Diese Woche freuen wir uns auf unseren Kurator Adrian Kind (@philpsy.bsky.social)! Adrian ist promovierter Philosoph mit einem Schwerpunkt in der Philosophie des Geistes und der Psychiatrie. Er studierte Psychologie (B.A., M.A.) und Philosophie (M.A.) in Berlin und wurde in einem Kooperationsprojekt der Universität Magdeburg und der Berlin School of Mind and Brain promoviert. Derzeit ist er Postdoktorand an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, wo er zu Themen der Philosophie der Psychiatrie arbeitet und empirisch an einem qualitativen Forschungsprojekt zur psychedelikagestützten Therapie in der Psychiatrie mitwirkt. Zudem befindet er sich in der Weiterbildung zum tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapeuten und engagiert sich berufspolitisch in der Deutschen Gesellschaft für Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (DFT) sowie der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV). Gelegentlich schreibt er in seinem Blog „3D-Chess: An ISTDP Blog“ über intensive psychodynamische Kurzzeittherapie.
Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Ich habe mich sehr früh in die Idee verliebt, viel zu lesen, nachzudenken und zu diskutieren. Als dieser Wunsch dann auf mein Interesse an dieser komplett verrückten Sache – dem menschlichen Geist – stieß, die mich bis heute nicht loslässt, war für mich klar, dass ich, solange man es mir erlaubt und es jemand als nützlich genug erachtet, versuchen möchte, mich damit zu befassen. Ich kann dabei nicht verschweigen, dass ich den Sprung aber nie versucht hätte ohne die Menschen auf dem weg die mich immer wieder ermutigt haben. Ich habe eine Legasthenie und komme aus einem nicht-akademischen Elternhaus. Nicht problemlos lesen und schreiben zu können und so wenig über das Akademische zu wissen, dass ich bis zum Studienbeginn nicht wusste, dass nicht jeder, der einen Dr.-Titel trägt, auch Arzt ist – das macht es nicht leichter an der Uni. Ohne gewisse LehrerInnen und ProfessorInnen hätte ich mir das selbst wohl nicht zugetraut – bzw. hätte ich auf diejenigen Profs gehört, die mich als „bildungsfern“ und „zu faul, um ordentlich zu schreiben“ bezeichnet haben.
Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält
dich dort?
Was ist eigentlich mein Feld? Ich habe mit einem Psychologiestudium begonnen und dabei schnell gemerkt, dass mich vor allem die theoretischen Fragen interessieren. Diese Neigung, zusammen mit einem bereits bestehenden Interesse an Philosophie, hat mich schließlich in die Philosophie geführt. Allerdings nicht mehr zu Hegel und Adorno, mit denen mein philosophisches Interesse ursprünglich begann, sondern zur analytischen Philosophie des Geistes.
Das Philosophiestudium hat mich sehr fasziniert. Mit Beginn der Promotion habe ich dann gemerkt, dass manche Fragen, die mich zunehmend beschäftigen, wieder an der Grenze zur empirischen Forschung liegen. Deshalb bin ich inzwischen auch wieder stärker in diesen Bereich involviert.
Immer wieder bleibe ich an bestimmten Aspekten rund um den menschlichen Geist „hängen“. Manchmal deshalb, weil sie – wenn man lange über sie nachdenkt – auf eine eigentümliche Weise mysteriös erscheinen, obwohl sie uns zunächst ganz selbstverständlich vorkommen. Manchmal aber auch, weil ich das Gefühl habe, dass etwas unnötig kompliziert dargestellt wird und ich mich frage, ob man es nicht klarer und einfacher fassen kann.
Je nachdem, welcher Aspekt mich gerade beschäftigt, glaube ich, dass unterschiedliche Zugänge hilfreich sein können: eine genauere phänomenologische Erfassung (etwa durch qualitative Forschung), eine experimentelle Überprüfung theoretischer Annahmen (quantitative Forschung), oder eine philosophische Erschließung, also eine präzise, oft alltagsnahe Analyse und die Entwicklung eines theoretischen Modells. All diese Wege können helfen, Aspekte des menschlichen Geistes, Handelns – und auch des sozialen Handelns – besser zu verstehen.
Für mich gehören die Fragen, die der menschliche Geist aufwirft, zur gleichen Größenordnung wie Fragen nach dem Leben, nach Gott oder nach dem berühmten „Warum gibt es überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“.
Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Ich arbeite derzeit an der Charité – Universitätsmedizin Berlin in einem philosophisch-empirischen Forschungsprojekt, das gemeinsam mit der National Yang Ming Chiao Tung University in Taiwan durchgeführt wird. Unsere Projekt-Website ist psytrans.com. Wir interessieren uns für das Potenzial psychedelischer Substanzen, die Persönlichkeit und Weltsicht von Menschen zu verändern – sowohl im medizinischen als auch im nicht-medizinischen Kontext. Besonders interessiert uns dabei ein kulturvergleichender Zugang: Wie unterscheiden sich die Erwartungen und Erfahrungen von PatientInnen und NutzerInnen in Taiwan und Deutschland?
Im Projekt führe ich einerseits qualitative Interviews mit Patient*innen, transkribiere und kodiere diese Daten. Andererseits arbeite ich an philosophischen Publikationen rund um Themen wie persönliche Transformation, Psychotherapie und Einsicht, Emotionserleben und andere Fragestellungen, die mit unseren empirischen Daten und theoretischen Überlegungen verknüpft sind. Zu meinen Aufgaben gehört außerdem die Betreuung von fünf Studierenden, die im Rahmen des Projekts Daten erheben und analysieren – etwa für ihre Abschlussarbeiten oder Promotionen. Ansonsten tue ich, was viele befristet beschäftigte Early-Career-Wissenschaftler*innen tun: Ich versuche, Drittmittel für Anschlussprojekte einzuwerben, und organisiere wissenschaftliche Veranstaltungen und Konferenzen. Im vergangenen Jahr war ich zudem als Open-Access-Botschafter für die Berlin University Alliance tätig – eine besonders spannende und bereichernde Aufgabe. Wer über meine Arbeit auf dem Laufenden bleiben möchte, kann auch meine persönliche Website besuchen: adriankind.de
Motivation: Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit
interessieren?
Ich glaube, dass Fragen rund um den
menschlichen Geist uns alle betreffen. Zurzeit arbeite ich zum Beispiel an
einem Artikel über gemischte Gefühle: Was heißt es eigentlich, wenn wir sagen,
wir hassen und lieben etwas zugleich? Ist das nur eine verwirrende Redensart –
oder erleben wir tatsächlich beides gleichzeitig in Bezug auf dieselbe Sache?
Und wenn ja, wie lässt sich das überhaupt denken, wo es doch auf den ersten
Blick widersprüchlich erscheint?
Solche Fragen sind typisch für die Philosophie des Geistes. Ich denke, meine
Arbeit kann helfen, etwas besser zu verstehen, das uns selbst oder andere
betrifft.
Meine Arbeit in der Philosophie der Psychiatrie ist in diesem Zusammenhang besonders relevant. Statistisch gesehen hat wahrscheinlich jede Person, die diesen Text liest, entweder selbst schon einmal unter einer psychischen Erkrankung gelitten oder kennt eine enge Freundin oder einen engen Freund, auf den das zutrifft. Meine Forschung zielt darauf, besser zu verstehen, was psychische Erkrankungen sind – und was im Rahmen ihrer Behandlung geschieht.
Das kann ganz praktische Bedeutung haben: Ich habe zum Beispiel mehrere Jahre daran gearbeitet zu verstehen, wie Psychiater*innen zu ihren Diagnosen kommen. Wie funktioniert diagnostisches Schlussfolgern eigentlich? Für Betroffene und deren Angehörige ist das keine bloß theoretische Frage, sondern eine, die ganz konkret betrifft, wie mit ihnen umgegangen wird und wie ihre Erfahrungen eingeordnet werden.
Natürlich richtet sich meine Arbeit auch an ein Fachpublikum – also an PhilosophInnen, PsychiaterInnen und PsychotherapeutInnen, die sich beruflich mit dem menschlichen Geist und seinen Abweichungen von typischen Zuständen befassen. Aber ich bin überzeugt, dass es auch für interessierte Laien lohnend sein kann, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Denn letztlich geht es um etwas, das uns alle betrifft.
Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen
Aufgaben/Tätigkeiten?
Ich arbeite als Psychotherapeut in Weiterbildung mit PatientInnen und engagiere mich berufspolitisch für eine bessere psychotherapeutische Versorgung.
Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Seit acht Jahren habe ich einen Hund. Ich würde ihn nicht als „Hobby“ bezeichnen, aber wir teilen einige gemeinsame Hobbys – die, wenig überraschend, viel mit „Stöckchen“ und Spaziergängen zu tun haben.
Außerdem mache ich gern und viel Sport. Laufen ist nicht so mein Ding – mich hat eher das sogenannte „Iron Game“, also das Hanteltraining gepackt. Dazu habe ich sogar ein wenig aus philosophischer Perspektive gearbeitet und zusammen mit SportwissenschaftlerInnen publiziert … (manchmal kann man eben doch nicht aus seiner Haut).
Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forschende sind ja auch nur
Menschen)?
Ich schlafe aus und trinke den ersten Kaffee im Bett. Dann lese ich Zeitung auf dem Balkon – beim zweiten Kaffee. Danach packe ich meinen Campingstuhl und einen Stapel Bücher, die ich noch nicht gelesen habe, und fahre an einen Waldsee. Dort verbringe ich den Tag mit Schwimmen und Lesen. Zwischendurch treffe ich FreundInnen, mit denen ich mich in den Lesepausen unterhalte. Am Abend grillen wir, sitzen am Lagerfeuer und sprechen über Dinge, die uns etwas bedeuten.
Bitte begrüßt Adrian ganz herzlich bei Real Scientists DE!