Wir freuen uns sehr, euch unsere neue Kuratorin Janine George (@MolecularXtal) vorstellen zu dürfen! Janine hat ihr Bachelor- und Master-Studium an der RWTH Aachen absolviert. Zwischen Bachelor und Master war sie Gaststudentin für wissenschaftliches Rechnen am Forschungszentrum Jülich. Von 2013 bis 2017 promovierte sie an der RWTH Aachen im Bereich der computergestützten Festkörperchemie. Seit 2018 ist sie Postdoktorandin an der Université catholique de Louvain in Louvain-la-Neuve, Belgien. Dort beschäftigt sie sich der Berechnung von Materialeigenschaften und deren Beziehung zur Kristallstruktur.
Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Einen Einfluss darauf hatte sicher die Serie „Unsichtbar“ („Out of sight“). Dort kannte sich ein junger Schüler sehr gut mit Chemie aus und konnte so eine Chemikalie herstellen, die unsichtbar machte. Ich erinnere mich noch gut, wie ich als Viertklässlerin bei der Besichtigung der weiterführenden Schule fragte, wann der Chemieunterricht anfängt. Leider musste ich noch bis zur 8. Klasse warten. Ich war tatsächlich ziemlich enttäuscht darüber, dass ich noch so lange warten musste. Dann kamen normaler Chemieunterricht, Chemieleistungskurs, Teilnahme an der nationalen Auswahl der Chemieolympiade, mein Chemiestudium und die Promotion. In der Zeit gab es eigentlich selten Zweifel daran, dass ich Wissenschaft machen möchte. Mir macht es unglaublichen Spaß, wissenschaftliche Probleme zu lösen. Und gerade bei neuen Problemstellungen fällt es mir oft sehr schwer aufzuhören. Wissenschaft ist für mich wie ein großes Geduldsspiel.
Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
In meinem Studium habe ich mich auf Festkörperchemie und Computerchemie spezialisiert. Das faszinierte mich am meisten. Das war dann auch Thema meiner Promotion. Dort habe ich voraussetzungsfreie (ab initio) Rechenmethoden verwendet, die nur Naturkonstanten und keine Messwerte verwenden, um unter anderem die Bewegung von Atomen in Kristallen bei verschiedenen Temperaturen zu beschreiben und zu untersuchen. Diese Bewegung ist unter anderem für die Bestimmung der Kristallstruktur eines Materials von Bedeutung und meine Berechnungen haben in diesem Zusammenhang bereits geholfen. Die Fähigkeiten, die ich während meiner Promotion und auch schon davor erlernt habe, helfen mir auch jetzt noch, auch wenn sich der Fokus meiner Forschung ein wenig verschoben hat. Jetzt suche ich nämlich auf Grundlage dieser voraussetzungsfreien Rechenmethoden nach neuen Materialien für bestimmte Anwendungen (z.B. in Solarzellen, Batterien). Um das erfolgreich machen zu können, müssen deutlich mehr Materialien berechnet werden. Dazu ist viel Automatisierung nötig. Neben der Aussicht, neue spannende Materialien an sich zu finden, macht mir auch dieser eher technische Teil der Automatisierung und Datenanalyse großen Spaß.
Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Jetzt wird es ein wenig abstrakt. Im Moment beschäftige ich mich hauptsächlich mit sogenannten Koordinationsumgebungen in Kristallstrukturen, die dazu benutzt werden nächste Umgebungen von Atomen in Kristallen zu beschreiben. In folgendem Beispiel wäre X linear von zwei Sauerstoffatomen umgeben: O--X--O. Bereits 1919 übertrug Paul Pfeiffer dieses Konzept von Koordinationsverbindungen auf Kristallstrukturen. Linus Pauling nutzte diese Koordinationsumgebungen und die von ihm aufgestellten Regeln zu Stabilität von Kristallen, um Kristallstrukturen vorherzusagen. Die Regeln, die Pauling 1929 dazu aufstellte, werden bis heute in abgewandelter Form verwendet. Neben der Stabilität sind diese Koordinationsumgebungen auch z.B. mit elektrischen oder optischen Eigenschaften in Kristallstrukturen verknüpft.
Zunächst haben meine Kollegen einen sehr robusten Algorithmus entwickelt, diese Koordinationsumgebungen für Tausende von Kristallstrukturen zu bestimmen. Die früheren Algorithmen waren immer sehr empfindlich gegenüber kleinen Positionsveränderungen der Atome. Dann bestimmten diese Statistiken der Koordinationsumgebungen für alle Metallionen in Oxiden aus einem großen Datensatz von ca. 10.000 Kristallstrukturen. Solche Statistiken gab es nämlich bis zu diesem Zeitpunkt nicht. Mit Hilfe dieser Statistiken kann nun jeder beurteilen, ob die Koordinationsumgebunden, die er in bestimmten Kristallstrukturen von Oxiden vorfindet, gewöhnlich oder eher ungewöhnlich sind. So etwas kann auf Fehler in Kristallstrukturbestimmungen hindeuten.
Ich beschäftige mich nun etwas genauer damit, wie diese Koordinationsumgebungen mit der Stabilität und anderen Eigenschaften verknüpft sind. So sollen vorhandene Regeln auf Basis der Koordinationsumgebungen zur Stabilität von Kristallen verbessert werden. Im Moment betreibe ich daher recht viel Datenanalyse. Wir werden auch versuchen, die Koordinationsumgebungen mit anderen Eigenschaften von Materialien zu verknüpfen, sodass zukünftig andere Struktur-Eigenschafts-Beziehungen ermittelt werden können. Das soll dann die Suche nach Materialien, die für Anwendungen interessante Eigenschaften haben, erleichtern.
Nebenbei beschäftige ich mich auch immer mit dem Einfluss bestimmten chemischer Bindungen auf bestimmte Eigenschaften des Materials wie z.B. der Stabilität. Das kann mittlerweile problemlos mittels voraussetzungsfreier Verfahren berechnet werden.
Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Die anorganischen Materialien, die wir in unserer Forschung untersuchen, sind essentiell für unser modernes Leben und es besteht die Erwartung, dass diese zur Lösung vieler aktueller Probleme beitragen können: Beispielsweise können thermoelektrische Materialien, die Wärme in Elektrizität umwandeln, dazu genutzt werden, um die Energieeffizienz von Produktionsanlagen, Flugzeugen oder Autos zu verbessern. Wir hoffen durch ein besseres Verständnis der Beziehung zwischen Struktur und Eigenschaft von Materialien dazu beitragen zu können, dass solche Materialien schneller gefunden werden können und so auch schneller zum Einsatz kommen können.
Neben diesen möglichen Anwendungen sind auch die zu entdeckenden Prinzipien an sich interessant für die Öffentlichkeit: Es besteht häufig ein großes öffentliches Interesse an Teilchenphysik. Aber ist es nicht auch interessant, was einen Kristall eigentlich stabil macht?
Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
2007 bin ich in den Förderverein Chemieolympiade eingetreten. Dieser Verein fördert einige Schulwettbewerbe zum Thema Chemie in ganz Deutschland. Darunter sind die „Internationale Chemieolympiade“, „Chemie- die stimmt“, und verschiedene Experimentalwettbewerbe. In den Anfangsjahren meiner Vereinstätigkeit war ich dort deutlich aktiver: Ich habe zum Beispiel sogenannte Schnupperpraktika vermittelt und Wettbewerbsteilnehmer/innen auf Veranstaltungen betreut. Über Jahre habe ich dort sehr engagierte Menschen kennen gelernt. Ich besuche noch heute jedes Jahr den Workshop und versuche den Vereinsmitgliedern meine Forschung nahe zu bringen.
Daneben war ich über einige Jahre hinweg als Patin für Schüler/innen der Internatsschule Schloss Hansenberg tätig. Das sollte den Schülern/Schülerinnen den Übergang zwischen Schule und Studium erleichtern. Das half mir noch einen Bezug zu meinem ehemaligen Internat zu erhalten. Letztes Jahr habe ich dort auch einen Vortrag zu meiner aktuellen Forschung gehalten.
Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Ich beschäftige mich gerne mit dem Leben anderer Menschen – meistens in Form von Biographien oder Dokumentationen. Sicherlich zu den Favoriten unter den Autobiographien zählt Patti Smith’s „Just Kids“. Patti Smith ist als die „Godmother of Punk“ bekannt geworden. Kürzlich habe ich auch die Biographie von Dorothy Hodgkin – einer Kristallographin und Nobelpreisträgerin - gelesen – ich wünschte, dass ich dieses Werk bereits viel früher entdeckt hätte. Allerdings fehlt eine deutsche Übersetzung, sodass es für mich als Jugendliche sicherlich schwer zugänglich gewesen wäre. Besonders fasziniert hat mich auch das Buch „Daily Rituals – How Artists Work“, in dem der Autor die Tagesabläufe berühmter Künstler beschreibt. Vor wenigen Tagen ist eine Fortsetzung erschienen, die sich nun auf den Tagesablauf von Frauen konzentriert – ich habe sie bereits gekauft. Sonst schaue ich sehr, sehr gerne Serien und laufe ab und zu.
Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Ausschlafen. Essen. Vielleicht ein bisschen Lesen. Definitiv mit Serien.
Bitte begrüßt Janine ganz herzlich bei Real Scientists DE!
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