauen der Öffentlichkeit in Wissenschaft wiederherzustellen, müssen Wissenschaftler versuchen, die Öffentlichkeit besser einzubinden. Sie müssen dabei nicht nur wissenschaftliche Methoden und Ergebnisse erklären, sondern sich selbst und den wissenschaftlichen Prozess transparenter und verständlicher machen.

Am Samstag werden viele Wissenschaftler genau dafür auf die Straße gehen. Sie demonstrieren für die Freiheit der Wissenschaft. Sie demonstrieren, um der Welt zu zeigen, wie Wissenschaftler wirklich aussehen. Und während demonstrieren, um sicherzustellen, dass die Politik auf der Grundlage wissenschaftlicher nicht alternativer Tatsachen gestaltet wird, ein großartiger Grund ist, am Samstag teilzunehmen, habe ich persönlich eine anderen Grund.

Ich bin Immunologe, der an einem bestimmten Zelltyp namens Makrophagen und der Frage arbeitet, warum Makrophagen so viele verschiedene Funktionen in verschiedenen Geweben erfüllen können. Das ist Grundlagenforschung. Wissenschaft, die aus Neugier heraus durchgeführt wird, nicht um eine bestimmte Krankheit zu heilen. Für mich ist das, was die Wissenschaft in ihrer reinsten Form ausmacht - das Streben nach Wissen. Was ist während des Urknalls passiert? Wie funktioniert das Gehirn? Was bringt Zellen mit dem gleichen Ursprung dazu, in verschiedenen Umgebungen unterschiedlich zu agieren?

Diese Art von Forschung wird immer schwieriger. Um eine Forschungsidee zu verfolgen, müssen Wissenschaftler Gelder beantragen, um ihr Gehalt zu finanzieren, sowie alle Materialien, die sie für die Durchführung ihrer Forschung benötigen. Alle Zuschussanträge, die ich bisher gesehen habe, beinhalten einen Abschnitt, in dem die Wissenschaftler aufgefordert werden, ihre Forschungsidee auf die globale Gesundheit zu beziehen. Die große Frage ist: Was ist der Nutzen für die Menschheit?

Aber nicht alle Forschung hat unmittelbare Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit, was zwei schwerwiegende Folgen hat. Grundlagenforschung erhält weniger Finanzierung und Forscher suchen (manchmal auf kreative Weise) nach Verbindungen zwischen ihrer Forschung und Krankheiten. Während beides große Auswirkungen hat, ist für mich als begeisterter Wissenschaftskommunikator die zweite Konsequenz schlimmer. Der Versuch, Grundlagenforschung mit der globalen Gesundheit zu verknüpfen, stellt einen wichtigen Blick in die Zukunft dar - denn ohne Verständnis für die grundlegenden Molekularbiologie, die einer Krankheit zugrunde liegt, kann kaum eine Heilung gefunden werden. Im Gegenzug sollte das aber nicht bedeuten, dass der Druck auf Wissenschaftler so groß ist, dass jeder, der einen zellularen Prozess studiert, ihn auch gleich mit der Krankheit verknüpfen muss. Dieses Verhalten führt zu schlechten Wissenschafts-Schlagzeilen. Wissenschaftliche Ergebnisse werden dann in den Medien falsch interpretiert und übertrieben dargestellt. Das kann falsche Hoffnungen in Patienten wecken und ist Teil des Problems, warum die Öffentlichkeit den Glauben an die Wissenschaft verliert.

Öffentliche Gelder sollten für die Erforschung der am häufigsten vorkommenden Krankheiten ausgegeben werden. Die Sache ist - auch Grundlagenforschung hilft, Krankheiten zu heilen. Grundlagenforschung zielt darauf ab, Informationen zu unserem Verständnis der Welt hinzuzufügen, indem man versucht, Mechanismen oder Wege innerhalb von Zellen oder Wechselwirkungen zwischen Zellen zu analysieren. Wie können wir erwarten, dass Wissenschaftler eine bestimmte Krankheiten heilen können, wenn wir (1.) die Biologie hinter der Krankheit nicht verstehen oder/und (2.) nicht die Technologie haben, um ein Medikament zu produzieren?

Die Implikationen für Grundlagenforschung sind nicht immer sofort absehbar. Wir müssen dies anerkennen und Respekt für die Grundlagenforschung haben. Ein gutes Beispiel für die manchmal unvorhersehbaren Konsequenzen der Grundlagenforschung ist, wie die Behandlung für Diabetes erschwinglich gemacht wurde. Es begann mit Diabetes-unabhängiger Forschung, die untersuchte, wie sich Bakterien vor Viren schützen. Wenn ein Virus ein Bakterium infiziert, fügt es seine eigene DNA in das Bakterium ein, um die Bakterien-eigene Proteinsynthese-Maschinerie zu nutzen, um mehr Viren zu produzieren. Als Schutz haben Bakterien sogenannte Restriktionsenzyme entwickelt, die die Virus-DNA spezifisch schneiden und damit die Virusreproduktion hemmen. Wissenschaftler haben Restriktionsenzyme seitdem zu einem Forschungsinstrument weiterentwickelt, das es ermöglicht, spezifische Teile von DNA (genannt Gene) zu schneiden. Wenn diese Gene in Bakterien eingefügt werden, ermöglicht die schnelle Replikation von Bakterienzellen die schnelle Produktion der Proteinen, die von diesen Genen kodiert werden. Auf diese Weise können Bakterien verwendet werden, um menschliche Proteine ​​wie Insulin zu produzieren. Diese Art der Insulinproduktion hat die Diabetesbehandlung revolutioniert und bezahlbar gemacht.


Deshalb werde ich am Samstag für die Wissenschaft demonstrieren. Ich werde für die Freiheit marschieren, die Grundlagen der Biologie zu erforschen. Denn man kann nie so genau wissen, wo uns diese Erkenntnisse hinführen werden.

Sunday, April 16, 2017

Die Geheimnisse hinter der Homöopathie - Natalie Grams ist jetzt bei Real Scientists!


Wir freuen uns ganz außerordentlich, euch unsere neue Kuratorin Natalie Grams (@nataliegrams1vorstellen zu dürfen! Natalie ist Ärztin, Ex-Homöopathin, Skeptikerin, Leiterin des Informationsnetzwerks Homöopathie (www.netzwerk-homoeopathie.eu), sowie Kommunikationsmanagerin für die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V. (GWUP) und den Deutschen Konsumentenbund (DKB).

Die Themen Alternative Medizin / Homöopathie, Parawissenschaften, und Medizin sind untrennbar mit der Wissenschaftskommunikation verbunden. Wir freuen uns daher sehr darauf, von Natalie mehr zu diesem Themenkomplex zu erfahren.

Erfahrt zunächst mehr über Natalie selbst; hier in ihren eigenen Worten:

Ich war lange überzeugte Homöopathin und hatte - obwohl Ärztin - von Wissenschaft mehr Vorurteile als Verständnis. Das hat sich geändert während der Recherche zu meinem Buch ,Homöopathie neu gedacht', bei der ich erstmals verstanden habe, was Wissenschaft kann und möchte und was der Unterschied zu Parawissenschaft und Esoterik ist. Gerade in der Medizin ist diese Grenze oft sehr schmal und das Verständnis von Wissenschaft ist unter Ärzten oft nicht sehr groß. So kam auch ich - trotz akademischer Laufbahn - erst spät zu Wissenschaft. 

Ich möchte aufklären über Homöopathie und andere Pseudowissenschaften. Damit vielleicht andere vor meinem Fehler bewahrt werden und vor allem Patienten vor falschen Heilsversprechen beschützt werden können. 
Ich erlebe vor allem im Netz, aber auch in Gesprächen mit Kollegen, dass hier viel
Unwissen herrscht und auch viel Verunsicherung. Dagegen möchte ich gerne etwas tun, auch weil ich ja weiß, wie schnell man auf Glaubensgebäude unwissentlich hereinfallen kann. Und wie warm und kuschelig es sich dort anfühlt - nur mit Wissenschaft und Wissen hat es eben nichts zu tun.  

Meine Arbeit findet - neben Vortragsveranstaltungen und Interviews sowie TV-Beiträgen - vor allem im Internet statt. Auf Blogs, unserer Netzwerkseite und auf Facebook und Twitter versuche ich aufzuklären, was Homöopathie und Naturheilkunde wirklich sind, was sie können und was nicht. Dabei spielen auch andere Themen wie Impfaufklärung, Viren- oder Krebsleugnung oder nicht medizinische Themen wie Chemtrails eine Rolle. Insgesamt geht es um die Vermittlung von einem besseren Wissenschaftsverständnis, den Abbau von Vorurteilen und auch Ängsten. Aufgrund meiner eigenen Biografie kenne ich die Gefühle, Argumente und Gedanken, die man in der ,Alternativbranche' hat, sehr gut und hoffe, ein wenig vermitteln zu können. 

Homöopathie und andere Pseudomethoden haben es geschafft, als gut und hilfreich, ja sogar als wissenschaftlich seriös, wahrgenommen zu werden - den meisten Fakten zum Trotz. Wieso das so ist, betrifft uns alle an verschiedenen wunden Punkten - wir neigen nicht automatisch zum rationalen, analytischen und letztlich wissenschaftlichen Denken. Dass gerade dieses aber auch Spaß machen kann und das Leben bereichert und auch vereinfacht, das motiviert mich. 

Ich organisiere derzeit die SkepKon mit. Eine Konferenz für wissenschaftliches und kritisches Denken, die dieses Jahr in Berlin stattfindet. www.skepkon.org. Dort seid Ihr alle herzlich willkommen! 
Beim Science March Ende der Woche (22.4.) mache ich auch gerne mit und bin im Orgateam des ScienceMarch Heidelberg. 

Ich bin ,nebenbei' Mutter von drei Kindern und tanze Tango argentino - irgendwann hat auch die Wissenschaft mal Pause. 

Wie sieht dein idealer freier Tag aus? 
Freier Tag? Holla, das kann ich mir gar nicht vorstellen. Meine Arbeit begleitet mich Tag für Tag und jede Stunde. Aber ich kann auch gut abschalten beim Tanzen, Freundinnen auf einen Kaffee Treffen, Lesen und mit den Kindern Sein. Meine Freiheit ist, dass ich oft von zu Hause aus arbeiten kann und keinen Bürojob habe. 




Bitte heißt Natalie ganz herzlich bei Real Scientists DE willkommen!

Sunday, April 9, 2017

Farbenfrohe Superorganismen - Bastian Greshake ist jetzt bei Real Scientists DE!

Wir freuen uns sehr, euch heute Bastian Greshake (@gedankenstuecke) als neuen Kurator vorstellen zu dürfen! Bastian ist Doktorand in der Abteilung für Angewandte Bioinformatik an der Goethe Universität in Frankfurt und beschäftigt sich mit 



Die Biologie hat mich schon seit der frühen Schulzeit fasziniert, so war es für mich keine wirklich schwere Entscheidung ein entsprechendes Studium einzuschlagen. Und da die Faszination seitdem nicht weniger geworden ist war der Weg in Wissenschaft vorprogrammiert. 

Evolutionsbiologie und Genetik/Genomik sind zwei Felder die sich gegenseitig extrem stark beeinflussen. Genomische Studien ohne Berücksichtigung der evolutionären Hintergründe und Prozesse ist fast unmöglich, und gleichzeitig erlaubt moderne Genomik uns ein besseres Verständnis von Evolution zu bekommen. Was mich interessiert ist: Wie kommt es zur unglaublichen Artenvielfalt die wir überall um uns herum beobachten können? Und wie hat die evolutionäre Geschichte die heutigen Interaktionen zwischen Arten beeinflusst? 

Für meine Doktorarbeit vergleiche ich die Genome von verschiedenen Flechten. Und ich meine nicht die Hautkrankheiten sondern diese oft farbenfrohen (grün/rot/braunen) Dinge die überall auf Dächern, Bäumen und sogar Steinen/Böden wachsen. Was Flechten so spannend macht ist, dass sie nicht nur einzelner Organismus sind, sondern gleich ein gesamtes, kleines Ökosystem sind. Als symbiotisches System bestehen sie aus einer Kooperation von einem  Pilz, einem Photosythese betreibendem Partner (was eine Alge oder ein Bakterium sein kann) und gleich einer ganzen Gemeinschaft von verschiedenen Bakterien. 
Um zu verstehen, wie diese verschiedenen Organismen interagieren, um einen solchen Superorganismus zu ermöglichen, sequenzieren wir die Genome der beteiligten Organismen, was durch die enge Vermischung der Einzelorganismen an sich schon eine Herausforderung ist. Dies ermöglicht uns schlussendlich zu sehen, welche Partner stabil in diesen Gemeinschaften vorkommen, zu vergleichen wie sich die Genome von Flechten-bildenden und nicht-Flechten-bildenden Pilzen unterscheiden und hoffentlich auch zu sehen wie die Partner miteinander interagieren.
In der Praxis bedeutet es, dass ich mehr oder weniger den ganzen Tag lang an meinem Schreibtisch stehe, um die entsprechenden Daten vorzubereiten, bioinformatische Analysen durchführe und die Ergebnisse auswerte.   

Ökosysteme sind oft etwas extrem großes und komplexes und damit nur schwer für uns fassbar. Flechten, diese unscheinbaren Dinge die überall um uns herum sind, sind Ökosysteme in einem sehr kleinen Massstab. Die Hoffnung hier ist, dass die Erkenntnisse die man im kleinen Masstab gewinnt auch einen Nutzen dafür haben um komplexere Ökosysteme zu verstehen.

Neben meinem Job an der Uni bin ich im Bereich Open Science aktiv. Ein guter Teil dieser Aktivitäten beschäftigt sich mit openSNP, einer offen zugänglichen Datenbank welche „Personal Genomics“-Daten bereitstellt. Jede die schon mal einen Gen-Test über kommerzielle Anbieter wie 23andMe oder andere gemacht hat kann dort ihre so gewonnen Daten hochladen und damit der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Das Ziel ist, dass Wissenschaftler*innen und auch Citizen Scientists überall auf der Welt diese Daten für ihre eigene Forschung nutzen können. Neben der Wartung unserer Systeme, dem Bugfixing etc. verbringe ich viel Zeit mit der Öffentlichkeitsarbeit für das Projekt um mehr Leute über die Möglichkeiten die wir bieten zu informieren. Wenn dann noch Zeit bleibt beschäftige ich mich damit wie Wissenschaftler heutzutage publizieren, z.B. damit das ich die analysiere wie Bezahlschranken zu akademischen Artikeln durch illegale Angebote wie Sci-Hub umgangen werden oder durch Beiträge in entsprechenden Arbeitsgruppen zur Zukunft des „academic publishings“. Diese Dinge dürften auch zu meinen interessantesten Hobbies gehören.

Je nachdem ob man Open Science als Beruf oder Berufung ansieht, gibt es unter Umständen nur wenige wirklich freie Tage für mich. An den „wissenschaftsfreien Tagen“ zieht es mich entweder mit einem Buch auf die Couch oder raus in die Natur, Abends auch gerne auf Konzerte.


Bitte heißt Bastian ganz herzlich bei Real Scientists DE willkommen!

Sunday, April 2, 2017

Wissenschaft und wie man sie verbreitet - Michaela Maya-Mrschtik ist jetzt bei Real Scientists DE!

Wir freuen uns außerordentlich, euch Michaela Maya-Mrschtik (@MiMrMa) als neue Kuratorin vorstellen zu dürfen! Michaela ist Content-Manager bzw. freiberuflicher Journalist) bei Spektrum der Wissenschaft.
Michaelas Arbeit vereint gleich mehrere hochinteressante Themen: Krebsforschung, Leben und Arbeiten im Ausland, und nicht zuletzt der Ausstieg aus der direkten Forschung zu Gunsten einer Karriere im Wissenschaftsjournalismus.

Hier ist Michaela in ihren eigenen Worten:

Ich wollte schon als ich zu studieren begann später mal forschen. Als ich mir dann während eines Praktikums einen ersten Eindruck von der Krebsforschung machen konnte, habe ich mich entschieden, dass ich gerne in dem Bereich promovieren möchte. Ich habe mein Praktikum in London gemacht, und habe mich dann weiter nach PhD-Stellen im UK umgesehen - so bin ich auf die Ausschreibung vom Beatson Institute in Glasgow gestoßen. Als ich angenommen wurde, habe ich nicht zwei Mal überlegt, sondern gleich zugeschlagen.

Die Krebsforschung war eine teils persönliche Entscheidung - eine ehemalige Klassenkollegin starb mit 19 an Gebärmutterhalskrebs - und teils auch, weil mich das Thema immer schon interessiert hat. Der W

echsel in Richtung Journalismus war dann eine Herzensentscheidung - ich habe mich während meines PhDs immer wieder in WissKomm-Bereichen engagiert und mich einfach in diese Art der Arbeit verliebt. Nach meinem PhD wollte ich etwas derartiges dann hauptberuflich machen.

Ich habe gerade als "Content-Manager" beim Verlag Spektrum der Wissenschaft angefangen. Ich teile meine Arbeitszeit zwischen drei Projekten auf: 1. Das Erstellen von "Kompakts" - Artikel zu einem Themenbereich, die wir in einer Digitalpublikation herausbringen. 2. AcademiaNet - ein Projekt zur Förderung von exzellenten Wissenschaftlerinnen. 3. SciViews - eine Website, die Wissenschaftsvideos aus dem Web sammelt und rezensiert. In den drei Projekten fallen dann verschiedene Arbeiten an, von schreiben über redigieren und ins Content Management System einpflegen bis hin zu Interviews führen, Produkte zusammen stellen, Kollaboratoren betreuen und und und. Viel Abwechslung, und viel Raum, um mich weiter zu entwickeln. Das ist sozusagen mein Tagesjob - in meiner Freizeit werde ich auch als freie Wissenschaftsjournalistin und eventuell Fachübersetzerin arbeiten, sobald ich mich hier etwas eingelebt habe.

Meine vergangene Stelle - als PhD Student in der Krebsforschung - ist sicher etwas, das viele Leute interessiert. Ich kann erzählen, wie es allgemein so in der Krebsforschung abläuft, welche Art von Experimenten ich normalerweise gemacht habe, wie die "Stimmung" in dem Bereich so ist und wie die Forschungslandschaft im UK aussieht (bzw. zu Zeiten pre-Brexit aussah). Meine Umorientierung in den Bereich WissKomm wird sicher auch ein paar Personen interessieren - besonders ForscherInnen, die auch einen Ausstieg aus der Wissenschaft planen, aber auch jeder, der Wissenschaftsnews konsumiert und Mal einen Blick hinter die Kulissen werfen will.

In meiner Freizeit nehme ich auch freelance Aufträge als Wissenschaftsjournalist und Übersetzer an.

Ich fotografiere gern - besonders auf Reisen - und ich genieße es, zu kochen (und zu essen... ;) )

Wie sieht dein idealer freier Tag aus?
Sonne - viel Sonne! - Strand und Meer, aber auch kombiniert mit Stadtleben. 
Z.B. Frühstück im Café mit Meerblick, dann zur Fotografie- oder Kunst-Ausstellung ins Museum, kleiner Spaziergang durch die Altstadt und Mittagessen im Insider-Lokal, am Nachmittag an den Strand - vorzugsweise mit einem guten Buch unter eine Palme - und Abendessen mit Freunden und Familie an der Riviera, mit frischem Fisch und gutem Wein. :)

Bitte heißt Michaela ganz herzlich bei Real Scientists DE willkommen!