Zum Auftakt des neuen Jahres freuen wir uns sehr, euch unsere neue Kuratorin Andrea Rapp (@RappAndrea) vorstellen zu dürfen! Andrea ist Professorin für Computerphilologie und Mediävistik an der Technischen Universität Darmstadt. Nach ihrem Studium der Kunstgeschichte und Germanistik an der Universität Trier arbeitete sie als dort als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im SFB 235 "Zwischen Maas und Rhein", im Trier Center for Digital Humanities und leitete das Digitalisierungszentrum der Niedersächsischen Staas- und Universitätsbibliothek Göttingen. Andrea hat zahlreiche Digitalisierungs- und Forschungs(daten)infrastrukturprojekte wie TextGrid und DARIAH (mit-)initiiert und möchte sich in den nächsten Jahren wieder verstärkt ihrem Herzensthema, der mittelalterlichen Überlieferung und ihrer Erforschung mit digitalen Methoden, widmen.
Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?Über ein paar Umwege, obwohl der Weg von heute betrachtet so gradlinig aussieht. Ich wollte gerne Museumsarbeit machen, daher habe ich Kunstgeschichte als Hauptfach studiert und Germanistik als zweites Fach dazu aus Neigung, die bei mir ein sehr guter Deutschlehrer bestärkt hat. Als ich dann in der Germanistik das erste Mediävistik-Seminar gemacht habe – was bei den meisten immer noch absolut ungeliebt, oft sogar gefürchtet ist – da war es einfach Liebe auf den ersten Blick, diese historische Perspektive auf Sprachentwicklung und Sprachwandel, diese schöne mittelhochdeutsche Sprache und die wunderbare Literatur, nicht zuletzt die Handschriften! Ich hatte das Glück, zuerst als studentische Hilfskraft, dann als wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem Sonderforschungsbereich in Forschung und Lehre hineinzuwachsen und konnte mir kein schöneres Umfeld mehr vorstellen. Immer Neues lernen und immer der Kontakt mit der jungen Erwachsenengeneration – das ist durch nichts zu ersetzen!
Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Zu den Digital Humanities bin ich bereits in den 80ern als studentische Hilfskraft gekommen. Mein akademischer Lehrer Kurt Gärtner nutze den Computer für die digitale Erarbeitung von Editionen (damals noch reine Print-Editionen) und Wörterbüchern. Wir Hilfskräfte wurden einfach an das Sperry-Terminal gesetzt und transkribierten Handschriften mit TUSTEP, einer Software, die ihre Wurzeln in den 70ern hat und bis heute weiterentwickelt wird und im Einsatz ist. In den 90ern erkannten wir rasch die Möglichkeiten des Internets und begannen in Trier mit Retrodigitalisierungen von Wörterbüchern, z.B. den Mittelhochdeutschen Wörterbüchern, dem Wörterbuch der Brüder Grimm und anderen Materialien. Ich war immer fasziniert von Mustern, Strukturen, Ordnungsmöglichkeiten in Sprache, Texten und Wissen – das erklärt wohl meine Vorliebe für Sprachgeschichte, Lautgesetze, Ablautreihen, Wörterbücher, Editionen, Sammlungen, Bibliotheken und Computeranwendungen.
Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Ich habe einen ganz klassischen Professorinnenjob mit Forschung, Lehre und Verwaltung bzw. Management. Das Schöne an meinem Fachgebiet ist die Vielfalt – ich mache ganz traditionelle mediävistische Lehre wie eine Einführung in die historische Sprachwissenschaft, aber eben auch computerphilologische Themen wie Digitale Lexikographie oder Annotationsverfahren u.a.m. Das Digitale ermöglicht eine enorme Vielfalt an Forschungskooperationen, aktuell z.B. mit dem SFB 980 Episteme in Bewegung in Berlin, wo wir an Dynamiken in langfristig tradierten vormodernen Wissensbeständen, die bislang eher als statisch und beharrend angesehen wurden, arbeiten oder mit dem SFB 805 der TU Darmstadt aus den Ingenieurwissenschaften, wo wir uns für die Analyse von sprachlicher Vagheit und Unsicherheiten in Normen-Texten interessieren. In beiden Bereichen spielen Korpora, Annotationsverfahren und Forschungsdatenmanagement eine wichtige Rolle. Das beschäftigt uns auch im Konsortium Text+, mit dem wir uns für die Nationale Forschungsdateninfrastruktur beworben haben, um eine solche Infrastruktur für Sprach- und Textdaten aufzubauen. Da Sprache und Text nicht allein Forschungsgegenstände von eigenem Wert sind, sondern allgemein für Wissen, Kultur und Kommunikation grundlegend sind, ist das eine wirklich spannende Aufgabe. In anderen Teams arbeite ich an der digitalen Edition von Briefwechseln mit den Brüdern Grimm oder an einem Archiv von Liebes- und Paarbriefen, die nicht von berühmten Menschen, sondern von Jedermann und –frau stammen, also Alltagskultur repräsentieren. Dazu starten wir übrigens im nächsten Jahr mit einem Citizen-Science-Projekt, das wir gerade schon intensiv vorbereiten.
Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Es gibt wahnsinnig viele hartnäckige Klischees, zum einen über die Geisteswissenschaften im Allgemeinen, zum anderen über das Mittelalter im Besonderen, daran müssen wir arbeiten! Ich finde es absolut faszinierend, über die historischen Kodices, Texte und Sprachstände über die Jahrtausende hinweg zu kommunizieren – so wie wir heute über die räumlichen Entfernungen kommunizieren können. Diese historische Perspektive macht uns offener, toleranter, geschmeidiger, neugieriger, vielfältiger. Und dann die Digitalität: Sie durchdringt und formt unsere Gesellschaft in praktisch jeder Hinsicht und es geht hier eben nicht nur um Technologie, sondern um den Umgang der Menschen miteinander, um Kunst, Kultur, Bildung, Werte, Einschätzungen, Machtverhältnisse, Ethik ...
Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Ich bin sehr aktiv im sog. wissenschaftlichen Ehrenamt, bin also in vielen Kommissionen und Gremien und gutachte sehr viel. Von 2017-2019 war ich Vizepräsidentin für wissenschaftliche Infrastruktur an der TU Darmstadt, also zuständig für das Rechenzentrum und die Bibliothek, was mir einerseits durch meine Arbeit in Göttingen als auch durch die Forschungsinfrastrukturprojekte vertraut war, andererseits aber viele spannende neue Erfahrungen und Begegnungen ermöglichte. Ich bin auch Mitglied in der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz. Das hört sich für manche vielleicht etwas verstaubt und nach Elfenbeinturm an, aber das ist es gar nicht! Ich genieße die Veranstaltungen zu allen Wissenschaftsgebieten und aus der Kultur dort sehr – eine bessere Fortbildung, einen besseren Input kann man gar nicht bekommen.
Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Leider habe ich nicht viel Zeit für Hobbies, natürlich lese ich ‚besessen‘, mache ein bisschen Yoga und gärtnere im Minimini-Garten. Früher habe ich mal gemalt und denke oft in besonders stressigen Zeiten, dass ich meine Stifte wieder hervorholen sollte, um entspannt kreativ zu sein – vielleicht nach der Pensionierung ;-). Außerdem koche ich wirklich sehr gerne und probiere neue Rezepte aus. Ich liebe es, Marmelade zu kochen und kleine bunte Gläschen damit zu füllen, oder auch Kräutersalz und Kräutertee selbst zu machen, das empfinde ich auch als kreativ.
Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Ein idealer freier Tag ist ein warmer Sonnentag, an dem ich mit meinem Mann ein bisschen wandern oder auch den Tomaten und Erdbeeren auf unserer Terrasse beim Wachsen zuschauen kann. Und vor allem: Zeit für ein gutes dickes Buch sollte auch sein, gern auch Krimis und Romane.
Bitte begrüßt Andrea ganz herzlich bei Real Scientists DE!
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