Diese Woche freuen wir uns sehr, euch unsere neue Kuratorin Amrei Bahr (@amreibahr) vorstellen zu dürfen! Amrei ist seit 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Philosophie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Zuvor hat sie in Münster und Wien Philosophie und Evangelische Religionslehre studiert und anschließend in Münster im Fach Philosophie promoviert. In ihrer Doktorarbeit hat sie untersucht, wie sich moralische Rechte von Urheber_innen an ihren geistigen Schöpfungen begründen lassen und welche Kopierhandlungen solche Rechte verletzen können. Während sich ihre Doktorarbeit darum drehte, was beim Herstellen von Dingen erlaubt ist, geht sie in ihrem Habilitationsprojekt der Frage nach, was wir tun dürfen, wenn wir Dinge wieder loswerden wollen: Ist Recycling aus ethischer Sicht wirklich die beste Art der Abfallentsorgung? Wie kann ein gerechter Umgang mit Abfall aussehen, der den Interessen jetziger und zukünftiger Generationen überall auf der Welt angemessen Rechnung trägt? Um Gerechtigkeitsfragen geht es auch in Amreis Forschung zur Ethik wissenschaftlichen Publizierens: Wie sollte das wissenschaftliche Publikationssystem verändert werden, um faire Teilhabemöglichkeiten auch für Forscher_innen und Studierende zu schaffen, die aktuell aufgrund hoher Preise für Publikationen keinen Zugriff darauf haben? Neben ihren Tätigkeiten in Forschung und Lehre engagiert sich Amrei in universitätsinternen Gremien, auf Twitter und in den Medien für faire Arbeitsbedingungen von befristet angestellten Wissenschaftler_innen.
Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Für mich war schon im Bachelorstudium klar, dass ich mein Glück in der akademischen Philosophie versuchen möchte, weil mich die Philosophie mit all ihren Facetten von Anfang an begeistert hat. Bereits in dieser Zeit hatte ich an der WWU Münster die Gelegenheit, gemeinsam mit anderen Studierenden und Mitarbeitenden aus dem Mittelbau philosophische Aufsätze zu schreiben und konnte so erste Einblicke in die philosophische Forschung gewinnen. Als ich die Chance hatte, im ‚Fast-Track-Verfahren‘ direkt nach dem Bachelor zu promovieren, habe ich sie deshalb sofort ergriffen. An der Promotion habe ich nicht nur im Rahmen einer Stelle als Mitarbeiterin gearbeitet: In der Promotionsphase war ich auch für 10 Monate Fellow der interdisziplinären Forschungsgruppe „Ethik des Kopierens“ am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Uni Bielefeld. Hier habe ich für mein Promotionsprojekt viele wertvolle Impulse aus ganz unterschiedlichen Disziplinen erhalten und möchte seitdem den interdisziplinären Austausch zu meinen Forschungsthemen nicht mehr missen.
Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Für mich sind aktuelle Relevanz und Anwendungsbezug wesentliche Kriterien bei der Wahl meiner Forschungsthemen. Dass ich dabei immer wieder bei hergestellten Dingen — den Artefakten — lande, liegt daran, dass mich diese Kristallisationspunkte menschlicher Kultur in ihrer Vielfalt besonders faszinieren: Gebrauchsgegenstände, Kunstwerke, technische Geräte, wissenschaftliche Theorien — all das sind Artefakte. Mit ihnen gestalten wir unsere Welt, während sie gleichzeitig unsere Welt und unseren Umgang damit prägen. Wie diese Dinge in die Welt kommen, welche Funktionen sie in ihr erfüllen und wie sie wieder daraus verschwinden, welche Rolle wir dabei spielen und welche Möglichkeiten und Grenzen sich für uns aus ethischer Perspektive ergeben — diesen Fragen aus unterschiedlichen Blickwinkeln und in Bezug auf verschiedene Gegenstände nachzugehen macht mir viel Freude.
Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Forschung und Lehre sind die zwei wesentlichen Säulen meiner Arbeit, die mir beide gleichermaßen wichtig sind. Wenn möglich, freue ich mich immer, beide miteinander zu verbinden, weil dadurch nach meiner Erfahrung auch beide profitieren. Der interdisziplinäre Austausch spielt dabei stets eine wichtige Rolle — sei es in von mir mitorganisierten Workshops (etwa zur Authentizität von Artefakten, gemeinsam mit Gerrit Fröhlich), im Team-Teaching oder in der gemeinsamen Arbeit an Publikationsprojekten mit Kolleg_innen anderer Disziplinen. Philosophische Forschungsergebnisse in die Öffentlichkeit zu tragen und auch Studierende dazu zu befähigen, an diesem Prozess teilzuhaben, ist mir ein wichtiges Anliegen. Deshalb setze ich auch in der Lehre auf die Vermittlung von Fähigkeiten in der Wissenschaftskommunikation (z.B. im Seminar zum Wissenschaftsbloggen mit Anna Soßdorf und Lukas Gallach).
Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Das Anfertigen von Kopien, mit dem ich mich in meiner Forschung auseinandersetze, kann für die Öffentlichkeit viel Nutzen, aber aus Sicht von Urheber_innen und Verwerter_innen durchaus auch Schaden mit sich bringen. Deshalb ist nicht verwunderlich, dass die Frage nach der Legitimität von Kopierhandlungen immer wieder zum Gegenstand breiter öffentlicher Debatten wird. Ein Konsens darüber, wann eine Kopierhandlung moralisch erlaubt, verboten oder sogar geboten ist, ließ sich im Rahmen dieser Debatten jedoch bisher nicht erzielen. Die rechtlichen Erlaubnisse und Verbote von Kopierhandlungen passen zudem oft nicht mit den moralischen Intuitionen der Kopist_innen sowie der Nutzer_innen und Rezipient_innen von Kopien zusammen. Davon zeugt etwa die Selbstverständlichkeit, mit der viele Nutzer_innen digitaler Medien gegen das geltende Urheberrecht verstoßen, indem sie Fotografien, Filme, Musik und Software kopieren und verbreiten. Meine Forschung leistet einen Beitrag dazu, Licht ins Dunkel der ethischen Bewertung von Kopierhandlungen zu bringen. Ein wichtiger Aspekt ist dabei der Zugang der Öffentlichkeit zu Bildung und Kultur.
Auch meine Forschung zur Abfallentsorgung schließt an aktuelle, für die Öffentlichkeit wichtige Fragestellungen an. Wie wir mit den immer größer werdenden Abfallmengen umgehen sollten, ist schließlich eine drängende moralische Frage, die jede_n von uns betrifft: Unser Umgang mit Abfall wirkt sich auf die menschliche Gesundheit ebenso aus wie auf die lokale und die globale Umwelt und die Wirtschaft, wobei die Folgen verheerend sein können. Allerdings lässt sich hier selten eine Lösung finden, die den Schutz der Gesundheit aller jetzt und in Zukunft Betroffenen überall auf der Welt bei gleichzeitiger Schonung der Umwelt ohne größere wirtschaftliche Belastungen gewährleistet. Eine Philosophie der Entsorgung kann hier einen wesentlichen Beitrag zur öffentlichen Debatte leisten: Sie gibt Auskunft darüber, wie die verschiedenen Faktoren fair in Einklang gebracht werden können, damit eine gerechte Abfallentsorgung sichergestellt werden kann.
Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Zusätzlich zu meiner Arbeit in Forschung und Lehre bin ich in der akademischen Selbstverwaltung aktiv, u.a. als Vertreterin des wissenschaftlichen Mittelbaus im Institutsvorstand sowie als Mitglied des Runden Tischs Bürgeruniversität und der Senats-AG Nachhaltigkeit. Im vergangenen Jahr habe ich gemeinsam mit Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon die Aktion #95vsWissZeitVG auf Twitter angestoßen, mit der wir auf die Nachteile des aktuellen deutschen Wissenschaftssystems für die darin Beschäftigten, aber auch für die Lehre und die Wissenschaft als solche aufmerksam machen. Wissenschaftskommunikation ist ein weiteres Tätigkeitsfeld, das mir sehr am Herzen liegt — u.a. auf Twitter in meiner Reihe #InsidePhilo oder im Rahmen des Formats denXte, bei dem wir gemeinsam mit Philosophieinteressierten philosophische Gedankenexperimente anstellen.
Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Als Ausgleich zur Schreibtischarbeit mache ich gern Yoga und lange Spaziergänge. Beim Spazierengehen habe ich oft eine Kamera im Gepäck, um Fotos von Wildtieren zu machen (bei Twitter zu finden unter #AmreisFotos). Auch Häkeln gehört zu meinen Hobbies.
Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Ausschlafen, entspanntes Frühstück (Müsli und Kaffee), dann mit der Kamera raus in die Natur und Zeit haben, an meinem liebsten Fotospot — einem Hohlweg — auf Vögel, Eichhörnchen, Mäuse usw. zu warten. (Sonst ist Geduld nicht meine Stärke — hier genieße ich es aber, minutenlang einfach still dazustehen, zuzuhören und meine Umgebung zu beobachten.) Yoga darf auch nicht fehlen, und Zeit zum Häkeln oder Lesen. Wenn nicht gerade Corona ist, gern auch ein Treffen mit Freund_innen oder Kolleg_innen zum Kaffee oder zum Essen.
Bitte begrüßt Amrei ganz herzlich bei Real Scientists DE!
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