Sunday, December 29, 2024

Wie man die Algebra für die Naturwissenschaften weiterentwickelt! Thomas Kahle ist jetzt bei Real Scientists DE!


Diese Woche freuen wir uns auf unsern Kurator Thomas Kahle (@tomkalei.bsky.social)! Thomas ist Mathematiker und hat 2010 an der Universität Leipzig promoviert. Seit 2013 ist er an der OvGU Magdeburg zunächst als Juniorprofessur und seit 2018 als Professor beheimatet. Er erforscht, wie die moderne abstrakte Algebra für Anwendungen, z.B. in der Statistik, nützlich gemacht werden kann. Außerdem podcastet er seit 2020 bei Eigenraum und Pi ist genau 3.

 

Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?

Meine Mutter ist auch Mathematikerin und daher bin ich vielleicht familiär schon in diese Richtung geprägt. Ich habe mich als Kind auch immer für Computer interessiert, und ein Studium an der Uni war schon als Kind mein Traum. Nach dem Abi habe ich mich dann bei der Studienwahl zunächst für Physik entschieden. Im Physikstudium gab es aber genug Mathematik, sodass ich das Fach nie aus den Augen und dem Herzen verloren habe. Nach einem Diplom in der theoretischen Physik habe ich am MPI für Mathematik in den Naturwissenschaften in Leipzig promoviert. Nach Postdoc-Aufenthalten u.a. in Stockholm und Berkeley habe ich 2013 einen Ruf auf eine Juniorprofessur erhalten und 2018 auf eine W2-Professur.


Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?

Mathematik fasziniert mich mit ihren Strukturen und ihrer ganz eigenen Kreativität. Alles wird aus ein paar wenigen Grundtatsachen logisch abgeleitet. Innerhalb der Mathematik ist die Algebra die Wissenschaft vom Lösen von Gleichungen. Gleichungen tauchen natürlich von Biologie bis Statistik überall auf und in der Algebra machen wir die Grundlagenforschung zu den mathematischen Methoden für Anwendungen. An der Mathematik liebe ich auch, dass man eigentlich immer loslegen kann. Mein Laptop ist mein Labor und ich kann ihn immer dabeihaben. Was mich dabei hält, ist die Freiheit, die man in der Mathematik hat, immer wieder eigene Lösungen zu finden.

Erzähle uns etwas über deine Arbeit!

Als Professor bin ich in Forschung, Lehre, Selbstverwaltung und Outreach aktiv. Die Verwaltung überspringe ich hier mal, sie muss eben gemacht werden.

In der Forschung beschäftige ich mich mit den Bezügen von Algebra zu anderen Themen. Auf der mathematischen Seite z.B. der Kombinatorik, welche uns oft hilft, die schwierigen und komplexen algebraischen Strukturen zu ordnen und einfach zu beschreiben. Ich bin Mitglied des Programmkommittees des DFG-Schwerpunktprogramms 2458 „Kombinatorische Synergien“, wo wir diese Verbindungen erforschen.

Ich versuche auch die Anwendungen von Algebra in Naturwissenschaften weiterzuentwickeln. Da gibt es etwa das Feld der Algebraischen Statistik in der wir uns speziell mit algebraischen Strukturen in statistischen Methoden wie Maximum Likelihood Schätzung oder statistischen Tests auseinandersetzen.

In der Lehre gestalte ich die Grundausbildung in den mathematischen Studiengängen, sowie auch Lehramtsausbildung. Natürlich halte ich auch Vorlesungen über algebraische Spezialgebiete, wie man sie im Masterstudium Mathematik belegt.

Im Bereich Outreach habe ich das Podcasten für mich entdeckt. Ich erzähle gerne die Geschichten der Mathematik. Ich bin ein Sammler von Kuriositäten und kreativen Momenten, wo durch eine witzige Idee etwas Überraschendes passiert ist, oder wo die einzigartigen Lösungen, die in der Mathematik gefunden werden, auch woanders überraschen können. Einen Science-Slam habe ich auch schon mal bestritten und werde es wieder tun.

Motivation: Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?

Mathematik steckt in vielen Dingen drin, ohne dass man es groß bemerkt. Viele kennen nur das evtl. ungeliebte Schulfach, welches die Vielfalt, Kreativität und Freiheit der Mathematik gar nicht gut abbilden kann. Ich spreche gerne alle an, die sagen „in Mathe war ich immer gut, habe das aber nach der Schule nie weiterverfolgt“ und alle die das Schulfach nicht mochten natürlich auch.


Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?

Da fällt mir gerade nichts ein.


Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?

Ich habe 3 Kinder und probiere gerne mit ihnen zusammen aus, was denn ihre Hobbies werden sollen. Aktuell sind da Mineralogie und Retro-Computerspiele angesagt, aber das ändert sich regelmäßig.

 

Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forschende sind ja auch nur Menschen)?

Nach 8h Schlaf aufstehen, ein leckeres Frühstück mit knusprigem Brot und Kaffee und dann bei Sonne mit meiner Familie Skifahren oder Wandern.


Bitte begrüßt Thomas ganz herzlich bei Real Scientists DE!

Sunday, December 15, 2024

Gesundheit, Technik und Umwelt aus literatur- und kulturwissenschaftlicher Perspektive! Jennifer S. Henke ist jetzt bei Real Scientists DE!

Diese Woche freuen wir uns auf unsere Kuratorin Jennifer S. Henke (@jenniferhenke.bsky.social)! PD Dr. phil. habil. Jennifer S. Henke ist Privatdozentin. Sie forscht und lehrt im Bereich der anglophonen Literatur- und Kulturwissenschaften. Ihre Schwerpunkte liegen in der medienkulturwissenschaftlich ausgerichteten Textanalyse von der Renaissance bis heute. Sie ist die (Ko-)Autorin von vier Büchern und hat u.a. zu Shakespeare-Adaptionen, zum Hollywood Film, zur Literaturkulturgeschichte von psychoaktiven Drogen und zur Medizingeschichte während der Aufklärung in Großbritannien publiziert.  

 

Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Nach meinem Magister-Studium der Anglistik/Amerikanistik und Germanistik entstand der große Wunsch, mich weiter wissenschaftlich zu betätigen, also bewarb ich mich um ein Stipendium und promovierte drei Jahre lang zu filmischen Adaptionen von Shakespeares Dramen. Nach der Promotion arbeitete ich als Postdoc weitere drei Jahre u.a. für die interdisziplinäre Forschungsgruppe Fiction Meets Science und untersuchte die Darstellung von Wissenschaft(ler*innen) in Literatur und Film. Daran anschließend leitete ich vier Jahre auf einer eigenen Stelle ein Projekt zur Darstellung der Geburtsmedizin in kulturellen Artefakten während der Aufklärung in Großbritannien. Nach pandemiebedingten Unterbrechungen sowie Vertretungsprofessuren in MV und BaWü habilitierte ich mich in NRW und bin nun Privatdozentin (ohne Anstellung).


Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Aktuell habe ich meinen Forschungsfokus, der vor allem im Bereich science, literature and culture und den medical humanities verortet ist, um das Feld der environmental humanities erweitert. Mich faszinieren vor allem die material cultures sowie posthumanistische Ansätze, mit denen sich Fragen zu Gesundheit, Technik und Umwelt aus literatur- und kulturwissenschaftlicher Perspektive hervorragend verbinden lassen. Spannend finde ich insbesondere den Versuch, den Menschen zu dezentrierten und somit zum Bewusstsein beizutragen, dass wir seit jeher mit Materie und unserer Umwelt verbunden sind, ohne dabei jedoch unsere individuelle Verantwortung aus dem Blick zu verlieren.


Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Zurzeit arbeite ich an neuen Aufsätzen zu den o.g. Themen und habe in diesem Jahr mein sog. ‚zweites Buch‘ in die Produktion gegeben, sodass mir nun wieder mehr Zeit für neue Ideen bleibt. Wenn ich nicht gerade durch die Bundesrepublik zu Vertretungsprofessuren, Vorträgen oder Seminaren pendle, verbringe ich die meiste Zeit im home office, verschlinge Fachliteratur und bereite mich auf den nächsten Bewerbungsmarathon in dieser Karrierephase vor, die zu den prekärsten in diesem System gehört: Privatdozierende haben in der Regel Berufsverbot nach dem #WissZeitVG und führen meist unentgeltlich ihre sog. Titellehre durch. Nur Literatur schmökern reicht also nicht: Zur täglichen Arbeit von PDs gehört z.B. auch, Anträge zu schreiben und auf Bewilligung im hart umkämpften Drittmittelgeschäft zu hoffen, um möglichst lange durchhalten zu können. Ich liebe meine Arbeit trotzdem, vor allem die Zusammenarbeit mit Kolleg*innen und Studierenden motiviert mich immer wieder.       


Motivation: Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Weil Literatur und Kultur viel mehr können als einfach nur zu unterhalten. Ich betrachte sämtliche Texte, dazu gehören sowohl der Roman, das Drama, die Kurzgeschichte, der Film, die Illustration oder sogar das Computerspiel, als kulturelle Artefakte, die uns sehr viel über das, was war, was ist und das, was kommen mag, erzählen können. Gerade angesichts der rasant abnehmenden Text- und Medienkompetenz und der Flut an Desinformationen sind die Literatur- und Kulturwissenschaften heute besonders gefragt, gleichzeitig aber auch politisch unter Beschuss. Nicht zuletzt trainiert die Literatur- und Kulturanalyse den Perspektivwechsel und die Empathiefähigkeit – sie ist vor allem demokratiefördernd, ein Effekt, den wir heute mehr denn je brauchen.   


Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Ich würde mich durchaus als Aktivistin bezeichnen, die sich spätestens seit #IchBinHanna für bessere Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft einsetzt. Ich bin zudem solidarisch mit #IchBinReyhan, einem intersektional ausgerichteten Hashtag, der u.a. auch Frauen* und nicht-akademisierte (#FirstGen) Forschende mitdenkt, die in der Wissenschaft noch immer eklatant unterrepräsentiert sind, vor allem in Führungspositionen, und von der Sprachwissenschaftlerin Dr.in Reyhan Şahin ins Leben gerufen wurde.  


Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Wenn ich nicht gerade online bin, verbringe ich liebend gern so viel Zeit wie möglich mit unseren drei Hunden. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich zudem viel öfter ins Kino gehen, ich bin ein absoluter Filmmensch. Ansonsten kann man mich an meinen Lieblingsorten in Bremen antreffen: an der Schlachte, im Viertel, im Waller Park oder am Osterdeich.


Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forschende sind ja auch nur Menschen)?
Gutes Essen, gut gelaunte Hunde, guter Film, gute Freund*innen (nicht zwingend in dieser Reihenfolge).




Bitte begrüßt Jennifer ganz herzlich bei Real Scientists DE!

Sunday, November 24, 2024

Jugendhilfe erforschen - Menno Baumann ist jetzt bei Real Scientists DE!

Diese Woche freuen wir uns auf unseren neuen Kurator Menno Baumann! Menno  (@mennobaumann.bsky.social) ist Professor für Intensivpädagogik in Teilzeit, seine Forschungsschwerpunkte sind riskante Fallverläufe in der Jugendhilfe und interdisziplinäre Gewaltforschung. Mit der anderen Hälfte ist er  in der pädagogischen Praxis als Diagnostiker, Sachverständiger und Berater in unterschiedlichsten Kontexten der Jugendhilfe, des Schulsystems, des Familienrechts und ganz manchmal auch der Politik tätig.





Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?

Nach einer berufsbegleitenden Promotion (damals 100% als Sonderpädagoge) an der Universität Hannover zum Thema Schnittstellen von Erziehungswissenschaften und Hirnforschung im Kontext der Emotionsforschung (war mit dem Thema nach dem Studium einfach noch nicht durch) eröffnete man mir die Chance auf eine halbe Stelle an der Uni Oldenburg – mit Option der Habilitation. Dort durfte ich selbstständig zwei Forschungsprojekte leiten und dann bin ich halt nie wieder davon weggekommen (von der pädagogischen Praxis aber auch nicht)


Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?

Als Pädagoge habe ich mich immer für die Kinder und Jugendlichen interessiert, die auf Grund der Schwere ihrer Verhaltensproblematiken von allen anderen fallen gelassen wurden. Insofern waren die Bereiche Intensivpädagogik und Gewaltforschung einfach gesetzt (ich kann ja nichts anderes) und durch die Verquickung von Theorie/ Forschung und praktischer Arbeit gibt es in Deutschland zu diesem Feld auch nicht so viele ausgewiesene Expert*innen, die beides kennen und können. Insofern war ein Wechsel der Arbeitsschwerpunkt nie ein Thema.



Erzähle uns etwas über deine Arbeit!

Ich lehre im berufsbegleitenden Master-Studiengang „Soziale Arbeit, Schwerpunkt Kinder- und Jugendhilfe“ an der Fliedner. Ich finde gerade im sozialen Bereich berufsbegleitende Studiengänge großartig, da man da sehr kritische Studierende hat, die gleichzeitig echte Fragen mitbringen und ein hohes Engagement investieren. Auf Grund meiner Habilitation und meines Status als PrivDoz an der Uni Oldenburg habe ich auch die Möglichkeit, sehr engagierten jungen Kolleg*innen zu begleiten und sie bis zur Promotion zu fördern. Deshalb bin ich auch Promotionsbeauftragter der Hochschule. Und ich Forsche in verschiedenen Projekten, wobei aktuell zwei Projekte im Fokus stehen: 


  • Child-to-Parent Violence – ein in der Praxis sehr weit verbreitetes Phänomen, dass in Mitteleuropa kaum in der Forschung vorkommt
  • Troublesome Youth Groups in Germany – Auch das Thema Jugend-(Straßen-)Gewalt, welches in den Medien viel politisiert wird und mit Fake News durchzogen ist, kann man natürlich mit Forschungsmethodik (in diesem Feld nutzen wir Netzwerktheorien als Grundlage) auch echt erschließen und daraus Präventions- und Interventionsstrategien entwickeln.


In meiner praktischen Arbeit unterstütze ich Familiengerichte und Jugendämter durch Diagnostik und  Moderation bei der Suche nach geeigneten Lösungen für Kinder und Jugendliche, die durch sehr schwerwiegende Formen verstörenden Verhaltens durch die Maschen fallen oder die sehr schwere Straftaten begangen haben (ja, gerade Kinder U14, die Tötungsdelikte oder schwere Sexualverbrechen begehen, sind sehr schwierig zu moderieren und somit bin ich diesbezüglich im gesamte deutschsprachigen Raum Mitteleuropas tätig). Ich unterstütze gemeinsam mit zwei Kolleginnen Jugendhilfeträger in der Entwicklung, Konzeptionierung und  Implementierung von Hilfen für junge Menschen und ihre Familien, die es sehr schwer haben. Auch Elternberatung gehört in dieses Feld. Und ich biete Fort- und Weiterbildungen sowie Fachvorträge für Praktiker*innen an.


Motivation: Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?

Kinder und Jugendliche mit herausforderndem Verhalten, schweren Formen der Kriminalität, sowie das Thema Gewalt insgesamt – ausgehend von jungen Menschen aber auch familiäre Gewalt in allen ihren Facetten – sind gesellschaftsrelevante Themen, die uns alle betreffen. Auch sind diese Themen schon seit eh und je politisiert, mit Fake News durchzogen und durch populistische Maßnahmen, die wissenschaftlich betrachte irgendwo zwischen Kontraproduktiv und Bullshit anzusiedeln sind, durchzogen. Gerade bei wachsender Wissenschaftsfeindlichkeit und erstarkendem Rechtspopulismus bis tief ins konservative politische Lager hinein bräuchten wir viel mehr Wissen und öffentliche Aufmerksamkeit auf die Forschung in diesem Bereich. Darüber hinaus kann meine praktische Arbeit Hoffnung machen.


Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?

Ok, habe ich jetzt alles gerade schon beschrieben =))


Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?

Ich spiele fürchterlich erfolglos Tischtennis (aktuell 3. Kreisklasse). Etwas besser aufgestellt bin ich als Musiker. Ich spiele (für einen Hobby-Klampfer) recht passabel Akustik-Gitarre (Fingerstyle), komponiere ein wenig und singe in verschiedensten Musikprojekten in der tiefen Lage den Bass.



Wie sieht dein idealer freier Tag aus? (Forschende sind ja auch nur Menschen)

Super viel Zeit für das Frühstück mit meiner Frau, danach ein wenig Musik, dann zum späten Abend selber was leckeres Kochen und danach mit meiner Jüngsten ins Eishockey-Stadion (Alternativ mit so vielen Familienmitgliedern wie möglich Karten spielen).


Bitte begrüßt Menno ganz herzlich auf dem Kanal!


 

Sunday, November 17, 2024

Mensch-Maschine-Kommunikation - Mario Donick ist jetzt bei Real Scientists DE!

Diese Woche freuen wir uns auf unseren neuen Kurator Mario Donick! Mario (@mariodonick.bsky.social) ist Freier Autor und Kommunikationswissenschaftler, seine  Arbeitsschwerpunkte sind Mensch-Maschine-Kommunikation, Technikvertrauen, Phänomenologie & Computerspiel, Flugsimulation. Aktuell arbeitet er an einer annotierten Sammlung von DDR-Computerspielen. Zurzeit ist er außerdem (WS 2024/25) Lehrbeauftragter an der Hochschule Magdeburg-Stendal im Studiengang Language and Communication in Organizations (LCO). 

Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Ich habe 2001-2007 Germanistik und Geschichte studiert, weil mich das interessiert hat. Die damaligen Dozent*innen haben mich sehr motiviert, meine eigenen Interessen einzubringen. Damals hat mich vor allem Internetkommunikation interessiert - Chats, Multi User Dungeons (die rein textbasierten Vorläufer von heutigen Online-Rollenspielen) und auch die ersten Blogs (die damals noch Internet-Tagebücher hießen).
Da mir das Spaß gemacht hat und ich gefragt wurde, habe ich nach dem Magister eine Doktorarbeit angehängt. Die habe ich in Kommunikationswissenschaft gemacht, wobei das in Rostock damals noch eine etwas ungewöhnliche Mischung aus Linguistik und Kommunikationssoziologie war, mit einer starken Anknüpfung an Luhmann'sche Systemtheorie. Ich untersuchte, was Menschen tun, wenn sie bei der Nutzung von Computern auf Probleme stoßen. Daran habe ich ca. 2010-2014 gearbeitet, die Verteidigung war Anfang 2015.
In all der Zeit war ich parallel in befristeten Verträgen als wissenschaftlicher Mitarbeiter in interdisziplinären Projekten tätig. Außerdem habe ich Lehrveranstaltungen durchgeführt. Gerade letzteres hat mir immer viel Spaß gemacht, weil ich da selbst viel gelernt habe.
Nach der Verteidigung der Arbeit habe ich die Uni aber verlassen, weil ich das Wissenschaftszeitvertragsgesetz schon vorher als enorm stressig empfunden habe und ehrlich gesagt keine Lust hatte, alle paar Monate umziehen zu müssen oder in manchmal an Machtkämpfe erinnernde Projektkonstellationen geworfen zu sein.
Ich habe mir also einen "normalen" Teilzeitjob für Miete und Krankenkasse gesucht und nach ca. zwei Jahren angefangen, parallel als freier Autor zu arbeiten. Dadurch bin ich aber doch wieder näher an die akademische Welt gerückt. Geisteswissenschaften brauchen glücklicherweise keine umfangreiche Laborausstattung, d.h. ich kann auch freiberuflich zu bestimmten Themen arbeiten (siehe Frage 7).

Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?!
Die Antwort auf das "Warum" klingt jetzt komisch, aber: Es macht mir Spaß.
Durch die Absicherung durch meinen unbefristeten Teilzeitjob habe ich den Vorteil, mir keine großen Sorgen um die nächsten Monate machen zu müssen. Und durch die parallele Freiberuflichkeit bin ich von den ganzen Nebenschauplätzen befreit, mit denen man sonst seine Arbeitszeit an einer Hochschule verbringt.
Allerdings habe ich mich auch schon öfter gefragt, wie sinnvoll das alles ist. Ich habe keine Büro-Kolleg*innen, mit denen ich mal spontan an der Kaffeemaschine über Ideen oder Methoden reden kann. Tagungen sind nur in eingeschränktem Umfang möglich - dafür muss ich meinen normalen Urlaub nehmen (was nicht immer rechtzeitig geht oder auch mal abgelehnt wird) und muss es privat bezahlen (was auch oft nicht möglich ist). Die Corona-Zeit mit den Online-Tagungen war da tatsächlich ein Weg, wieder öfter teilzunehmen. Glücklicherweise gibt es auch jetzt noch gestreamte Tagungen.
Jedenfalls heißt das, ich bin nicht mehr so intensiv eingebunden in die akademische Welt wie ich es früher während der Promotion war. Die Gefahr ist dann, dass man im eigenen Saft schmort. Und dass man gerade bei aktuellen Themen (die auch Aufmerksamkeit generieren) nicht so schnell arbeiten kann, wie es nötig wäre, um relevant zu sein. Aber glücklicherweise gibt es auch Themen, die etwas zeitloser sind 🙂

Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Es gibt zwei große Bereiche, die man abgrenzen könnte (auch wenn sie sich dann doch überschneiden):
I. Ich interessiere mich nach wie vor für den Umgang von Menschen mit den Problemen ihrer technischen Welt - sowohl was die tatsächliche Nutzungssituation angeht, als auch weitergehende Kontexte. Es ist z.B. unglaublich spannend, wie sich das alles vom "Web 1.0" über das "Web 2.0" zu den heutigen Social Media-Systemen und dem "KI"-Hype entwickelt hat.
Mich interessiert da, ob ich das überhaupt noch mit den kommunikationswissenschaftlichen Analysemethoden meiner Doktorarbeit fassen kann, oder ob heute etwas (KI?) wirklich fundamental anders ist.
Außerdem habe ich den Blickwinkel etwas geändert. In der Doktorarbeit hatte ich linguistische und systemtheoretische Zugängen, mit denen ich damals von außen auf Computernutzung geblickt habe. Seit einiger Zeit beschäftige ich mich eher mit phänomenologischen Zugängen, die die subjektive Wahrnehmung der Menschen in den Blick nehmen.
II. Daneben habe ich mich schon früher für die Game Studies interessiert (zu dem Thema hat ja vor ein paar Wochen schon Rudolf Inderst viel in eurem Account gepostet) und bin da in den letzten zwei, drei Jahren wieder aktiver geworden.
Konkret widme ich mich gerade
(1) dem Aufbau eines annotierten Archivs von DDR-Computerspielen (ja, die gab es, und nicht nur "Hase und Wolf" 😉 )
(2) einem Buchprojekt, in dem ich das weite Feld der Weltraum-Computerspiele ein wenig kulturkritisch auseinandernehme - wie solche Spiele einerseits die Faszination und Ehrfurcht vor der Natur, dem Weltall, der Weite aufgreifen und teilweise auch auslösen, wie sie aber andererseits oft mit sehr kapitalistischen, bis hin zu libertären, Spielmechaniken und Narrativen ausgestattet sind.
Aber wie gesagt, beide Bereiche (I und II) überschneiden sich.

Motivation: Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Wir leben umgeben von Computern, und oft sind es heute die Unternehmen, die darüber die Deutungshoheit setzen wollen. Aber wie sich das Leben in dieser Welt für uns als einzelne Personen anfühlt; wie wir freiwillige und unfreiwillige Nutzungssituationen wahrnehmen; oder wie wir damit umgehen, dazu kann auch die Geisteswissenschaft einiges beitragen. Das gilt sowohl für "seriöse" Anwendungssoftware als auch für Computerspiele.

Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Ich schreibe auch viel zu Flugsimulation, und ab und zu für das Spielemagazin GameStar.

Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Ich programmiere gerne auf einem emulierten DDR-Computer, den ich als Kind selbst hatte (KC 85/3), Computerspiele, die nie fertig werden.
Außerdem habe ich von 2006-2018 das roguelike-Rollenspiel "LambdaRogue" veröffentlicht, das man kostenlos bei itch.iorunterladen kann.

Wie sieht dein idealer freier Tag aus? (Forschende sind ja auch nur Menschen)
Ausschlafen ohne Wecker, dann Kaffee trinken und Zeitung lesen, ein bisschen spazieren gehen und sonst entspannt rumhängen mit einem Buch, Film, Spiel oder Musik.
Bitte begrüßt Mario ganz herzlich auf dem Kanal!