Sunday, February 26, 2017

Die Psychologie der Lebenszufriedenheit - Julia Rohrer ist jetzt bei Real Scientists DE!

Es freut uns außerordentlich, euch unsere neue Kuratorin vorzustellen: Julia Rohrer (@dingding_peng)Doktorandin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin und am Institut für Psychologie der Uni Leipzig.
Julia hat von 2011 bis 2016 in Leipzig Psychologie studiert und ist seit Oktober 2016 Doktorandin in der International Max Planck Research School on the Life Course und am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Schwerpunktmäßig beschäftigt sie sich mit den Themen Lebenszufriedenheit und Persönlichkeit.


Hier ist Julia in ihren eigenen Worten:

In der Schule lagen meine Stärken und Interessen immer ganz eindeutig im Bereich Mathe und Naturwissenschaften – ich glaube, deswegen war es für mein Umfeld und auch für mich selbst fast selbstverständlich, dass ich irgendwann in der Wissenschaft landen würde. Schwieriger war es dann schon eher, herauszufinden, in welchen Bereich es eigentlich gehen soll.

Eigentlich wollte ich Umweltingenieurswesen studieren: Das hätte sehr gut zu meinem Interesse für Mathematik und Technik gepasst und es war mich auch wichtig, etwas nützliches zu studieren.
Am ersten Tag der Einführungswoche habe ich es mir aber spontan anders überlegt – ich war gerade aus einem zehnmonatigen Freiwilligendienst in einem kleinen Fischerdorf im Süden von Thailand zurückgekommen und hatte so etwas wie eine generelle Sinnkrise kombiniert mit allgemeiner Unzufriedenheit mit den gesellschaftlichen Zuständen. Meine erste Alternatividee war Soziologie. Nach etwas Recherche schien mir das dann aber doch nicht nah genug an den Naturwissenschaften, deswegen habe ich Psychologie als "Kompromiss" gewählt.

Eigentlich wollte ich mir dann im Bachelorstudium eine Hilfskraftstelle im Bereich biologische Psychologie suchen. Aber im dritten Semester habe ich für einen Artikel in der Studierendenzeitung unseren Professor für Persönlichkeitspsychologie interviewt und dachte mir: Mensch, der scheint mir sehr vernünftig und auch sympathisch, für den würde ich gerne arbeiten. Ich habe mich also eher persönlichkeitsbasiert für Persönlichkeitspsychologie entschieden. Im Rückblick haben ich die Entschiedungen eher aus dem Bauch getroffen, aber ich bin nicht unzufrieden mit den Ergebnissen. Ich finde das Feld inhaltlich spannend, ich mag meine Kolleginnen und Kollegen, und inzwischen habe ich auch meine Meinung revidiert, was für mich eine ordentliche Wissenschaft ausmacht: Ich denke inzwischen, es geht nicht darum, was für Daten man verwendet, sondern darum wie man mit den Daten umgeht. Zum Beispiel bringen die tollsten bunten Hirnscans nicht viel, wenn basierend auf winzig kleinen Stichproben Schlußfolgerungen gezogen werden, die sich schon im nächsten Experiment nicht mehr bestätigen lassen. Die Persönlichkeitspsychologie hat auch ihre Probleme, aber das Feld steht nicht so im Rampenlicht und bietet auch viel Raum für trockene Methodenprobleme, das gefällt mir persönlich ganz gut.

Hätte ich Psychologie studiert mit der Absicht, "irgendwas mit Menschen" zu machen, dann wäre ich jetzt vermutlich enttäuscht: Die meiste Zeit verbringe ich damit, am Computer zu sitzen und Daten aufzubereiten und zu analysieren. Das liegt auch daran, dass ich viel mit Daten arbeite, die andere erhoben haben. Zum Beispiel verwende ich oft die Daten des Sozio-oekonomischen Panels: Das ist eine repräsentative Erhebung von über 20.000 Personen in Deutschland – einige davon werden sogar schon seit 1984 jedes Jahr aufs neue befragt! Das ist eine hervorragende Datengrundlage, aber die Vorbereitung und Durchführung der statistischen Analysen kann da schon mal komplizierter werden. Außerdem verbringe ich viel Zeit damit, mich durch die Literatur zu wühlen. Es ist immer wieder verblüffend, wieviele Fragestellungen schon mal in Studien untersucht wurden – und wie oft man aber auch überhaupt nicht schlauer wird aus der Literatur, weil die Methoden oft nicht besonders aussagekräftig waren, oder, weil man leider vermuten muss, dass die Ergebnisse nur reine Zufallsbefunde sind, hinter denen keine Substanz steckt.

Inhaltlich beschäftige ich mich aktuell damit, wie in unterschiedlichen Lebensphasen sich die Faktoren ändern, welche die Lebenszufriedenheit bestimmen. Ein Beispiel: Das Einkommen korreliert alles im allen eher schwach mit der Lebenszufriedenheit. Aber wenn man genauer hinschaut, dann sieht man, dass dieser Zusammenhang stärker wird im mittleren Erwachsenenalter – also dann, wenn die Stellung im Berufsleben als ganz besonders zentraler Teil des Lebens gesehen wird – und im höheren Alter wieder abnimmt. Darüber hinaus beschäftige ich mich mit einer ganze Reihe von anderen Fragestellungen zum Thema Persönlichkeit. Zum Beispiel habe ich in meiner ersten Studie untersucht, ob die Geschwisterposition einen Einfluß auf die Persönlichkeit hat. Was wir hier in drei großen Datensätzen gefunden haben ist, dass es praktisch keine systematischen Persönlichkeitsunterschiede zwischen Erstgeborenen, Sandwichkindern und Nesthäkchen gibt. Und wir haben untersucht, ob sich Persönlichkeitsveränderungen, die zwischen Jugend und jungem Erwachsenenalter passieren, auch von Außenstehenden wie Freunden und Bekannten wahrgenommen werden. Prinzipiell beobachten wir ähnliche Trends, aber es wird auch deutlich, dass Innen- und Außenperspektive auseinandergehen können. Zum Beispiel wurde im Selbstbericht mit steigendem Alter die emotionale Stabilität immer höher, die Persönlichkeit "reift" sozusagen, aber im Persönlichkeitsbericht durch Bekannte blieb die emotionale Stabilität einfach konstant.

Meiner Erfahrung nach haben die meisten Menschen eine gewisse natürliche Neugier was Persönlichkeitspsychologie angeht. Wenn ich mit den Leuten über das Thema Geschwisterposition erzähle, schildern mir die meisten gleich ihre persönlichen Erfahrungen oder geben selbst eine Einschätzung zu den Effekten auf die Persönlichkeit ab. Auch die Frage danach, was wichtig ist, um mit seinem Leben zufrieden zu sein, scheint viele zu bewegen. Viele Themen in der Persönlichkeitspsychologie tangieren wichtige Fragen, die bestimmen, wie wir über uns selbst und unser Leben nachdenken.

Ich habe gerade ganz frisch angefangen, bei "The Inquisitive Mind" (http://www.in-mind.org/) mitzuhelfen. In-Mind ist eine Psychologiemagazin, in dem Psychologen in Artikeln für Nicht-Psychologen einen Überblick über verschiedene Forschungsfelder und aktuelle Ergebnisse geben. Wissenschaftskommunikation liegt mir sehr am Herzen, deswegen freue ich mich, dass es in Zukunft bei In-Mind auch Artikel zu Persönlichkeitsthemen geben soll. Außerdem habe ich gerade zusammen mit drei Freunden ein Blog gestartet (http://www.the100.ci/), indem wir verschiedene meta-wissenschaftliche Themen diskutieren – da geht es dann inhaltlich also nicht direkt um Psychologie, sondern darüber, wie wir als Wissenschaftler psychologisch forschen. Generell beschäftige ich mich viel mit meta-wissenschaftlichen Themen. Als ich 2011 angefangen habe, Psychologie zu studieren, kamen gerade große Zweifel daran auf, wie zuverlässig das "Standardvorgehen" in der psychologischen Forschung eigentlich ist. Seit dem hat sich viel bewegt – zum Beispiel gab es großangelegte Versuche, psychologische Studien zu replizieren, und Analysen über viele publizierte Studien hinweg, die zeigen, dass in der Psychologie rein statistisch irgendwas nicht ganz stimmen kann. Weil es mir wichtig ist, dass meine Forschung solide ist und meine Ergebnisse auch von unabhängigen Wissenschaftlern bestätigt werden können, versuche ich zum Beispiel, mich bei der Society for the Improvement of Psychological Science (http://improvingpsych.org/) einzubringen.

Ich laufe, am liebsten Halbmarathondistanz. Wirklich schnell bin ich nicht, aber ich trainiere konsistent und habe einen langen Atem.

Wie sieht dein idealer freier Tag aus?

Früh aufstehen (kein Scherz!), frühstücken und ein Stündchen lesen (z.B. Sachbücher aus anderen wissenschaftlichen Feldern, oder Infinite Jest von David Foster Wallace). Dann zwei Stunden Dauerlauf um den Cospudener See (auch kein Scherz!), danach auf dem Sofa rumlungern und bis zum Mittagessen Videospiele spielen. Nach dem Mittag Kekse backen, vielleicht ein kleines Mittagsschläfchen, und abends zusammen mit Freunden kochen, Bierchen trinken und um 10 ins Bett. Wahrscheinlich hätte ich vor sechs Jahren noch gesagt, dass so eine Tagesgestaltung echt langweilig ist, aber die Persönlichkeit verändert sich halt mit dem Alter...

Bitte heißt Julia ganz herzlich bei Real Scientists DE willkommen!


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