Diese Woche freuen wir uns auf unseren Kurator Christoph Molnar (@ChristophMolnar)! Christoph hat Statistik (Bachelor und Master) an der LMU München studiert, und 2022 im Bereich Machine Learning promoviert. Er ist jetzt freiberuflicher Autor und schreibt Fachbücher rund um das Thema Machine Learning.
Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Auf Umwegen.
Nach meiner
Masterarbeit war ich mir sicher: Ich will absolut nicht in die Wissenschaft.
Das Schreiben der Masterarbeit war nervenaufreibend und ich war froh nie wieder
eine wissenschaftliche Arbeit schreiben zu müssen.
Ironischerweise bin ich mittlerweile hauptberuflich Autor. Nach dem Studium
habe ich als Data Scientist bei einem Startup gearbeitet, später als
Statistiker bei dem Schweizer Register für rheumatische Erkrankungen. Abstand
zur Uni und neue Erfahrungen haben mir geholfen. Ich habe gemerkt, wie
unperfekt und chaotisch die Welt ist, und dass auch die Wissenschaft alles
andere als perfekt ist. So konnte ich meinen eigenen Perfektionismus durch mehr
Pragmatismus austauschen. Aus meinem neuen Blick auf unsere chaotische Welt war
die Forschung nicht mehr so abschreckend. Gleichzeitig habe ich neben meinem
Statistiker-Job wieder angefangen Paper zu lesen, und deren Inhalte
zusammenzufassen (Schreiben also!). Es hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich
mich entschied einen Doktor zu machen.
Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält
dich dort?
Die Entscheidung
Statistik zu studieren war einfach, weil es in gewisser Hinsicht bedeutete,
dass ich mich NICHT entscheiden musste: Statistik ist wie ein
Hausmeisterschlüssel der die Türen zu allen Branchen aufmachen kann. Daten
analysiert man (fast) überall: In quantitativen Wissenschaften (z.B. Ökologie),
in mittelständischen Unternehmen, in der medizinischen Forschung, im Marketing,
...
Machine Learning ist ein ähnliches "Schweizer Taschenmesser", welches
Einsatz in vielen Bereichen findet, von automatischer Erkennung von
Produktschäden, und Vorhersage von Absatzzahlen, bis hin zur Erkennung von
Hackerangriffen. Allerdings gibt es ein Problem: Prognosemodelle des Machine
Learning sind oft undurchsichtige Algorithmen. Statistik ist das Gegenteil:
Statistische Modelle sind (weitestgehend) interpretierbar, da man meist über
Zusammenhänge lernen möchte. Zum Beispiel ob ein Medikament den Krankheitsverlauf
beeinflusst, oder warum manche Wälder stärker von Dürre betroffen sind. Mein
Feld, Interpretable Machine Learning, beschäftigt sich damit
Interpretierbarkeit - soweit möglich - auch zum Machine Learning zu bringen.
Tatsächlich bin ich aber nicht mehr an der Universität, sondern freiberuflicher
Autor. Mich hat letztendlich das Paper schreiben genervt: Es gibt starke
Konventionen wie ein Paper formatiert und strukturiert werden muss - zum
Teil sinnvoll, aber für mich nimmt es den Spaß am Schreiben; Publish-or-perish
bedeutet: Es ist wichtiger viele, aber möglichst kleine
"Forschungspakete" in den "richtigen" Journals zu
publizieren, anstatt bedeutungsvolle Forschung zu machen. Der Peer Review
Prozess - im Kern eine super Idee - gleicht mehr einer Lotterie als einer
Qualitätsprüfung, weil Editoren (in meinem Feld) Schwierigkeiten haben,
anständige Reviewer zu finden.
Jetzt schreibe Fachbücher rund um das Thema Machine Learning.
Interpretierbarkeit ist weiterhin ein zentrales Thema, über das ich schreibe.
Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Die Antwort hat zwei Teile: Meine Doktorzeit und meine Zeit danach.
In meiner Doktorarbeit
habe ich mich mit der Interpretierbarkeit von Algorithmen des Machine Learning
beschäftigt. Da dieses Feld teilweise neu ist, war ein Teil meiner Arbeit die
Konsolidierung von Methoden: Übersichtsarbeiten schreiben, Software entwickeln,
Stärken und Schwächen verschiedener Interpretationsmethoden zusammenfassen.
Ansonsten habe ich mich in meiner Doktorarbeit mit der Weiterentwicklung
bestehender Methoden und mit der Untersuchung von Limitationen von
Interpretationsmethoden beschäftigt.
Als selbstständiger Autor ist ein Teil dieser Arbeit gleichgeblieben, vor allem
das Lesen von Papern und natürlich das Schreiben an sich.
Aber ich muss mich jetzt auch um Marketing kümmern, und dem ganzen Orgakram
rund um die Selbstständigkeit wie z.B. Buchhaltung.
Meine Fachbücher richten sich an Personen die sich bereits mit Machine Learning
auskennen. Mein erstes Buch, Interpretable Machine Learning, stellt Methoden vor,
um Machine Learning Modelle interpretierbar zu machen. Im Moment arbeite ich an
meinem zweiten Buch, Modeling Mindsets, welches die verschiedenen Philoshopien
beschreibt, mit denen man Daten analysieren kann, zum Beispiel Statistik versus
Machine Learning.
Motivation: Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit
interessieren?
Machine Learning und
Statistik sind nützliche Werkzeuge, um Forschung zu betreiben, (digitale)
Produkte zu bauen und Prozesse zu automatisieren.
Aber gerade Machine Learning, oder besser gesagt Künstliche Intelligenz, ist
viel von Hype umgeben, getrieben von fehlenden Informationen, und übertriebenen
Pressemitteilungen.
Ich denke, dass speziell die Interpretierbarkeit von Machine Learning ein
wichtiges Mittel ist, um einen genaueren Blick auf Machine Learning Algorithmen
zu werfen. Interpretierbarkeit ist auch ein wichtiges Werkzeug, um Probleme von
Machine Learning Algorithmen aufzudecken, Fairness zu studieren und Vertrauen
aufzubauen.
Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen
Aufgaben/Tätigkeiten?
Tatsächlich bin ich gerade dabei, mich von vielen Aufgaben zu trennen und mich
aufs Schreiben zu konzentrieren. Das bedeutet zum Beispiel, dass ich oft Nein
sage zu den meisten Meetings und Einladungen für Talks. Das wird wahrscheinlich
nicht immer so bleiben.
Zum Beispiel bin ich am Überlegen nicht nur Bücher zu schreiben, sondern auch
später einmal Onlinekurse anzubieten.
Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Ich mache Calisthenics, also Kraftsport mit Eigengewicht, meistens draußen.
Ansonsten habe ich Spaß an allem was mit Essen zu tun hat: Von Einkaufen, Kochen,
und Essen, bis hin zu mit Gewürzen zu experimentieren und selber Lebensmittel zu
fermentieren, z.B. Tempeh oder Sauerkraut.
Wenn ich in eine neue Stadt bereise, mache ich diese zwei Dinge immer als
erstes: Nach einem Calisthenics Park suchen, und in einen Supermarkt gehen.
Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Sport machen. Zum Beispiel Calisthenics oder einen Fahrradausflug mit meiner
Partnerin und Freunden. Dann für Freunde kochen und gemeinsam essen.
Bitte begrüßt Christoph ganz herzlich bei Real Scientists DE!