Wir freuen uns sehr, euch unsere neue Kuratorin Annamaria Fabian (@Inklusionsling) vorstellen zu dürfen! Annamaria hat kürzlich ihre Promotion an der Uni Bamberg abgeschlossen und bereitet sich aktuell auf ihre Habilitation zum Thema "Die Linguistik von Inklusion und Exklusion von Minoritäten" vor. Das sagt Annamaria zu sich in ihren eigenen Worten.
Meine
Beschäftigung mit Sprachen geht auf meine Kindheit in einer mehrsprachigen
Stadt und einer mehrsprachigen Familie zurück. Sprachen, das Vokabular und das
grammatische System sowie ihr Potenzial für Argumentationen im kommunikativen
Einsatz haben mich schon immer fasziniert. Von Kindesbeinen an saß ich oft im
Friseursalon meiner Mutter in Ungarn und hörte, wie ältere Damen Deutsch,
andere Slowakisch und die jüngeren Menschen Ungarisch miteinander gesprochen
haben. Alles in einem kleinen Raum. Dieser natürliche Umgang mit gelebter
Interkulturalität und Diversität war auch in meinem familiären Umfeld Alltag.
Doch habe ich mich immer gefragt, warum ein Wort in einer der drei Sprachen
eine Bedeutung trägt und in einer anderen mir bekannten Sprache vielleicht eine
abweichende. Auch die Abweichungen in den unterschiedlichen Systemen fand ich
faszinierend. Ebenfalls spannend sind für mich noch die Funktion und die
Wirkung von Wörtern, sprachlicher Praktiken und kommunikativer Strategien in
der Kommunikation. Diese aktive Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen
Sprach(en)systemen und der Funktion sprachlicher Einheiten veranlassten mich im
Alter von acht Jahren dazu, mich für die Sprachwissenschaft zu entscheiden. Mein
Traum ist es natürlich, dauerhaft in der Wissenschaft zu bleiben, aber
befristete Arbeitsverträge – und in meinem Fall noch unsicherer – und Stipendien
für ein bis zu zwei Jahren verhindern eine effiziente berufliche Lebensplanung.
Für Frauen mit Kindern, und insbesondere mit Kindern mit Behinderung, bleibt
eine wissenschaftliche Karriere leider noch zu oft verwehrt, da leider viel zu
oft mangelnde Flexibilität sowie eine geringere Belastbarkeit vermutet wird.
Dabei musste ich – wie auch andere Mütter und insbesondere der Mütter der
Kinder mit Behinderung – früh lernen, meine Zeit hocheffektiv zu planen. Die
Stereotypie also, dass Frauen mit Kindern – ob mit oder ohne Behinderung –
weniger belastbar sind, ist folglich nicht haltbar. Vielmehr müssen wir fortwährend
unsere Fähigkeit für Multitasking, Zuverlässigkeit und Flexibilität unter
Beweis stellen, damit wir keine wissenschaftliche Exklusion erleben. Ich hoffe,
dass es sich langsam ändert und ich dauerhaft in der Forschung bleiben darf.
Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Ich bin an einer Vielfalt von Forschungsgebieten in
der Linguistik und den Kommunikationswissenschaften – was ich ebenfalls studiert
habe – interessiert und bin auch immer für Neues zu begeistern. Deshalb eine
komplexe Frage. Ich befasse mich neben dem Sprachgebrauch in der Politik und der
linguistischen Argumentationsanalyse auch mit digitaler Linguistik, Grammatik
(Dependenz, Valenz und Konstruktion), Kognitionslinguistik, Diskursanalyse und
Sprachkritik (synchron, aber auch diachron). Mit Mehsprachigkeit in beruflichem
Kontext sowie mit dem Deutschen als Minderheitensprache habe ich mich ebenfalls
bereits beschäftigt. Als überzeugte Verfechterin von Inklusion, Diversität und
Gleichberechtigung bin ich derzeit mit der Etablierung eines Forschungsgebietes
beschäftigt, das ich „Inklusionslinguistik“ nenne. Damit befasse ich mich in
meinem Habilitationsvorhaben („Die Linguistik von Inklusion und Exklusion von
Minoritäten - diachron und synchron“). Die berufliche und soziale Partizipation
von Minoritäten war für mich schon immer wichtig. In meinem Freundeskreis und
meinem familiären Umfeld habe ich aber bereits früh bemerken müssen, dass die
diffamierende Kraft der Sprache zu oft unterschätzt wird und Inklusion
verhindert. Zugleich kann an Diskursen im Internet - #MeToo oder auch über Behinderung,
Transidentität etc. – erkannt werden, dass sprachliche Praktiken einen höheren
Grad an Inklusion für Angehörige von Minoritäten ermöglichen. Nach der Geburt
meiner Zwillinge (3 J., ein Sohn mit körperlicher Behinderung) habe ich diese
Diffamierung und seltener, aber zum Glück auch die inkludierende Kraft
sensiblen Sprachgebrauchs, mehrfach erlebt. Mein Sohn spürt die Bedeutung
dieser Worte noch nicht, seine Eltern umso schmerzlicher. Ich hoffe, dass ich
mit meiner Forschung und der Etablierung der Inklusionslinguistik dazu
beitragen kann, dass er und andere Kinder und Erwachsene mit Behinderung,
abweichender Hautfarbe oder Genderidentität etc. diesen Schmerz durch
Diffamierung und Exklusion irgendwann nicht so oft erleben müssen. Unsere
Gesellschaft ist divers und wir sollten durch eine aktive linguistische und
kommunikationswissenschaftliche Beschäftigung mit der Rolle der Sprache für die
Inklusion und der Bedeutung inklusiver Kommunikation für Diversität und
Partizipation einstehen.
Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
In meiner Habilitation befasse ich mich mit der
Etablierung der sogenannten Inklusionslinguistik. Diese beschäftigt sich mit
sprachlichen und kommunikativen Merkmalen von Inklusion und Exklusion in
Korpora/Diskurs- und Interaktionskontext. Exkludierende Merkmale werden von mir
ebenfalls zur Inklusionslinguistik zugeordnet, weil diese den Stand der
Inklusion aufzeigen können. Dieses Forschungsfeld bietet die Chance, eine
inklusionsrelevante Sprachdiagnostik zu betreiben. Durch die Erfassung
exkludierender sprachlicher und kommunikativer Merkmale und Muster kann eine
Inventur unsensiblen Sprachgebrauchs erstellt und gezielte kommunikative
Methoden entwickelt werden, die argumentativ gegen Exklusion und Hass durch
sprachliche Handlung als eine Art „Counterspeech“ vorgehen. Auf diese Weise
sollen diffamierte Minderheiten geschützt werden und Verbündete („ally“) für
ihr Engagement für Inklusion finden, aber auch psychosozial ist eine kollektive
Solidarität für Angehörige der Minderheiten wichtig. In meinem
Habilitationsvorhaben befasse ich mich vor allem mit der Untersuchung von
Diskursen und Texten, in denen Konzepte der Behinderung, Gender und LGBTQ*
thematisiert werden. Neben exkludierenden sprachlichen und kommunikativen
Mustern finden aber in der Inklusionslinguistik auch sprachliche und
kommunikative Merkmale der Inklusion Berücksichtigung. Die Sprache der
Inklusion und der Exklusion soll letztendlich systematisch und argumentativ
analysiert werden, damit Weiterbildungsmaßnahmen und Counterspeech strukturiert
entstehen können.
Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Die Inklusionslinguistik, also die Beschäftigung mit
sprachlichen Merkmalen der Inklusion und der Exklusion und ihre Bedeutung für
die inklusive Kommunikation hat eine gesamtgesellschaftliche Relevanz. Unsere
Gesellschaft ist divers, aber diese Diversität schlägt sich in der
Öffentlichkeit bislang kaum nieder. Gerade in den letzten Jahren wurden aber
Diversität und Inklusion immer öfter zu Leitbegriffen in vielen Presseorganen,
wodurch die Forderungen für gelebte Partizipation in der Öffentlichkeit zum
Glück immer stärker werden. In diesen schweren Zeiten von Corona entsteht
allerdings leider auch eine neue Unsichtbarkeit mancher Minoritäten. So werden
zum Beispiel Angehörige der Risikogruppen in jedem Alter inklusive Kinder und
Jugendliche mit Vorerkrankungen seit ca. 1 Jahr isoliert, damit sie vor Corona
geschützt werden. Wenn eine Gruppe aber unsichtbar ist, werden ihre Interessen
in der Öffentlichkeit nicht repräsentiert. So haben zum Beispiel Kinder mit
Vorerkrankung haben keinen Zugang zum Impfstoff gegen Covid-19, aber auch
andere politische Regelungen zu ihrem Schutz fehlen. Corona und ihre
Unsichtbarkeit im Diskurs führt also nicht nur zur Exklusion, sondern auch zur
Lebensgefahr. Die Anti-Diskriminierungsstellen melden aber auch eine erhöhte
Anzahl verbaler und körperlicher Diffamierung gegen dunkelhäutige Menschen und
andere Minderheiten. Gerade in einer Pandemie ist die Frustration in der
Gesellschaft groß, was für Minoritäten Exklusion zur Folge haben kann. Aus
diesem Grund ist es erst recht relevant, dass der Sprachgebrauch inklusiv
gestaltet wird und sich Diversität im Pressediskurs und Diskurs der Politik
niederschlägt.
Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Ich
bin Geschäftsführende des internationalen Arbeitskreises „Sprache, Geschichte,
Politik und Kommunikation“ (https://www.sgpk.uni-passau.de/informationen/).
In dem Arbeitskreis befassen sich Wissenschaftler:innen aus unterschiedlichen
Fächern fächerübergreifend mit politischer Kommunikation synchron und diachron.
So wird derzeit eine Tagung zu Konzepten der Nation und Populismus vorbereitet
und bald erscheint auch das Buch von Prof. Dr. Armin Owzar (Sorbonne
Nouvelle/Geschichtswissenschaften), Prof. Dr. Igor Trost (Universität
Passau/Germanistische Linguistik) und mir „Stereotypie in der politischen
Kultur des 19. Jahrhunderts in Europa“. Außerdem erscheint ein Sammelband von
mir ebenfalls noch 2021, in dem linguistische und kommunikationswissenschaftliche
Analysen die Repräsentation von „Flüchtlingen“ und „Migranten“ im Mediendiskurs
in Europa zwischen 2015-2015 im ländervergleichenden Überblick durchgeführt
wurden. Für das Superwahljahr 2021 bringt der Arbeitskreis unter meiner
Veranstaltung außerdem eine Tagung zum Wahlkampf und Wahlkampfkommunikation
(länder- und fächerübergreifend) mit. Gleichzeitig bin ich Mitherausgeberin der
internationalen Reihen (Publikationen auf Deutsch und Englisch) „Linguistik in
Empirie und Theorie“ sowie „Sprache, Geschichte, Politik und Kommunikation“ (https://www.springer.com/series/16336).
Beide Reihen erscheinen bei Springer/Metzler. Die Veröffentlichungen sind
kostenfrei, im Übrigen auch für Qualifikationsarbeiten. Ein doppeltes Blind-Peer-Review-Verfahren
wird von renommierten Kolleg:innen aus den unterschiedlichen
Sprachwissenschaften, de Geschichtswissenschaften und von den
Politikwissenschaften etc. gewährleistet. Wir freuen uns über neue
Einsendungen.
Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Unterschiedlich.
Gern verbringe ich freie Tage mit meinen Zwillingen entweder in der Natur am
Fluss oder einem See oder zu Hause. Zu Hause lesen wir oft Bücher und
unterhalten uns über Sprachen und die Namen der Gegenstände, da auch sie
aufgrund ihrer familiären Situation mehrsprachig aufwachsen. Backen, Kochen,
Lesen, Tanzen, Städtetrips und Schreiben mag ich auch sehr gern.
Bitte begrüßt Annamaria herzlich bei Real Scientists DE!
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