Diese Woche freuen wir uns auf unseren Kurator Matthis Krischel (@matthiskrischel.bsky.social)! Matthis ist Medizinhistoriker und -ethiker und arbeitet an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Nach einem Studium der Wissenschaftsgeschichte wurde er an der Universität Ulm mit einer Arbeit zur Medizin im Nationalsozialismus promoviert. Nach Stellen in Aachen und Göttingen ist er seit 2016 in Düsseldorf tätig, wo er seit 2023 auch Privatdozent ist. In seiner Forschung schaut er aus historischer und ethischer Perspektive auf die Entwicklung von Medizin und Lebenswissenschaften vom 19. Jahrhundert bis heute.
Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Nach einem Auslandsjahr
während des Studiums an der University of Oklahoma hat man mir angeboten, dort
einen Master in Wissenschaftsgeschichte abzuschließen, inklusive eines Jobs als
Tutor und eines Stipendiums. Das Angebot habe ich gerne angenommen. Zurück in
Deutschland habe ich mich auf Doktorandenstellen beworben, weil ich Lust auf
Forschung und Lehre hatte. Nach der Promotion bekam ich dann eine Stelle in der
Wissenschaft und bin ihr bis heute treu geblieben.
Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich
dort?
Studiert habe ich
Wissenschaftsgeschichte. Meine Doktorandenstelle war in einem Forschungsprojekt
zur Geschichte der Evolution und Klassifikation in Biologie, Sprachwissenschaft
und Wissenschaftsgeschichte und angesiedelt an einem Institut für Geschichte,
Theorie und Ethik der Medizin. Nach einigen Jahren habe ich meine Doktorarbeit
dann doch nicht in dem Projekt, sondern zur Medizin im Nationalsozialismus
geschrieben, ein Thema, das mich bis heute umtreibt. In Deutschland müssen alle
Medizin- (und seit einigen Jahren auch Zahnmedizin-)studierenden Kurse im
Querschnittsbereich Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin belegen. Zunächst
über die Lehre habe ich dann auch die Medizinethik kennengelernt. Seitdem
forsche ich auch zur Geschichte medizinethischer Kodizes und engagiere mich
seit 2017 in der klinischen Ethikberatung.
Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Meine Arbeit besteht aus den drei Bereichen Forschung, Lehre und Service. In der Forschung beschäftigen mich v.a. die Geschichte der Medizin und der Lebenswissenschaften vom 19. bis zum 21. Jahrhundert, darunter die Geschichte der Medizin im Nationalsozialismus, ihre Erinnerungskultur und ihre ethischen Implikationen bis heute sowie die Geschichte der Humangenetik, der Urologie, Venerologie und Sexualwissenschaft und der Zahnmedizin. Seit der Dekriminalisierung der Suizidassistenz vor einigen Jahren beobachte ich auch deren Entwicklung in Deutschland. Aktuell leite ich (als einer von drei PIs) ein Forschungsprojekt zur Großen Ausstellung für Gesundheitspflege, Soziale Fürsorge und Leibesübungen (Düsseldorf, 1926), der größten Ausstellung der Weimarer Republik. Die zentrale Fragestellung ist, ob die Art, auf welche dort Gesundheitsaufklärung betrieben wurde, als demokratisch verstanden werden kann.
In der Lehre bin ich vor allem an der Medizinischen Fakultät aktiv. Ich unterrichte Geschichte der Medizin und Medizinethik für Studierende der Human- und Zahnmedizin sowie in Masterstudiengängen für Translational Neuroscience und Public Health. Ab und zu unterrichte ich auch Seminare am Institut für Geschichtswissenschaften. Dabei fällt mir auf, wie unterschiedlich Medizin- und Geschichtsstudierende ticken – und mit beiden macht die Arbeit Spaß! Zu meinen Lieblingsformaten in der Lehre gehören Exkursionen. Mit studentischen Gruppen war ich schon in Deutschland, Österreich, Polen, Tschechien und England unterwegs.
Zu Service gehört zum einen Gremienarbeit, z.B. in Unterrichtskommissionen, aber auch die Mitarbeit bei der Überarbeitung des Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalogs Medizin (NKLM 2.0) und in Fachgesellschaften. Auch das Begutachten von Zeitschriftenartikeln und Projektanträgen (Peer Review) ist Teil meiner Arbeit. Weil ich selbst in begutachteten Zeitschriften veröffentliche und Drittmittelanträge schreibe, ist es nur fair, auch mal als Gutachter zur Verfügung zu stehen.
Motivation: Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit
interessieren?
Medizin und
Lebenswissenschaften gehen uns alle an. Das geht von der Verteilung von
Ressourcen im Gesundheitssystem (mehr Geld für Prävention oder für die
Behandlung akuter Erkrankungen?) über die Abwägung zwischen Solidarität und
Eigenverantwortung (und gerechter Verteilung der Lasten) in der Covid-Pandemie
bis zur Frage, warum zu bestimmten Zeiten Phänomene als Krankheiten gelten oder
nicht (Homosexualität, Transsexualität, ADHS, Long Covid, …). Als Forscher im
Querschnittsbereich Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin helfe ich der
interessierten Öffentlichkeit zu verstehen, warum Medizin und Wissenschaft so
funktionieren, wie sie es gerade tun. Und ich helfe Ärzt:innen und
Wissenschaftler:innen dabei zu erkennen, dass ihre Arbeit nicht naturgegeben so
ist, sondern auch von vielen externen Faktoren abhängig und historisch,
kulturell und sozial wandelbar ist.
Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Zum einen bin ich als klinischer Ethikberater am Universitätsklinikum Düsseldorf tätig. Dort kann das Personal der Klinik, aber auch Patient:innen und Angehörige, eine Ethikberatung anfordern. Dann moderiere ich ein etwa einstündiges Gespräch, in dem wir versuchen, die ethische Dimension des Problems herauszuarbeiten und zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen.
Daneben bin ich auch als Independent Ethics Advisor für ein EU-Projekt tätig. Dort werden u.a. qualitative Interviews mit Menschen geführt und ich berate die Forschenden dazu, wie die Teilnehmer:innen an der Forschung aufgeklärt werden sollen. Außerdem biete ich Forschungsethik-Trainings für die Doktorand:innen und Postdocs in den Teilprojekten an.
Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Ich gehe sehr gerne in
Museen (am liebsten für moderne Kunst, auch wenn ich nicht ganz viel davon
verstehe) und ins Theater (am liebsten ins Berliner Ensemble). Wenn ich am
Wochenende Zeit habe, koche ich gerne.
Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forschende sind ja auch nur Menschen)?
In Ruhe Kaffee
trinken, ein bisschen Bewegung an der frischen Luft (am idealen Tag wäre das
Schwimmen im Meer), Zeit zum Lesen, nette Menschen um mich haben.
Bitte begrüßt Matthis ganz herzlich bei Real Scientists DE!