Diese Woche freuen wir uns auf unsere Kuratorin Sophia Sonja Guthier (@heastorian.bsky.social)! Sophia studierte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Geschichte und Politikwissenschaft (B.A.) und anschließend Geschichte (M.A.) mit Schwerpunkt Landesgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Von April 2018 bis Dezember 2019 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Koblenz-Landau, Abteilung Politikwissenschaft, Bereich „Politisches System der BRD“. Von Januar 2020 bis Ende Mai 2023 war Sophia Teil des Graduiertenkollegs 2304 „Byzanz und die euromediterranen Kriegskulturen“ im Fach Osteuropäische Geschichte. Ihre Dissertation zum Thema „Waräger und Ostslaven als Bedrohung von Byzanz in der russischen Textkultur des 18. und 19. Jahrhunderts“ reichte sie am 29. März 2023 ein. Zukünftig wird sie als Center Managerin an der Graduate School of Economic and Social Sciences am Center for Doctoral Studies in Business an der Universität Mannheim wirken.
Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Für den Master im Fach Geschichte bin ich nach Mainz gezogen und habe dort meine Liebe für Osteuropäische Geschichte entdeckt, obwohl mein Schwerpunkt eigentlich auf der Landesgeschichte lag. In meiner Masterarbeit habe ich beides vereint und über die Wahrnehmung und Integration von Russlanddeutschen im Rhein-Main-Gebiet von 1990 bis 2015 geschrieben. Den direkten Weg in die Wissenschaft habe ich nach dem Studium im Jahr 2017 nicht unbedingt gesucht, sondern habe mich auf verschiedene Stellen beworben, darunter auf die Stelle der wissenschaftlichen Mitarbeiterin an der (ehemaligen) Universität Koblenz-Landau in der Abteilung Politikwissenschaft, Bereich „Politisches System der BRD“, wo ich fast 2 Jahre blieb und viel gelernt habe. Da ich weiterhin in Mainz wohnte, hat es mich daraufhin an das Graduiertenkolleg 2304 „Byzanz und die euromediterranen Kriegskulturen“ gezogen, wo ich mich wieder meiner Liebe zur osteuropäischen Geschichte widmen konnte.
Ab Februar 2024 werde ich
als Center Managerin an der Graduate School of Economic and Social Sciences
zwar weniger eigene Forschung betreiben, dafür Nachwuchswissenschaftler:innen
bei ihrem Weg in die Wissenschaft unterstützen. Wobei ich mich weiterhin privat
mit osteuropäischer Geschichte beschäftigen möchte und assoziiertes Mitglied am
Graduiertenkolleg bin.
Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Da ich meine neue Stelle
noch nicht angetreten habe, spreche ich jetzt erstmal über meine Entscheidung,
ans Graduiertenkolleg zu gehen: Als ich die Stellenausschreibung des
Graduiertenkollegs damals gesehen habe, war ich direkt interessiert. Das dürfte
zunächst erstaunen, weil ich eher zeitgeschichtlich bzw.
politikwissenschaftlich unterwegs gewesen bin. Aber ich habe eine weitere
Begeisterung: alte Sprachen! Ich war an einem humanistischen Gymnasium und
hatte Latein- und Altgriechisch-Leistungskurs. Außerdem verfüge ich über
Russischkenntnisse. Ich hatte das Gefühl, dass sich an dieser Arbeitsstelle
alle meine Stärken vereinen könnten. Ich wählte als Dissertationsthema „Waräger
und Ostslaven als Bedrohung von Byzanz in der russischen Textkultur des 18. und
19. Jahrhunderts“ in der (rückblickend etwas naiven) Vorstellung, mich
erfreulicherweise mit Dingen auseinanderzusetzen, die nur bedingt mit der
Gegenwart zu tun haben.
Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Meine ursprüngliche Annahme, meine Dissertation habe nur wenig mit unserer Gegenwart zu tun, wurde nach und nach bis zur Ausweitung des Ukraine-Krieges durch Wladimir Putin am 24.2.2022 reichlich widerlegt. Er instrumentalisiert Geschichte zur Rechtfertigung des Krieges. Themen, mit denen ich mich in meiner Dissertation beschäftigt habe, wurden plötzlich aktuell:
Ich arbeitete zu der Frage, wie die Beziehungen zwischen Warägern und Ostslaven, also der Kiewer Rus, und Byzanz vom 9.-12. Jahrhundert in der russischen Textkultur des 18. und 19. Jahrhunderts dargestellt wurden. Mich interessierte dabei die Wahrnehmung der kriegerischen Auseinandersetzungen und der militärischen Kooperation zwischen der Kiewer Rus und Byzanz. Aber auch die Wahrnehmung des kulturellen Austauschs und der Handelsbeziehungen waren von Bedeutung. Ein weiterer Punkt war die Frage, ob die Waräger als das „Eigene“ oder das „Fremde“ dargestellt wurden. Ich wählte (kirchen-)historiographische, geschichtsphilosophische Arbeiten und Aufsätze aus (kirchen-)geschichtlichen Zeitschriften des 18. und 19. Jahrhunderts aus. Dabei nutzte ich die Methoden der historischen Diskursanalyse. Meine Ergebnisse zeigen, dass Waräger je nach Standpunkt der unterschiedlichen Autoren aus russischer Perspektive sowohl als das „Eigene“, als auch als das „Fremde“ wahrgenommen wurden. Die Beziehungen zwischen der Kiewer Rus und Byzanz werden ambivalent gesehen: Bei militärischen Konflikten mit Byzanz werden die Waräger und Ostslaven als Bedrohung dargestellt. Militärische Kooperationen werden kaum erfasst. Der kulturelle Einfluss wird wahrgenommen, aber ambivalent betrachtet. Die Arbeit berührt Fragen der Identität und des Nationsbewusstseins, die bis in die heutige Zeit in Russland wirken.
Eingereicht habe ich die Dissertation im März 2023.
Motivation: Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit
interessieren?
Wie bereits oben angedeutet, beschäftige ich mich in meiner Dissertation mit Themen, die bis heute Russland (und die Ukraine!) prägen und beschäftigen. Ein wichtiges Thema innerhalb meiner Dissertation ist die Darstellung der Christianisierung der Kiewer Rus in den Quellen des 18. und 19. Jahrhunderts. Einige meiner Quellen beziehen sich in ihren Beschreibungen auf die älteste, altostslawische Chronik aus dem 12. Jahrhundert, die beschrieb, dass die Christianisierung der Kiewer Rus im Jahr 989 durch Großfürst Wladimir I. mit einer Schlacht gegen Byzanz zusammenhing. Allerdings sind die in der sogenannten Nestorchronik beschriebenen Geschichten zur Taufe Wladimirs als legendenhaft zu bewerten. In der Forschung sind die Umstände der Taufe umstritten. Sicher ist die Taufe Wladimirs im Jahr 989, aber auch, dass das Christentum bereits davor im 9. Jahrhundert in der Gegend in Erscheinung getreten ist.
Seit 2022 wird in der Ukraine „der Tag der Taufe“ als „Tag der ukrainischen Staatlichkeit“ gefeiert. In Russland ist der Tag ein Gedenktag. Die Legenden der Nestorchronik sind dabei in der Bevölkerung sehr präsent: das habe ich im vergangenen Jahr bemerkt, als ich mir die Berichterstattung in den russischen Medien an dem Tag zu dem Thema angesehen habe. Ich habe darüber auch auf meinem Instagram-Kanal h_east_orian geschrieben: https://www.instagram.com/p/CvfRIJgsehs/
Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen
Aufgaben/Tätigkeiten?
Ehrenamtlich setze ich mich gegen Lebensmittelverschwendung ein und bin seit November 2014 bei der Initiative Foodsharing in Mainz als Foodsaverin aktiv. In Kooperation mit Betrieben engagieren wir uns gegen Lebensmittelverschwendung und retten (legal!) Lebensmittel vor dem Müll.
Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
In meiner Freizeit betreibe ich meinen Instagamkanal @h_east_orian (480 Follower:innen), in welchem ich mich (meist) mit der Geschichte und Politik Osteuropas auseinandersetze. Außerdem betreiben mein Mann und ich gemeinsam eine Geschichte-Quiz-Webseite (www.geschichte-quiz.de). Man könnte meinen, Geschichte wäre nicht nur mein Beruf, sondern auch mein Hobby.
Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forschende sind ja auch nur
Menschen)?
Da ich auch sehr gerne mit meiner Spiegelreflexkamera fotografiere, wäre ein Spaziergang am Morgen mit Morgentau und Sonne ein idealer Tagesbeginn, um Fotos zu schießen. Danach eine Runde meine Bilder zu bearbeiten, wäre auch ein großer Grund zur Freude. Im Winter ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, den Wintersport im Fernsehen zu verfolgen. Meine Lieblingssportarten: Biathlon und Skispringen (und ja, ich saß die letzten Wochenenden viel vor dem Fernseher).
Bitte begrüßt Sophia ganz herzlich bei Real Scientists DE!