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Sunday, October 2, 2022

Serien-Junkies aufgepasst! Melissa Schuh ist jetzt bei Real Scientists DE!

Diese Woche freuen wir uns auf unsere neue Kuratorin Melissa Schuh (@schuh_melissa)! Melissa Schuh ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Habilitandin am Lehrstuhl für Anglistik am Englischen Seminar der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Sie hat 2019 am English Department der Queen Mary University of London mit einer literaturwissenschaftlichen Doktorarbeit zu narrativen Strategien in zeitgenössischen autobiographischen Texten mit dem Titel “The (Un-)Making of the Novelist’sIdentity promoviert. Davor hat sie Anglistik, Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der University of Nottingham und der University of Oxford studiert. Sie ist Mitherausgeberin des Journals C21 Literature: Journal of 21st Century Writings. Darüber hinaus ist sie Vertrauensdozentin für Diversität, Gleichstellung und Inklusion am Englischen Seminar und stellvertretende Diversitätsbeauftragte für die philosophische Fakultät der CAU Kiel.

Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?

Bereits zu Schulzeiten habe ich mich sehr für Sprache, Geschichte, Literatur und Kultur interessiert und hatte das Privileg bei außerschulischen Programmen, wie sprachwissenschaftlichen Kursen auf der JuniorAkademie und SchülerAkademie, undim Zuge meiner Facharbeit in Geschichte wissenschaftliche Fragestellungen und Arbeitsweisen kennenzulernen. Im Anglistik- und Germanistikstudium in Nottingham wurde ich stetig von neuen Ideen und interessanten Fragen weitergetrieben. So schrieb ich zwei Bachelorarbeiten: eine zur Rolle des Publikums in einer bestimmten Romeo and Juliet Inszenierung des Nottingham Playhouse und eine weitere zu Motiven von Widerstand und Anpassung im autobiographischen Werk des ostdeutschen Autors Günter de Bruyn, wobei diese später zu meinem ersten publizierten Aufsatz wurde. Während ich meine komparatistische Masterarbeit zu Fiktionalität und Faktualität im Werk von Philip Roth und Günter Grass in Oxford schrieb, entwarf ich vier verschiedene Dissertationsprojekte, weil ich so viele darüberhinausgehende Ideen hatte. Meine letztendliche Doktorarbeit war ein darauf aufbauendes Projekt zu narrativen Strategien von Fiktionalität in der Selbstdarstellung zeitgenössischer Autobiographien, dass ich an der Queen Mary University of London durchführen konnte, weil ich das Glück hatte in meinem Forschungsbestreben stets von Mentor*innen und meiner Familie unterstützt zu werden


Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Themen und Fragen rund um Sprache, Literatur und Kultur beschäftigen mich seit meiner Kindheit, da ich zweisprachig und als Teil einer großen diasporisch zerstreuten Verwandtschaft aufgewachsen bin, so kam ich dazu Literatur-, Kultur-, und Sprachwissenschaft zu studieren. Im Studium hat mich ein Kurs zu „German Life Writing“ (Life Writing ist ein Überbegriff für biographische und autobiographische Formen) von Professor Roger Woods besonders inspiriert, weshalb ich mich seit meiner Promotion immer wieder mit Fragen zu diesen Textformen beschäftige: was führt uns als Leser*innen dazu Autor*innen zu vertrauen oder zu misstrauen, wenn sie über ihr Leben schreiben? Welche stilistischen Formen tragen zu solchen Leseerfahrungen bei? Welche Rolle spielt insbesondere Fiktion bzw. Fiktionalität in Texten, die einem Wahrheitsanspruch unterworfen sind? Diese und weitere Fragen haben mich tief in die Literatur- und Kulturwissenschaft katapultiert und mein Interesse daran, wie die kulturelle Produkte (wie Texte, Filme, Serien), die wir erleben funktionieren und aufgebaut sind, warum wir sie konsumieren und welche Auswirkungen dies auf gesellschaftliche und politische Diskurse hat, bleibt unerschöpft. Außerdem möchte ich als Woman of Colour in meiner wissenschaftlichen (und Lehr-) Praxis einen Beitrag dazu leisten, dass in Bildung und Wissensproduktion diverse Perspektiven und Stimmen gehört und gesehen sowie strukturelle Hürden abgebaut werden. Diese Verantwortung fließt in all meine Forschungs- und Lehrtätigkeit ein und ist neben meinem wissenschaftlichen Erkenntnisdrang zentral für meine Motivation in der Wissenschaft zu arbeiten.


Erzähle uns etwas über deine Arbeit!

Neben meinem anhaltenden Interesse in Life Writing Studies beschäftige ich mich in meinem Habilitationsprojekt mit seriellen Formen in Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts. Seit dem Einzug von Streamingdiensten wie Netflix und auch dem weitreichenden Erfolg von seriell publizierten Fantasy-Romanreihen, zieht das Format Serie mehr Aufmerksamkeit auf sich und ist allgemein als populäre Form bekannt. Dabei liegt allerdings ein großer Fokus auf Serialität in Form von narrativer Kontinuität und Fortsetzung, also zum Beispiel die Frage „Wie geht es weiter?“ nach einem Cliffhanger oder wie die narrativen Stränge eines seriell publizierten Werks zu einer zufriedenstellenden Fortsetzung oder gar einem Ende zusammenkommen. Ich interessiere mich für Formen von Serialität, also Prozesse um Wiederholung und Variation, die anders funktionieren. So kommen in Literatur und Medien auch stilistische Wiederholungen und Adaptionen vor, Werke können lose im selben Universum verortet sein ohne narrativ aufeinander aufzubauen, wiederkehrende Figuren, Orte, Motive und Ideen können seriell zusammenhängend gelesen werden. Ich erforsche welche Effekte solche weniger auf narrative Fortsetzung bezogene Arten von Serialität haben. Der Vergleich solcher alternativen Formen von Serialität kann vielleicht die Frage beantworten, warum im Zusammenspiel mit entsprechenden Marktmechanismen manche Serien als eher populär und andere als literarisch wahrgenommen werden, was auch manche literaturhistorische Kanonisierungsprozesse miterklären könnte. 

Über dieses Projekt hinaus, forsche ich auch zum Thema Brexit in jüngster zeitgenössischer Literatur, und beschäftige mich mit der Darstellung von Theorie und Aktivismus in Wissenschaftsdiskursen und der Repräsentation von Marginalisierungserfahrungen in Literatur und Medien.

Motivation: warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?

Der Konsum von Literatur, Kultur und Medien im weitesten Sinne dieser Begriffe ist allgegenwärtig und prägt gesellschaftliches und politisches Geschehen. Also steht die Frage danach wie die Form und der Inhalt eines jeden Kulturprodukts gewisse Effekte hervorrufen und Menschen bewegen hinter allen gesellschaftlichen Themen, die unser Leben bestimmen, sei es etwas Abstraktes wie unser Wahrheitsbegriff (in Bezug auf Life Writing und Lebensgeschichten) oder ein konkret einschneidendes Ereignis im Zeitgeschehen, wie Brexit. Wie und warum wir uns für die zu Büchern, Filmen, Serien, Interviews, Essays, Twitterthreads, Instagram Stories etc. entworfenen Geschichten, Berichte, Zeugnisse, Perspektiven und Argumentationen von fiktionalen Figuren wie auch realen Personen interessieren hat Auswirkungen darauf, wie wir miteinander umgehen und was uns wichtig erscheint. Meine Arbeit trägt dazu bei solche Mechanismen zu verstehen und zu vermitteln.


Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?

Ich bin Mitherausgeberin der wissenschaftlichen online open access Zeitschrift C21 Literature: Journal of 21st Century Writings (https://c21.openlibhums.org/). Neben Lektoratsarbeit in diesem Forschungskontext, interessiere ich auch allgemein sehr für Schreibprozesse und wie man das wissenschaftliche und kreative Schreiben in Bildungskontexten vermitteln kann. Daher führe ich öfter Writing Retreats (strukturierte Schreibworkshops bei denen man an seinen eigenen Projekten arbeiten kann) für Doktorand*innen durch und betreue einen von Studierenden gegründeten Creative Writing Club. In meiner Rolle alsVertrauensdozentin für Diversität, Gleichstellung und Inklusion in meinem Institut berate ich zusammen mit meiner Kollegin Dorothee Marx Studierende zu Fragen von Diskriminierung und als stellvertretende Diversitätsbeauftragte für die philosophische Fakultät engagiere ich mich als Teil des Diversitätsteams dafür, dasssystemische und institutionelle Hürden für marginalisierte Personengruppen sichtbar gemacht und abgebaut werden. Ich bin zudem Mittelbauvertreterin im Beirat meine Instituts und im Konvent der philosophischen Fakultät und setze mich in beiden Positionen für die Interessen meiner Statusgruppe ein, die von weitreichender Befristung und daher anhaltender prekärer Lebensbedingungen geprägt ist.

Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?

Ich gehe gerne draußen in der Natur laufen, zum Beispiel an der Kiellinie mit Blick auf die Förde. Dabei kommen mir dann manchmal interessante Ideen und ich muss schnell nach Hause laufen, um sie mir aufzuschreiben. Außerdem stricke und häkele ich sehr gerne. In den letzten zwei Jahren habe ich über 40 Paar Socken gestrickt, aber ich häkele auch Dreieicksschalsund gerade bin ich an einer Reihe von Mützen für den Winter.Ich koche und backe auch wirklich leidenschaftlich gern und probiere immer wieder neue Rezepte aus. Neuerdings bin ich dem Sauerteig verfallen und backe entsprechend viel Brot.

Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?

An einem idealen Tag schlafe ich morgens aus und gehe dann für einen gemütlichen langen Lauf ans Meer oder den Fluss. Dann koche ich ein aufwändigeres Gericht (das dann auch gelingt), wie zum Beispiel Laksa (ein malaysisches Nudelgericht) nach Familienrezept, und lade dazu Familie oder Freund*innen ein. Später lese oder stricke ich auf dem Sofa oder draußen (derzeit ist Axie Oh’s The Girl Who Fell Beneath the Sea oben auf meiner Liste an Büchern, die nicht für die Arbeit sind, und die zweite Socke eines Paars in der Farbe „Ostseestrand“ möchte vollendet werden) und schaue abends mit meinem Partner eine Serie - die dann je nach ihrer seriellen Form vielleicht doch in meine Arbeit einfließen könnte.


Bitte begrüßt Melissa ganz herzlich bei Real Scientists DE!

 

Sunday, June 19, 2022

Über den Schulunterricht hinaus - Kristin Eichhorn ist jetzt bei Real Scientists DE!

Diese Woche freuen wir uns sehr, euch unsere neue Kuratorin Kristin Eichhorn (@DrKEichhorn) vorstellen zu dürfen! Kristin studierte zwischen 2005 und 2010 Germanistik und Nordistik in Kiel, wo sie 2013 mit einer Arbeit zur Fabel des 18. Jahrhunderts promovierte. Zwischen 2015 und 2021 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Paderborn und habilitierte 2020 dort zu Johannes R. Becher und der literarischen Moderne. Seit dem Wintersemester 2021/22 vertritt sie die Professur von Sandra Richter für Neuere Deutsche Literatur I an der Universität Stuttgart. Sie ist auf Twitter sehr aktiv und bekannt vor allem durch die Aktion #IchBinHanna, die sie zusammen mit Amrei Bahr (@AmreiBahr) und Sebastian Kubon (@SebastianKubon) initiiert hat.
 
Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Das war schon im ersten Semester zu Beginn meines Studiums in Kiel klar, das ich bewusst begonnen habe, um Literaturwissenschaftlerin zu werden. Nach dem Studium habe ich in Kiel meine Promotion begonnen und 2013 abgeschlossen. Danach hatte ich dort anderthalb Jahre eine halbe Stelle mit relativ viel Lehre, bevor ich die Gelegenheit bekam, nach Paderborn auf eine volle Habilitationsstelle zu wechseln. Meine Habilitation habe ich 2020 abgeschlossen. Während dieser Zeit habe ich meine beiden Forschungsschwerpunkte - die Aufklärung einerseits und die Literatur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts andererseits - aufgebaut und immer wieder zu neuen Themen publiziert. Ich bin auf viele Konferenzen gefahren und habe 2015 die Zeitschrift "Expressionismus" ins Leben gerufen, um ein interdisziplinäres Austauschforum für die Erforschung dieser künstlerischen Strömung zu schaffen. Weiterhin bin ich seit 2018 im Vorstand der "Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts" (DGEJ) und habe mich gerade in Paderborn stark in hochschulinternen Gremien engagiert: Ich war dort zwei Jahre im Senat und außerdem Mittelbausprecherin des Instituts für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft. 

Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Es ist einfach das, was mir am besten liegt. Ich war schon immer sehr gut im Umgang mit Sprache und interessiert an Literatur. Wir haben ja auch eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, indem wir in der Germanistik sehr viel Lehramtsausbildung machen. Natürlich wäre das alleine für mich nicht mehr recht erfüllend. Ich bin immer auf der Suche nach neuen Aufgaben und Herausforderungen - daher auch das hochschulpolitische Engagement. Deshalb ist es gut, dass ich jetzt auf der Vertretungsprofessur auch endlich Führungs- und Leitungsaufgaben übernehmen kann, die ich als absolute Bereicherung empfinde. Außerdem ist Stuttgart ein sehr angenehmer Standort für meinen Fachbereich, nicht zuletzt wegen der Nähe zum Deutschen Literaturarchiv in Marbach. 

Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Im Augenblick vertrete ich die Professur von Sandra Richter an der Universität Stuttgart. Dabei übernehme ich alle Aufgaben, die mit einer Professur verbunden sind: Neben Forschung und Lehre leite ich die Abteilung Neuere Deutsche Literatur I. Ich habe da also die Haushaltsverantwortung und bin die Fachvorgesetzte aller dortigen Mitarbeiter*innen. Ich unterschreibe also die Dienst- und Urlaubsanträge, treffe aber auch viele Entscheidungen, organisiere Arbeitstreffen und bin in dieser Funktion auch im Fakultätsrat.

Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Zum einen: Es ist ein faszinierendes Fach. Viele Menschen laufen mit bestimmten Vorstellungen von der deutschen Literatur herum, die z. T. Schulunterricht stammen, der aber dann auch schnell lange her ist. Wenn sie die Gelegenheit haben, punktuell tiefer einzutauchen, stellen sie meist schnell fest, dass es doch alles etwas anders ist, als sie es in Erinnerung hatten. Wenn ich während meiner Gastwoche etwas davon vermitteln kann, wäre das schön. Im Alltag kommt es ja schnell zu unterkomplexen Weltbildern, weil natürlich niemand Zeit hat sich mit allen Dingen intensiv auseinanderzusetzen. Aber erst die Einblicke schaffen Verständnis und die Möglichkeit der Wertschätzung. Geisteswissenschaftliche Fächer sind ohnehin geradezu prädestiniert dazu, vorhandene Deutungen zu hinterfragen und auf komplexe Zusammenhänge hinzuweisen. Sie stören natürlich auch immer ein bisschen, weil es einfacher ist, eindeutige Antworten zu haben. Aber wir müssen immer wieder stören, denn nur auf dieser Basis des differenzierten Denkens kann Demokratie, die eigenverantwortliches kompetentes Handeln und Urteilen voraussetzt, funktionieren. 

Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Gerade im letzten Jahr bin ich vor allem durch mein hochschulpolitisches Engagement gut beschäftigt. Ich habe mit Amrei Bahr und Sebastian Kubon zusammen im Juni 2021 die Twitter-Aktion #IchBinHanna gestartet, die auf die prekären Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft sowie viele weitere strukturelle Missstände in diesem Arbeitsumfeld aufmerksam macht. Im März 2022 ist bei Suhrkamp unser Buch zur Aktion erschienen. Auch hier sind viele lange unhinterfragte Narrative im Spiel - etwa, dass Befristung Innovation fördere und der Wissenschaftsfreiheit diene. Für beides gibt es keine wissenschaftliche Grundlage, die man bei Wissenschaftler*innen eigentlich unterstellen müsste. Darauf immer wieder hinzuweisen und die argumentativen Widersprüche dieser Perspektive herauszustellen, damit sich hier endlich etwas verbessert, ist eine wichtige Aufgabe, der wir uns deshalb intensiv widmen. 

Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Hobbies langweilen mich im Allgemeinen schnell, ich möchte lieber etwas bewirken - insbesondere weil ich ja auch der privilegierten Position heraus agieren kann, recht viel Zeit und Energie zu haben. Das möchte ich dann auch nutzen. Das heißt aber nicht, dass ich meine Grenzen nicht kennen würde. Ich überarbeite mich nie und achte immer auf Ruhezeiten. So bleiben die Batterien voll und alle haben etwas davon.

Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Da ich zur Zeit zwischen Paderborn und Stuttgart pendle, ist das auf jeden Fall ein Tag ohne Zugfahrten, den ich alleine zu Hause verbringe. Ich habe mich während der Homeoffice-Zeit doch sehr an das Essen gewöhnt, das ich selbst koche und nutze das also soweit wie möglich aus. 

Bitte begrüßt Kristin ganz herzlich bei Real Scientists DE!

Sunday, February 14, 2021

Wer wo wann wie wessen Geschichte erzählt - Andrea Geier ist jetzt bei Real Scientists DE!

Wir freuen uns sehr, euch unsere neue Kuratorin Andrea Geier (@geierandrea2017) vorstellen zu dürfen! Andrea ist seit 2009 Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Gender Studies an der Universität Trier. Sie ist seit 2010 im Vorstand des Trierer Centrums für Postcolonial und Gender Studies (CePoG) und seit 2020 im Vorstand der Fachgesellschaft Geschlechterstudien. Nach einem Studium der Germanistik, Allgemeinen Rhetorik und Empirischen Kulturwissenschaft promovierte sie mit einer Arbeit über „‚Gewalt’ und ‚Geschlecht’. Diskurse in deutschsprachiger Prosa der 1980er und 1990er Jahre“ an der Universität Tübingen. Sie arbeitete u.a. mehrere Jahre an der Universität Marburg und hatte in den letzten 10 Jahren drei Gastprofessuren in den USA. Zu ihren Schwerpunkten in Forschung und Lehre gehören deutschsprachige Gegenwartsliteratur, kultur- und literaturwissenschaftliche Gender Studies, Interkulturalitätsforschung und Postcolonial Studies, Rhetorik sowie Literatur im Medienwechsel. Informationen zu Publikationen, Wissenschaftskommunikation u.am.: https://www.uni-trier.de/index.php?id=29978

Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Während des Studiums habe ich als wissenschaftliche Hilfskraft in meinem Nebenfach Allgemeine Rhetorik gearbeitet, und diese Mitarbeit im ‚Betrieb‘ war ein wirklich wichtiger Impuls. Ich war in einem Hiwi-Team, in dem sich einige schon sicher waren, dass sie nach dem Abschluss des Studiums gerne promovieren und in die Wissenschaft gehen würden. Ich hatte mir das vorher nie überlegt. Ich habe mit Germanistik, Allgemeiner Rhetorik und Empirischer Kulturwissenschaft genau die Fächer gewählt, die mich damals interessiert haben, und ich habe nicht nur gern studiert, ich war auch eine sehr gute Studentin. Aber die Vorstellung, an der Uni zu studieren und die Frage, was ich später mal arbeiten werde, waren in meiner Vorstellungswelt bis dahin einfach getrennt. Ich habe mich da nicht gesehen.
Während der Magisterarbeit in Germanistik wurde mir dann klar, dass ich weiter machen will, und der Rest war, was es immer ist: Eine Mischung aus viel Arbeit, Warten auf Chancen, eigenen Entscheidungen, von denen man aber nie weiß, ob sie nützen oder nicht, und Glück.

Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Während des Studiums habe ich vor allem dank einiger Dozent:innen in einem meiner beiden Nebenfächer, der Empirischen Kulturwissenschaft, Fragestellungen und erste Methodendiskussionen in der Geschlechterforschung kennengelernt. Mein eigentliches Feld – und auch Hauptfach im Studium – war die Germanistik, aber ohne diese zweite Perspektive hätte ich meine literaturwissenschaftlichen Interessen nicht so eigenständig entwickeln können. Während meines Studiums gab es nämlich zu Gender Studies im Hauptfach noch recht wenige Angebote. Das hat mich aber gar nicht abgeschreckt, eher im Gegenteil: Ich stieß auf offene Ohren und hatte das Gefühl, das für mich entdecken und gewissermaßen ‚übertragen‘ zu können, und bald ergaben sich dann auch viele Anschlussmöglichkeiten – zum Beispiel in interdisziplinären Diskussionsrunden von Nachwuchswissenschaftler:innen.
Was mich dort hält? Spontan sagt man auf die Frage, was einen in dem eigenen Feld hält, selbstverständlich intrinisische Motivation, und das stimmt 100% für mich. Aber ebenso selbstverständlich ist es mir nur möglich, dort zu bleiben, wo ich bin, weil ich heute eine Professur habe und auf dem Weg dorthin nur wenige Phasen ‚irgendwie‘ überbrücken musste. Ich hatte Stipendien während der Promotions- und Postdoc-Phase und eine Stelle als wissenschaftliche Assistentin, von der ich nach fünf Jahren dann auf eine Professur berufen wurde. Ich finde es wichtig, dass wir immer auch die institutionellen Bedingungen thematisieren und nicht so tun, als könnte sich Motivation und Begeisterung für Forschungsfelder unabhängig von den institutionellen Rahmenbedingungen entwickeln und entfalten.

Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Als Professorin gehören Forschung, Lehre und Engagement in der Selbstverwaltung zu meinen Aufgaben, ich leite seit 2010 immer im Rahmen eines Teams das Trierer Centrum für Postcolonial und Gender Studies (CePoG) und bin seit letztem Jahr im Vorstand der Fachgesellschaft Geschlechterstudien. Die Verbindung von Forschung und Lehre ist mir wichtig und ist immer in zwei Richtungen zu denken: Ich biete an, worüber ich schon viel gearbeitet habe, aber ich kann mich über die Lehre auch weiterentwickeln, indem ich in bekannte Themen neue Bausteine einfüge etc. Innerhalb eines vorgegebenen Rahmens – Studiengangsstrukturen etc. – kann ich sehr frei in der Wahl meines Angebotes sein. Ich muss also nicht unbedingt jedes Semester eine bestimmte Epoche abdecken, sondern kann sowohl epochenspezifische als auch epochenübergreifende Veranstaltungen machen. Als Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Gender Studies biete ich regelmäßig interdisziplinäre Veranstaltungen an wie etwa die Einführung in die Gender Studies und Interkulturalitätsforschung. Und damit sind auch schon zentrale Forschungsfelder benannt. Ich interessiere mich für verschiedene Alteritätskonstruktionen, also ‚Geschlecht‘ und/oder Ethnizität, und habe einen Schwerpunkt in der Gegenwartsliteratur, aber ich habe auch publiziert über Turcica in der Frühen Neuzeit, Literarischen Antisemitismus im 19. Jahrhundert, Misogynie in der Literatur des 18. Jahrhunderts, und in der Gegenwart über Medienwechsel und postdramatisches Theater, Mythosrezeption oder Erzählen über Kolonialgeschichte …Schaut euch gerne mal um: https://www.uni-trier.de/index.php?id=29978

Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Als kulturwissenschaftliche Literaturwissenschaftlerin mit Schwerpunkten in den Gender Studies, der Interkulturalitätsforschung und den Postcolonial Studies habe ich es mit ganz unterschiedlichen Erwartungen zu tun – je nachdem, unter welchem „Hut“ ich mich gerade sichtbar mache. Grundsätzlich denke ich nicht, dass sich alle Menschen für Literaturwissenschaft begeistern müssten, aber ich hoffe selbstverständlich, dass ich ansprechende Angebote zu ästhetischen, gesellschaftspolitischen und ethischen Fragestellungen mache: Welche Formen ästhetischer Repräsentation gibt es? Wie verändern sie sich historisch? Wie wird (wessen) Geschichte in Geschichten erzählt? Welchen Zugang zu und Perspektiven auf Themen eröffnen Texte? Welche ästhetischen Erfahrungen kann man damit machen?
Als literaturwissenschaftliche Kulturwissenschaftlerin möchte ich also vermitteln, dass nicht nur Themen interessant sind – also etwa die Frage, welche Geschlechterbilder langer Dauer in der Literatur entwickelt, tradiert und verändert werden – sondern vor allem, wie sie dargestellt werden.

Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Ob das Mitarbeiten in der Fachgesellschaft Geschlechterstudien eine externe Aufgabe ist? Es ist zumindest eine zusätzliche, aber zugleich zeitlich begrenzte Tätigkeit. Ich bin zwar schon lange Mitglied, aber erst seit Kurzem wirklich engagiert – was auch damit zu tun hat, dass ich seit 2010 das Trierer Centrum immer im Tandem mit einer Kollegin leite und mich vor allem auch darauf konzentriert habe. Wir sind ein gutes Team im Vorstand der Fachgesellschaft, und die interdisziplinäre Ausrichtung macht es natürlich besonders interessant.

Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Noch nicht, aber ich strebe an, mehr schöne Puzzles zu besitzen und natürlich Zeit, sie auch zu machen. Immerhin habe ich schon eine Puzzlematte und damit einen gewissen Professionalisierungsgrad erreicht. Und vielleicht kann das ja vor allem deshalb als Hobby zählen, weil es mir als erstes zu dieser Frage einfällt. Für mich ist es eine schöne händische und visuelle Begleitung zu Podcasts oder auch Talkshows – wenn ich nicht gerade meine Reaktionen auf Sendungsinhalte direkt vertwittere.

Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher:innen sind ja auch nur Menschen)?
Meistens: Ein unverplanter Tag, Zeit für Lektüre, die nicht unter beruflichem Verwertungsdruck steht.

Bitte begrüßt Andrea ganz herzlich bei Real Scientists DE!

Sunday, November 8, 2020

Literatur im digitalen Zeitalter - Mareike Schumacher ist jetzt bei Real Scientists DE!

 Diese Woche freuen wir uns sehr, euch unsere neue Kuratorin Mareike Schumacher (@m_k_schumacher) vorstellen zu dürfen! Mareike promoviert im Bereich neuere deutsche Literatur und Digital Humanities an der Universität Hamburg. Vor und während ihres Studiums arbeitete sie als Buchhändlerin, seit 2013 war sie in den Digital-Humanities-Projekten DARIAH-DE und efoto beschäftigt und seit Juli 2018 ist sie im Projekt forTEXT für die digitale Dissemination zuständig. Mareike hat Kulturwissenschaften (B.A.) an der Leuphana Universität Lüneburg und deutschsprachige Literaturen (M.A.) in Hamburg studiert und nutzt nun am liebsten Distant-Reading-Methoden. Für forTEXT ist ihr besonders wichtig, auch abstrakte Routinen anschaulich aufzubereiten und stets das literarische Beispiel in den Mittelpunkt zu rücken.

Wie bist du in der Wissenschaft gelandet? 
Im Grunde konnte ich mir schon als Kind vorstellen, in die Forschung zu gehen. Leider glaubte ich damals, dass ich dazu Naturwissenschaftlerin werden müsste. Für Literatur und Kultur habe ich mich schon immer begeistert und so machte ich nach dem Abitur zuerst eine Lehre zur Buchhändlerin und studierte dann erst Kulturwissenschaften und Wirtschaftspsychologie im Bachelor und schließlich Literaturwissenschaften im Master. In meinem letzten Studienjahr hatte ich das Glück, als studentische Hilfskraft an einer großen Konferenz für digitale Geisteswissenschaften mitzuarbeiten und spätestens da war mir klar, dass es das ist, was ich machen möchte.   

Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Zu den Digital Humanities bin ich im Master-Studium über meinen jetzigen Doktorvater Jan Christoph Meister gekommen. Er war damals der Einzige, der an der Uni Hamburg diesen Forschungsschwerpunkt vertrat und in einem seiner Seminare lernte ich das Feld kennen. Der nächste Schritt war für mich dann der Besuch einer Summer School in Leipzig zum Thema digitale Methoden in den Geisteswissenschaften. Letztendlich war es die Kombination aus innovativen Methoden und sehr aufgeschlossenen und netten Leuten, die mich fasziniert hat. Bis heute fühle ich mich in der Community der "Digitalen" total wohl. Das und dass ich mich mit Inhalten beschäftigen darf, die mich jeden Tag aufs Neue begeistern, ist es, was mich hier hält.  

Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Meine Arbeit ist eine Kombination aus Entwicklung, Anwendung und Vermittlung digitaler Methoden. Im Projekt forTEXT, in dem ich arbeite, bieten wir Einführungen in Software und Methodik der digitalen Geisteswissenschaften für interessierte Geisteswissenschaftler*innen an, die derzeit noch eher traditionell-analog arbeiten. Ich selbst schreibe einführende Artikel und Tutorials, erstelle Screencast und Fallstudien-Videos und betreue die Social-Media-Kanäle des Projektes. Es gehört aber auch zur Arbeit in diesem Projekt, sich an der Entwicklung des geisteswissenschaftlich ausgerichteten Computerprogrammes CATMA zu beteiligen. Darum arbeiten im Team sowohl Geisteswissenschaftler*innen als auch Entwickler. Und ich biete Seminare an der Universität Hamburg an, die neben einem kultur- und/oder literaturwissenschaftlichen Thema auch immer digitale Methoden beinhalten.  

Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Die digitalen Geisteswissenschaften sind in der Öffentlichkeit noch nicht sehr bekannt. Dabei beschäftigen wir uns mit vielen Phänomenen, die aus dem Alltag nicht wegzudenken sind. Wir nutzen lernende Algorithmen, analysieren Netzwerke in literarischen Texten, die sozialen Netzwerken oft nicht unähnlich sind, oder schauen uns an, mit welchen Emotionen und Wertungen Genderrollen in Büchern als Kulturgut verbunden werden. Unsere Forschung ist also oft thematisch alltagsnah und gibt uns darüber hinaus Einsichten darüber, wie digitale Phänomene funktionieren. Naja und natürlich handelt es sich um eine ziemlich neue und bunte Art, Literaturwissenschaften zu betreiben. Ganz offen gesagt, macht es einfach großen Spaß, kulturelle Phänomene auf diese Weise zu betrachten. Das kann man der Öffentlichkeit doch nicht einfach vorenthalten, oder?  

Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Mir ist Wissenschaftskommunikation extrem wichtig. Darum habe ich einen Blog namens "Lebe lieber literarisch", zu dem auch ein Podcast gehört. Darin schreibe und spreche ich über Literaturwissenschaften, Digital Humanities und Wissenschaftskommunikation.
Außerdem habe ich auf einer Konferenz Anfang des Jahres 2020 Lisa Kolodzie, Jonathan Geiger und Patrick Toschka kennen gelernt. Im Juli haben wir zusammen einen weiteren Podcast gelauncht, der RaDiHum20 heißt. Darin interviewen wir Kolleg*innen aus den digitalen Geisteswissenschaften zu ihren unterschiedlichen Arbeitsbereichen.   

Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Schon seit meiner frühen Kindheit ist das Tanzen mein großes Hobby. Von Ballett über Modern und HipHop und Jazz habe ich in meiner Kindheit und Jugend fast alles ausprobiert. Bis heute ist tanzen das, was mich am schnellsten vom Alltag ablenken, mich erden und mir neue Energie geben kann.
Da ich aber ziemlich schnell und leicht zu begeistern bin, probiere ich auch einfach gern Neues aus. Das endet dann in so Phasen. Mal ist es eine Inline-Skate-Phase, mal verbringe ich gerne Zeit auf meiner Couch mit dem Häkeln niedlicher kleiner Dinge, dann starte ich plötzlich einen TikTok-Kanal, um zu testen, wie man dort Wissenschaftskommunikation betreiben kann. Im Grunde weiß ich also selbst nicht, welche Idee mich als nächstes mit sich fortreißt.   

Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Ich bin eine totale Sonnenanbeterin und mein idealer freier Tag sieht darum so aus: Die Sonne scheint, es ist warm und ich bin mit Büchern, Hängematte, Picknick und meiner Familie im Park oder am Meer.

Bitte begrüßt Mareike ganz herzlich bei Real Scientists DE!

Friday, June 7, 2019

Komparatistik - Solvejg Nitzke ist jetzt bei Real Scientists DE!

Diese Woche freuen wir uns sehr, euch Solvejg Nitzke (@NitzkeSolvejg) als unsere neue Kuratorin vorstellen zu dürfen! Dr. Solvejg Nitzke studierte Germanistik und Komparatistik (Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft) in Bochum, Växjö (Schweden) und Charlottesville (USA). Sie ist seit Nov 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin (Open Topic Postdoc Position) an der TU Dresden. Zuvor war sie Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Zeit des Klimas“ an der Universität Wien. 2015 promovierte sie mit einer Arbeit über die Produktion von Wissen und Katastrophe an der Ruhr-Universität Bochum. Ihr aktuelles Forschungsprojekt „Prekäre Natur. Schauplätze ökologischen Erzählens“ untersucht die Reflexion und Produktion von Umwelt in populären Diskursen zwischen 1840 und 1915.

Academia: https://dresden.academia.edu/SolvejgNitzke
Uni-Seite: https://tu-dresden.de/gsw/slk/germanistik/mwndl/die-professur/beschaeftigte/dr-solvejg-nitzke

Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Manchmal habe ich das Gefühl, ich wollte da schon immer hin. Es war jedenfalls kein Zufall, aber definitiv Glück. Das Glück bestand darin, dass schon in meinem Studium an der Ruhr-Uni Bochum ein tolles Klima herrschte und ich beinahe sofort tolle Kommiliton*innen gefunden habe. Mit denen war dann ein beinahe altmodisches Leben in der Blase möglich v.a. als es dann ins heilige Hilfskraftbüro der Komparatistik (Allgemeine u. Vergleichende Literaturwissenschaft ging). Das war eine Blase, weil wir uns jeden Tag (den ganzen Tag und abends auch noch) mit ‚unseren‘ Texten beschäftigen konnten und wollten und über Literatur, Filme, Trash, Horror, Theorie, Texte schreiben, lesen, setzen…geredet haben, als gäbe es nichts Wichtigeres. Egal welche Idee wir da vorbrachten, so lange sie begründet und recherchiert war, wurde sie in Bochum (auch in der Germanistik) von den Lehrenden unterstützt. Verloren für die Außenwelt war ich dann, als ich durch den Tipp von Uwe Lindemann auf das Tunguska-Ereignis gekommen bin und beschlossen habe, meine Diss. darüber zu schreiben (sein Kommentar irgendwann: „Das machst Du jetzt im Ernst!??“, aber er unterstützt mich bis heute). Auch wenn das Landen in der Wissenschaft manchmal härter war, als ich das aus meiner Bochumer Blase erwartet hätte, zu solchen Dingen forschen zu können, wird mich noch eine Weile bei der Stange halten.

Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Ich habe damals angefangen Komparatistik zu studieren, weil ich dachte, das käme einem „Studium Generale“ von allen Fächern am nächsten. Das sehe ich immer noch so. Es gibt so viele Forschungsrichtungen, wie es Texte gibt und man ist nicht mal an Dinge gebunden, die es „wirklich“ gibt. Darin steckt unheimlich viel Freiheit: Anhand des Tunguska-Ereignisses und der Mythen und Verschwörungstheorien, die sich darum ranken (einfach googeln, der Wikipedia-Artikel ist super), habe ich dann angefangen, zu untersuchen, wie Wissen eigentlich zu Stande kommt und was passiert, wenn die gewohnten Wege der Wissensbildung scheitern. Die Katastrophen und Weltuntergangszenarien, die mit diesem „Rätsel“ zusammenhängen haben mich dann Stück für Stück der „prekären Natur“, meinem aktuellen Thema, näher gebracht.

Dass es sich bei meiner Arbeit oft nicht im engsten Sinne um Literaturwissenschaft und/oder Germanistik handelt hat mich nie gestört, im Gegenteil. Ich glaube nicht an Literatur als Phänomen im luftleeren Raum. Was ich viel spannender finde, ist, wie Erzählungen dazu beitragen, die (Um-)Welten zu produzieren, in denen wir leben. Was mich also im Schwellenraum zwischen Geistes- und Naturwissenschaft hält – z.B. Katastrophen, Klima, Science Fiction, Dorf, Pflanzen, Erzählte Ökologie... – ist nicht nur die Aktualität der Themen, sondern die Frage nach der Rolle des Erzählens in einem ganz breiten Sinne.

Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Gerade arbeite ich im Rahmen einer sogenannten „Open Topic Postdoc Postition“ daran, mein Projekt zur „Prekären Natur“ auch langfristig auf feste Füße zu stellen. Die Stelle hat also keine vorgefassten Aufgaben, sondern soll ein Sprungbrett sein, um ein eigenes Projekt zu entwickeln und (wer hätte es geahnt) Drittmittel dazu einzuwerben. Den Antrag habe ich vor kurzem eingereicht und darin geht es um die Frage, wie Ökologie zwischen 1840 und 1915 zu dem einflussreichen Denk- und Erzählmodell wird, dass sie heute ist. Dafür schaue ich mir Dorfgeschichten, kulturkritische Texte und populärwissenschaftliche Abhandlungen daraufhin an, inwiefern sie bestimmte Erzähltechniken und Narrative nutzen, um (proto-)ökologisches Wissen nutzbar zu machen und zu popularisieren. In der Wartezeit bis das Projekt bewilligt wird (Optimismus!) kann ich wieder schamlos in anderen, verwandten Feldern wildern und aktuellere Texte dazu nehmen. Z.B. arbeite ich gerade viel im Rahmen der Literary and Cultural Plant Studies (https://plants.sites.arizona.edu/). Das ist v.a. deswegen toll, weil ich noch nie so viel und so produktiv in Kollaboration gearbeitet habe (manchmal wird es bei uns im Fach etwas einsam am Schreibtisch). Mein Spezialgebiet hier sind Bäume – dazu unterrichte ich gerade mit meiner Dresdner Kollegin Elisabeth Heyne ein Seminar und mit zwei Bochumer Kolleginnen (Simone Sauer-Kretschmer und Stephanie Heimgartner) arbeite ich an einem Sammelband. Ansonsten geht es um Idyllen, Heimat und Aussteiger, aber davon erzähle ich dann auf Twitter mehr.

Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Wenn wir nicht verstehen, wie Wissen zu Stande kommt, welchen Status die Texte haben, die wir lesen und die Geschichten die wir hören und auf so unterschiedliche Weise rezipieren, laufen wir Gefahr unwillentlich und unwissentlich manipuliert zu werden. Nicht etwa, weil irgendwer verschwörerisch im Geheimen Pläne schmiedet, um uns zu kontrollieren, sondern – und das ist mir wichtig – weil wir dann außer Acht lassen, dass sich „Wirklichkeit“ nicht auf simple Gegenüberstellungen reduzieren lässt. Meine Arbeit ist eine, die Erzählungen „de-naturalisiert“, d.h. ich arbeite mit daran, Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit (z.B. in Bezug auf ‚Heimat‘) in Zweifel zu ziehen. Diese Arbeit ist deswegen für die meisten von uns interessant, weil sie das Potenzial hat (Entscheidungs-)Freiräume zu schaffen. Freiräume, die erlauben, sich zu positionieren, aber eben auch an der Wirklichkeit mitzuarbeiten und sie kreativ zu gestalten, anstatt sie nur hinzunehmen (oder eben darüber zu streiten, was sie überhaupt ist). Abgesehen davon, sitze ich einfach an ziemlich abgefahrenen Themen…

Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Leider nicht so viele, wie ich gern hätte und ich kann sie kaum trennen, von dem, was ich sonst so tue. Aber es gibt ein paar: erstens habe ich eine Familie hier in Dresden. Meine kleine Tochter ist die beste Fragenstellerin überhaupt und hat mich hoffentlich gut trainiert, um von meiner Forschung zu erzählen. Ich moderiere außerdem immer mal wieder literarische Veranstaltungen im Hygiene-Museum und in der Stadtbibliothek und hab neulich zum ersten Mal als Trainerin gearbeitet. (Letzteres trägt hoffentlich dazu bei, dass ich mich mehr engagieren kann, was die Stellung von Postdocs m/w/d in den Wissenschaften angeht…)

Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Hm. Ich singe und sticke und male und fahre gern Fahrrad und ich koche total gern – zählt das?

Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Wiese, Fluss, Buch und Schattenplatz unter einem Baum – wahlweise nehme ich auch das Meer und einen Sonnenschirm (Buch ist Pflicht). Fahrradfahren oder Rumlaufen mit dem Kind ist auch ziemlich super. Ansonsten bin ich auch immer für ausgedehnte Museumsbesuche mit Buchhandlungs- und Cafézeit zu haben…

Bitte begrüßt Solvejg ganz herzlich bei Real Scientists DE!

Sunday, May 12, 2019

Geschichten für (wirklich) alle - Tanja Kollodzieyski ist jetzt bei Real Scientists DE!

Diese Woche freuen wir uns sehr, euch Tanja Kollodzieyski (@rollifraeulein) als unsere neue Kuratorin vorstellen zu dürfen! Tanja lebt und arbeitet in Bochum. Sie glaubt fest an eine vielfältige Welt und an die Magie von Geschichten, deswegen hat sie einen Master in allgemeiner Literaturwissenschaft und Germanistik. Online arbeitet sie mit Menschen und sozialen Netzwerken. Offline hält sie Vorträge über Inklusion und intersektionalen Feminismus. Als Rollifräulein bloggt sie auf thabs.de über Vielfalt in Büchern und Serien.

Bild: Andi Weiland
Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Sagen wir mal so: Wenn man mit einer Behinderung in einem Dorf aufwächst, hat man nicht ganz so viele Möglichkeiten, was die Berufswahl angeht. Ein Studium hat sich also geradezu angeboten.

Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Schon als Kind habe ich mich für Bücher und andere Medien mit Geschichten interessiert, allerdings habe ich mich in den Geschichten kaum wiedergefunden, weil es kaum Figuren mit Behinderungen gab. Während des Studiums ist mir dann immer mehr bewusst geworden, dass sich daran bis heute kaum etwas geändert hat. Also habe ich mich im späteren Teil des Studiums immer mehr auf die Frage fokussiert, warum das so ist und wie wir als Gesellschaft daran etwas ändern können.

Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Nach meinem Master-Abschluss besteht meine Hauptarbeit in der Aufklärung und Kommunikation über Inklusion allgemein und vor allem in der Kultur. Diese Arbeit geschieht auf ganz verschiedenen Wegen: ich schreibe Artikel, halte Vorträge, poste auf den sozialen Medien zum Thema und engagiere mich ehrenamtlich bei kulturellen Projekten.

Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Ich halte es für wichtig, dass wir uns mit Geschichten umgeben, die die Vielfalt in unserer Gesellschaft widerspiegeln. Das gibt marginalisierten Kindern und erwachsenen Menschen nicht nur mehr Sichtbarkeit und damit auch Selbstvertrauen, sondern es kann auch dabei helfen Vorurteile und Barrieren im Kopf abzubauen.

Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Ich arbeite noch zusätzlich als Social-Media-Managerin und Online-Redakteurin.

Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Seit sechs Wochen leite ich selbst einen Kurationsaccount auf Twitter: bei @54Kontraste twittern 54 Menschen mit Behinderungen über ihr Leben.

Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Auf jeden Fall: Lange schlafen! Danach gerne ins Museum oder ins Kino und Abends einen Spaziergang zum Sterne schauen :).

Bitte begrüßt Tanja ganz herzlich bei Real Scientists DE!