Nach Wochen voller Mikroorganismen machen wir einen Ausflug in eine ganz andere Richtung: Mit großer Vorfreude möchten wir euch unsere neue Kuratorin Sandra Schwab (@ScribblingSandy) vorstellen! Sandra ist promovierte Anglistin und arbeitet zur Zeit als freiberufliche Übersetzerin und Coverdesignerin. Am liebsten "verwurschtelt" sie ihre wissenschaftliche Forschung zu Literatur, Geschichte und Kulturgeschichte in kreativen Werken.
Sie schreibt unter anderem Unterhaltungsliteratur für den nordamerikanischen Markt - ihr Debüt "The Lily Brand" wurde 2005 für einen Romantic Times Reviewers' Choice Award nominiert - und hat sich zu einer Expertin für die viktorianische Zeitschrift "Punch" entwickelt. Wenn sie gerade nicht zu Punch-Archivbesichtigungen eingeladen oder von der BBC zu den Brüdern Grimm interviewt wird, beschäftigt sich Sandra mit dem Ausbau ihrer Bibliothek (inklusive rund 140 Kilo "Punch"!) und verbringt Zeit bei Miss Hetty, ihrem Wohnwagen.
Hier ist Sandra in ihren eigenen Worten:
Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Ich wollte schon immer irgendetwas mit Literatur machen und hatte ursprünglich vor, zu versuchen, einen Job in einem Verlag zu bekommen. Aus diesem Grund fing ich nach dem Abi ein Magisterstudium in Mainz an, und zwar in Germanistik, Anglistik und Buchwissenschaft. Mir wurde dann aber schnell klar, dass mir die Anglistik besser lag, was auch damit zu tun hatte, dass die Mainzer Germanistik zu diesem Zeitpunkt recht konservativ war, und irgendwann hatte ich halt die Nase voll von Lessing, Goethe und Schillers Fantasien von sterbenden Frauen (Mensch, Emilia Galotti, hättste den blöden Prinzen nicht einfach abmurksen können?!?!). Ich wechselte also noch einmal die Fächer und blieb schließlich bei Anglistik, Germanistik und Kulturanthropologie hängen.
Kultur-was? mag sich manch einer jetzt fragen. Kulturanthropologie ist das Fach, das früher mal "Volkskunde" hieß, doch diese Bezeichnung war nicht nur etwas angestaubt, sondern auch recht belastet, weshalb sich die Institute in Deutschland in den 1980er und 90er Jahren umbenannten. Das Fach ist extrem spannend und behandelt Aspekte des Alltagslebens. Traditionelle Themenbereiche sind Brauchtumsforschung und Märchenforschung, die es mir besonders angetan hatte. (Mit anderen Worten: Die Brüder Grimm sind dran schuld...)
Nach meinem Auslandsjahr in Galway, Irland (mit Dauerregen) bekam ich eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft im Bereich der British Studies in Mainz und hatte das Glück, dass eine Mitarbeiterstelle frei war, als ich mit dem Studium fertig war. Und so kam es, dass ich die nächsten zwölf Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni verbracht habe. Leider lernte ich dabei auch die Schattenseiten des deutschen Unisystems kennen (Stichwort #metoo) und fand zudem die Arbeitsbedingungen und Arbeitsatmosphäre zunehmend problematisch. Erschwerend kam hinzu, dass meine Forschung zwar im Ausland sehr gut ankam, dass sie jedoch in Deutschland als zu bodenständig angesehen wurde.
Aus diesen Gründen entschloss ich mich dazu, nach Ablauf meines letzten Vertrags nicht weiter eine Unikarriere zu verfolgen. Stattdessen machte ich mich im Frühjahr 2016 als Übersetzerin und Coverdesignerin selbständig. Forschen tue ich allerdings immer noch - aber jetzt ausschließlich für meine kreativen Werke.
Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Ich habe über das Drachentöten promoviert (echt jetzt) und bin bei den Recherchen zu diesem Thema über den viktorianischen Illustrator Richard Doyle gestolpert, der in den 1840er Jahren für die satirische Zeitschrift "Punch" arbeitete. Von seinen Kollegen wurde er "Professor of Mediæval Design" genannt, da viele seiner Zeichnungen die Mittelalterromantik des 19. Jahrhunderts aufs Korn nahmen. Genau darüber hielt ich 2010 einen Vortrag an der Yale University bei der Konferenz der Research Society for Victorian Periodicals.
Und diese Konferenz haute mich schlichtweg um. Nicht nur, dass die Vorträge alle sehr, sehr gut waren oder dass es sich bei den anwesenden Wissenschaftlern um eine extrem nette Truppe handelte, nein, es war auch das Forschungsfeld selbst, das mich in seinen Bann schlug: ein weites Forschungsfeld, interdisziplinär, eng verbunden mit Kultur- und Alltagsgeschichte, in Teilen leicht skurril - einfach perfekt! Nach meiner Rückkehr nach Deutschland fing ich sofort an, AbeBooks zu durchwühlen und wurde auch schnell fündig: Schon wenige Wochen später zogen 70 Kilo Mr. Punch bei mir ein, nämlich die Bände der Zeitschrift von 1841-91. Und naja, wenn man so viel Mr. Punch in seinem Wohnzimmer sitzen hat, muss man ja einfach über "Punch" forschen. :-)
Wenige Jahre später kam mir dann die Idee, dass ich meine wissenschaftliche Forschung mit meiner kreativen Arbeit als Schriftstellerin verbinden könnte, und so entstand meine Serie über die fiktive viktorianische Zeitschrift "Allan's Miscellany".
Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Ich übersetze Bücher ins Deutsche (oder lektoriere bestehende Übersetzungen), erstelle Buchcover und Figurenporträts und schreibe nebenbei noch eigene Romane und Kurzromane, die im 19. Jahrhundert oder in der Römerzeit spielen. (Twitter hat mich zu den Römern überredet. Das kommt davon, wenn man auf Twitter kundtut, dass man in der Nähe der Saalburg wohnt...)
Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Spätestens seit "Game of Thrones" sind Drachen wieder in aller Munde. Und was die Zeitungen und Zeitschriften des 19. Jahrhunderts angeht - wer sich für Geschichte und Literatur der Zeit interessiert, kommt eigentlich an den Periodika nicht vorbei. Man hat in den letzten Jahren dank der Forschung auf diesem Gebiet viele spannende neue Erkenntnisse zum Buchmarkt, Literaturproduktion und Alltagsleben gewonnen.
Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Ich schreibe seit 2000 Unterhaltungsliteratur für den nordamerikanischen Markt und bin seit 2005 veröffentlichte Autorin.
Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
2011 habe ich urban sketching für mich entdeckt und renne seitdem gerne auch einmal mit Skizzenbuch durch die Gegend. Das hat den Vorteil, dass man lernt, ganz genau hinzuschauen und auf Details zu achten. Da ein zeichnender Mensch in freier Wildbahn einen ziemlich ungewöhnlichen Anblick darstellt, kommt man immer schnell mit fremden Menschen ins Gespräch und es ergeben sich häufig ganz wunderbare Begegnungen.
Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Meinen idealen freien Tag verbringe ich bei meinem Wohnwagen auf dem Campingplatz. Bei Sonnenschein lässt es sich faul ausgestreckt auf einer Liege unter einem Baum hervorragend lesen, und bei Regenwetter ist es im Wohnwagen gleich doppelt gemütlich. Ich habe dort weder Handyempfang (es sei denn, ich stehe am Stein neben dem kleinen Baum vor dem Vorzelt und halte das Handy in Richtung Süden - dann funktioniert es manchmal mit dem Empfang) noch eine Internetverbindung - was einfach himmlisch ist!
Bitte begrüßt Sandra ganz herzlich bei Real Scientists DE!
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