Sunday, January 24, 2021

Inklusion durch Kommunikation - Annamaria Fabian ist jetzt bei Real Scientists DE!

Wir freuen uns sehr, euch unsere neue Kuratorin Annamaria Fabian (@Inklusionsling) vorstellen zu dürfen! Annamaria hat kürzlich ihre Promotion an der Uni Bamberg abgeschlossen und bereitet sich aktuell auf ihre Habilitation zum Thema "Die Linguistik von Inklusion und Exklusion von Minoritäten" vor. Das sagt Annamaria zu sich in ihren eigenen Worten.


Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?   
 
Meine Beschäftigung mit Sprachen geht auf meine Kindheit in einer mehrsprachigen Stadt und einer mehrsprachigen Familie zurück. Sprachen, das Vokabular und das grammatische System sowie ihr Potenzial für Argumentationen im kommunikativen Einsatz haben mich schon immer fasziniert. Von Kindesbeinen an saß ich oft im Friseursalon meiner Mutter in Ungarn und hörte, wie ältere Damen Deutsch, andere Slowakisch und die jüngeren Menschen Ungarisch miteinander gesprochen haben. Alles in einem kleinen Raum. Dieser natürliche Umgang mit gelebter Interkulturalität und Diversität war auch in meinem familiären Umfeld Alltag. Doch habe ich mich immer gefragt, warum ein Wort in einer der drei Sprachen eine Bedeutung trägt und in einer anderen mir bekannten Sprache vielleicht eine abweichende. Auch die Abweichungen in den unterschiedlichen Systemen fand ich faszinierend. Ebenfalls spannend sind für mich noch die Funktion und die Wirkung von Wörtern, sprachlicher Praktiken und kommunikativer Strategien in der Kommunikation. Diese aktive Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Sprach(en)systemen und der Funktion sprachlicher Einheiten veranlassten mich im Alter von acht Jahren dazu, mich für die Sprachwissenschaft zu entscheiden. Mein Traum ist es natürlich, dauerhaft in der Wissenschaft zu bleiben, aber befristete Arbeitsverträge – und in meinem Fall noch unsicherer – und Stipendien für ein bis zu zwei Jahren verhindern eine effiziente berufliche Lebensplanung. Für Frauen mit Kindern, und insbesondere mit Kindern mit Behinderung, bleibt eine wissenschaftliche Karriere leider noch zu oft verwehrt, da leider viel zu oft mangelnde Flexibilität sowie eine geringere Belastbarkeit vermutet wird. Dabei musste ich – wie auch andere Mütter und insbesondere der Mütter der Kinder mit Behinderung – früh lernen, meine Zeit hocheffektiv zu planen. Die Stereotypie also, dass Frauen mit Kindern – ob mit oder ohne Behinderung – weniger belastbar sind, ist folglich nicht haltbar. Vielmehr müssen wir fortwährend unsere Fähigkeit für Multitasking, Zuverlässigkeit und Flexibilität unter Beweis stellen, damit wir keine wissenschaftliche Exklusion erleben. Ich hoffe, dass es sich langsam ändert und ich dauerhaft in der Forschung bleiben darf.  
 
Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort? 
Ich bin an einer Vielfalt von Forschungsgebieten in der Linguistik und den Kommunikationswissenschaften – was ich ebenfalls studiert habe – interessiert und bin auch immer für Neues zu begeistern. Deshalb eine komplexe Frage. Ich befasse mich neben dem Sprachgebrauch in der Politik und der linguistischen Argumentationsanalyse auch mit digitaler Linguistik, Grammatik (Dependenz, Valenz und Konstruktion), Kognitionslinguistik, Diskursanalyse und Sprachkritik (synchron, aber auch diachron). Mit Mehsprachigkeit in beruflichem Kontext sowie mit dem Deutschen als Minderheitensprache habe ich mich ebenfalls bereits beschäftigt. Als überzeugte Verfechterin von Inklusion, Diversität und Gleichberechtigung bin ich derzeit mit der Etablierung eines Forschungsgebietes beschäftigt, das ich „Inklusionslinguistik“ nenne. Damit befasse ich mich in meinem Habilitationsvorhaben („Die Linguistik von Inklusion und Exklusion von Minoritäten - diachron und synchron“). Die berufliche und soziale Partizipation von Minoritäten war für mich schon immer wichtig. In meinem Freundeskreis und meinem familiären Umfeld habe ich aber bereits früh bemerken müssen, dass die diffamierende Kraft der Sprache zu oft unterschätzt wird und Inklusion verhindert. Zugleich kann an Diskursen im Internet - #MeToo oder auch über Behinderung, Transidentität etc. – erkannt werden, dass sprachliche Praktiken einen höheren Grad an Inklusion für Angehörige von Minoritäten ermöglichen. Nach der Geburt meiner Zwillinge (3 J., ein Sohn mit körperlicher Behinderung) habe ich diese Diffamierung und seltener, aber zum Glück auch die inkludierende Kraft sensiblen Sprachgebrauchs, mehrfach erlebt. Mein Sohn spürt die Bedeutung dieser Worte noch nicht, seine Eltern umso schmerzlicher. Ich hoffe, dass ich mit meiner Forschung und der Etablierung der Inklusionslinguistik dazu beitragen kann, dass er und andere Kinder und Erwachsene mit Behinderung, abweichender Hautfarbe oder Genderidentität etc. diesen Schmerz durch Diffamierung und Exklusion irgendwann nicht so oft erleben müssen. Unsere Gesellschaft ist divers und wir sollten durch eine aktive linguistische und kommunikationswissenschaftliche Beschäftigung mit der Rolle der Sprache für die Inklusion und der Bedeutung inklusiver Kommunikation für Diversität und Partizipation einstehen.
Erzähle uns etwas über deine Arbeit! 
In meiner Habilitation befasse ich mich mit der Etablierung der sogenannten Inklusionslinguistik. Diese beschäftigt sich mit sprachlichen und kommunikativen Merkmalen von Inklusion und Exklusion in Korpora/Diskurs- und Interaktionskontext. Exkludierende Merkmale werden von mir ebenfalls zur Inklusionslinguistik zugeordnet, weil diese den Stand der Inklusion aufzeigen können. Dieses Forschungsfeld bietet die Chance, eine inklusionsrelevante Sprachdiagnostik zu betreiben. Durch die Erfassung exkludierender sprachlicher und kommunikativer Merkmale und Muster kann eine Inventur unsensiblen Sprachgebrauchs erstellt und gezielte kommunikative Methoden entwickelt werden, die argumentativ gegen Exklusion und Hass durch sprachliche Handlung als eine Art „Counterspeech“ vorgehen. Auf diese Weise sollen diffamierte Minderheiten geschützt werden und Verbündete („ally“) für ihr Engagement für Inklusion finden, aber auch psychosozial ist eine kollektive Solidarität für Angehörige der Minderheiten wichtig. In meinem Habilitationsvorhaben befasse ich mich vor allem mit der Untersuchung von Diskursen und Texten, in denen Konzepte der Behinderung, Gender und LGBTQ* thematisiert werden. Neben exkludierenden sprachlichen und kommunikativen Mustern finden aber in der Inklusionslinguistik auch sprachliche und kommunikative Merkmale der Inklusion Berücksichtigung. Die Sprache der Inklusion und der Exklusion soll letztendlich systematisch und argumentativ analysiert werden, damit Weiterbildungsmaßnahmen und Counterspeech strukturiert entstehen können.
 
Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren? 
Die Inklusionslinguistik, also die Beschäftigung mit sprachlichen Merkmalen der Inklusion und der Exklusion und ihre Bedeutung für die inklusive Kommunikation hat eine gesamtgesellschaftliche Relevanz. Unsere Gesellschaft ist divers, aber diese Diversität schlägt sich in der Öffentlichkeit bislang kaum nieder. Gerade in den letzten Jahren wurden aber Diversität und Inklusion immer öfter zu Leitbegriffen in vielen Presseorganen, wodurch die Forderungen für gelebte Partizipation in der Öffentlichkeit zum Glück immer stärker werden. In diesen schweren Zeiten von Corona entsteht allerdings leider auch eine neue Unsichtbarkeit mancher Minoritäten. So werden zum Beispiel Angehörige der Risikogruppen in jedem Alter inklusive Kinder und Jugendliche mit Vorerkrankungen seit ca. 1 Jahr isoliert, damit sie vor Corona geschützt werden. Wenn eine Gruppe aber unsichtbar ist, werden ihre Interessen in der Öffentlichkeit nicht repräsentiert. So haben zum Beispiel Kinder mit Vorerkrankung haben keinen Zugang zum Impfstoff gegen Covid-19, aber auch andere politische Regelungen zu ihrem Schutz fehlen. Corona und ihre Unsichtbarkeit im Diskurs führt also nicht nur zur Exklusion, sondern auch zur Lebensgefahr. Die Anti-Diskriminierungsstellen melden aber auch eine erhöhte Anzahl verbaler und körperlicher Diffamierung gegen dunkelhäutige Menschen und andere Minderheiten. Gerade in einer Pandemie ist die Frustration in der Gesellschaft groß, was für Minoritäten Exklusion zur Folge haben kann. Aus diesem Grund ist es erst recht relevant, dass der Sprachgebrauch inklusiv gestaltet wird und sich Diversität im Pressediskurs und Diskurs der Politik niederschlägt.
 
Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Ich bin Geschäftsführende des internationalen Arbeitskreises „Sprache, Geschichte, Politik und Kommunikation“ (https://www.sgpk.uni-passau.de/informationen/). In dem Arbeitskreis befassen sich Wissenschaftler:innen aus unterschiedlichen Fächern fächerübergreifend mit politischer Kommunikation synchron und diachron. So wird derzeit eine Tagung zu Konzepten der Nation und Populismus vorbereitet und bald erscheint auch das Buch von Prof. Dr. Armin Owzar (Sorbonne Nouvelle/Geschichtswissenschaften), Prof. Dr. Igor Trost (Universität Passau/Germanistische Linguistik) und mir „Stereotypie in der politischen Kultur des 19. Jahrhunderts in Europa“. Außerdem erscheint ein Sammelband von mir ebenfalls noch 2021, in dem linguistische und kommunikationswissenschaftliche Analysen die Repräsentation von „Flüchtlingen“ und „Migranten“ im Mediendiskurs in Europa zwischen 2015-2015 im ländervergleichenden Überblick durchgeführt wurden. Für das Superwahljahr 2021 bringt der Arbeitskreis unter meiner Veranstaltung außerdem eine Tagung zum Wahlkampf und Wahlkampfkommunikation (länder- und fächerübergreifend) mit. Gleichzeitig bin ich Mitherausgeberin der internationalen Reihen (Publikationen auf Deutsch und Englisch) „Linguistik in Empirie und Theorie“ sowie „Sprache, Geschichte, Politik und Kommunikation“ (https://www.springer.com/series/16336). Beide Reihen erscheinen bei Springer/Metzler. Die Veröffentlichungen sind kostenfrei, im Übrigen auch für Qualifikationsarbeiten. Ein doppeltes Blind-Peer-Review-Verfahren wird von renommierten Kolleg:innen aus den unterschiedlichen Sprachwissenschaften, de Geschichtswissenschaften und von den Politikwissenschaften etc. gewährleistet. Wir freuen uns über neue Einsendungen.  
 
Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?     
Unterschiedlich. Gern verbringe ich freie Tage mit meinen Zwillingen entweder in der Natur am Fluss oder einem See oder zu Hause. Zu Hause lesen wir oft Bücher und unterhalten uns über Sprachen und die Namen der Gegenstände, da auch sie aufgrund ihrer familiären Situation mehrsprachig aufwachsen. Backen, Kochen, Lesen, Tanzen, Städtetrips und Schreiben mag ich auch sehr gern. 
 
Bitte begrüßt Annamaria herzlich bei Real Scientists DE!

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