Diese Woche freuen wir uns sehr, euch unsere neue Kuratorin Nicola Scheyhing (@Prehistorytellr) vorstellen zu dürfen! Nicola ist gelernte Reiseverkehrskauffrau und hat in Tübingen Ur- und Frühgeschichte, Vorderasiatische Archäologie und Vergleichende Religionswissenschaften studiert. Eigentlich wollte sie danach zu einem Thema der Ausgrabungen in Nordsyrien promovieren. Der Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien haben diese Pläne zunichte gemacht, deswegen absolvierte sie dann im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle ein Volontariat. Danach arbeitete sie als unabhängige Wissenschaftlerin für verschiedene Projekte und entdeckte dabei ihre Begeisterung für das Geschichte(n) erzählen.
Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Ich
hatte in meiner Kindheit und Jugend wenig Vorstellung davon, was
Wissenschaft ist. Ich bin in einem eher konservativen Elternhaus
aufgewachsen, die einzige geisteswissenschaftlich Interessierte auf
weiter Flur, und seit der Kindheit als Leseratte etwas beäugt von meiner
eher technisch-bodenständigen Verwandtschaft. Museen und Forschung
spielten keine Rolle, waren höchstens im Urlaub als Freizeitaktivität
ein Thema. Ich habe mich schon seit meiner Grundschulzeit für Menschen
der Vergangenheit interessiert, historische Romane und
Expeditionsberichte verschlungen und mich gegen die Vorstellung meiner
Eltern durchgesetzt und auf dem zweiten Bildungsweg Abitur gemacht. In
dieser Zeit habe ich mich vermehrt auf historische Themen fokussiert,
aber wollte gern etwas mit mehr praktischem Bezug. Ein Bekannter weckte
mein Interesse an Archäologie, und erst durch ihn und sein Studium wurde
mir bewusst, dass das etwas ist, was nicht nur britische Adelige in
Ägypten oder der Türkei machen. Mein Wunsch nach einem Studium musste
ich aber zunächst zurück stellen und eine Lehre zur
Reiseverkehrskauffrau absolvieren, worauf meine Eltern bestanden. Wider
ihren Erwartungen hatte ich meinen Traum vom Archäologiestudium nach
drei Jahren Ausbildung aber nicht ad acta gelegt, und begann 2004, Ur-
und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie in Tübingen zu
studieren. Mein Studium habe ich zu einem großen Teil selbst durch
Grabungsjobs finanziert, und 2011 mit dem Magister abgeschlossen. Die
geplante Doktorarbeit ist seitdem aufgrund unzählicher Hindernisse bis
heute immer noch genau das – ein Plan. Tja, und damit stellt sich die
alles entscheidende Frage: bin ich denn in der Wissenschaft gelandet? Ab
wann ist man denn ein Wissenschaftler? Sicherlich ein Thema, was ich in
„meiner“ Woche bei RealSciDE zur Diskussion stellen werde.
Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Ich
bin fasziniert davon, wie kleine Fragmente von Objekten Geschichten
erzählen können. Das Erzählen der Geschichten von Objekten, die von
lange vergangenen Zeiten und der Menschen dieser Zeiten berichten,
können in der Archäologie unter anderem die archäologischen Museen und
die Menschen, die dort arbeiten, leisten. Durch meine Arbeit in Museen,
erst als Volontärin in der Ausstellungskuration, dann als Gästeführerin,
hat mir gezeigt, dass ich meine eigene Begeisterung und Faszination
durch meine Erzählung auf andere Menschen übertragen und dadurch ihr
Interesse wecken kann. Daher fühle ich mich als
Wisenschaftskommunikatorin, als Vor-Geschichtenerzählerin, in Museen am
richtigen Platz um das zu tun, was ich mit Leidenschaft mache: Menschen
Geschichten über das zu erzählen, was mich selbst begeistert.
Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Ich
bin seit August 2021 angestellt auf einer halben Stelle für PR und
Öffentlichkeitsarbeit im Besucherzentrum Arche Nebra am Fundplatz der
Himmelsscheibe von Nebra. Eine weitere, befristete halbe Stelle habe ich
als Koordinatorin des Tourismusnetzwerks Himmelswege inne. Hier
koordiniere ich Marketing- und Kooperationsvorhaben von fünf Stationen
mit archäologischer und astronomischer Relevanz in Sachsen-Anhalt und
den dahinter stehenden Institutionen.
Motivation: warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Obwohl
Archäologie in der Öffentlichkeit auf großes Interesse stößt, und wir
Archäologen mit Geschichten, die viele Menschen interessieren,
aufregenden Fundstücken, gut etablierten und vernetzten „Werkzeugen“ wie
Museen, Publikationen oder Dokumentationen eigentlich super aufgestellt
sein müssten, unsere Wissenschaft und ihre Erkenntnisse zu vermitteln,
verlieren wir doch immer häufiger die Deutungshoheit an
pseudowissenschaftliche Auslegungen. Der Erfolg von
Verschwörungserzählungen a la „Ancient Aliens“ spricht Bände, und trägt
dazu bei, dass bestimmte Narrative als Grundlage von extremistischen
Ideologien missgedeutet und missbraucht werden können. Dagegen hilft,
wenn wir Forschenden Geschichten selbst und besser zugänglich erzählen,
und dafür versuche ich (wie viele andere SciCom-Archäologen auch),
Verständnis und Interesse zu wecken.
Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Mein Arbeitsalltag lässt mir nicht allzu viel Freizeit. Die nutze ich für Projekte, die ich bereits vor dem Antritt meines Jobs begonnen hatte, und die im Job keinen Platz finden: Mitarbeit in verschiedenen Gruppen und Gemeinschaften wie bspw. HAWK digital Network zur Wissenschaftskommunikation in den historischen und archäologischen Wissenschaften. Verschiedene Talks und Papers zu Themen, an denen ich forsche, wie jungsteinzeitliche Tonfiguren aus Nordmesopotamien, und was sie uns über die Mensch-Tier-Verhältnisse erzählen. Oder zu der Frage, wie divers die Bilder sind, die wir von Gesellschaften der Vergangenheit produzieren und kommunizieren. Mein zeitaufwändigstes Hobby, dass aktuell ziemlich zu kurz kommt, ist meine Promotion: dabei arbeite ich zu Bestattungen des 6. Jahrtausends vor Christus in Nordmesopotamien. Wenn dann Zeit bleibt, und ich den Kopf frei bekommen muss, greife ich auf eher weniger spektakuläre Tätigkeiten zurück: ich backe, und ich mache ein wenig Yoga.
Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Mein perfekter Tag fängt nicht allzu früh an, ich bin nicht gerade ein Frühaufsteher.
An einem perfekten Tag hätte ich aber ausreichend Schlaf bekommen, und Energie und Motivation, ein paar Yoga-Asanas in der Sonne am offenen Fenster oder im Freien zu machen. Dann ginge es zu einem Frühstück in ein kleines Café, vor dem man sitzen und Menschen beobachten kann. Nach ausreichend Kaffee, gutem Essen und Sonne geht’s auf Erkundungstour: Straßen erforschen, einen neuen Wanderweg mit interessanten Aus- und Einblicken am Wegesrand, oder eine Tour durch ein Museum. Ich liebe es, neue Eindrücke aller Art zu sammeln. Zwischendurch darf es gern eine kleine kulinarische Neuentdeckung Streetfood sein. Meine Entdeckungstouren mache ich am liebsten zu Fuß, dabei kommen gern schonmal 20 bis 30 Kilometer Fußweg am Tag zusammen. Daher endet der Tag herrlich erschöpft, am liebsten in einer lauen Sommernacht, wieder vor einem Café oder Restaurant, mit einem guten Glas Rotwein oder einem lokalen Bier, während ich die neu gewonnenen Geschichten des Tages Revue passieren lasse.
Bitte begrüßt Nicola ganz herzlich bei Real Scientists DE!