Diese Woche freuen wir uns auf unsere Kuratorin Jessica Rohmann (@JLRohmann)! Jess studierte zunächst Biochemie und Germanistik an der University of Wisconsin-Madison (USA). Für ihr Masterstudium in Public Health an der Charité kam sie 2012 nach Berlin und blieb danach in Deutschland. Zuerst forschte sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich klinischer Epidemiologie am Centrum für Schlaganfallforschung Berlin (CSB) und wechselte 2018 an das Institut für Public Health (IPH), wo sie sich intensiv mit der Methodenforschung befasste. Heute leitet sie die Arbeitsgruppe Neuroepidemiologie im CSB und forscht gleichzeitig immer noch im Institut für Public Health (IPH) an der Charité.
Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Das ist eine wirklich schwierige Frage für jemanden, der sich mit kausaler Inferenz beschäftigt! Es gab sicherlich mehrere Component Causes („Teilursachen“), wie wir sie in meinem Fachgebiet nennen, die dazu beigetragen haben. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie sich meine Mutter (netterweise) darüber beschwerte, dass ich nie aufhörte, nach dem "Warum?" zu fragen. Ich bin da wohl nie rausgewachsen. Ich liebte meinen Mathematik- und Naturwissenschaftsunterricht und hatte das unglaubliche Glück, großartige Lehrer*innen zu haben. Ich habe im Bachelor Biochemie studiert, aber ich erinnere mich, dass mir die Entscheidung schwerfiel, weil ich mich auch sehr für Journalismus begeisterte (eine weitere Lehrerin, der ich hierfür danken sollte!). Ich war Chefredakteurin unserer Schülerzeitung und habe das Schreiben geliebt. Natürlich gibt es viele Überschneidungen in der "investigativen" Natur beider Karrierewege. Ich glaube, es war letztlich meine Vorliebe dafür, Fragen zu stellen und zu versuchen, die Welt um mich herum zu erklären, die mich davon überzeugt hat, dass die Arbeit in der Wissenschaft das Richtige für mich ist. Ich ziehe viel Energie aus der wissenschaftlichen Neugier und Entdeckung, aber ich glaube, es ist vor allem das kommunikative Element der wissenschaftlichen Arbeit (Diskussion und Austausch mit anderen, Öffentlichkeitsarbeit, Lehre und Schreiben), das mich fesselt!
Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält
dich dort?
Um ehrlich zu sein, wusste ich bis zu meinem letzten Jahr des Bachelor-Studiums nicht, was Epidemiologie ist. Als ich dann herausfand, dass es sich um ein Fachgebiet handelt, das die Gesundheit der Bevölkerung untersucht, war mir schnell klar, dass es genau das Richtige für mich ist.
Während meiner Promotion, die sich mit Gerinnungsfaktoren und ischämischen Schlaganfällen (ein Schlaganfall, der auftritt, wenn eine Arterie im Gehirn verstopft wird) befasste, begann ich mich für die Methodik der epidemiologischen Forschung zu interessieren. Wie können wir zum Beispiel die kausale Wirkung eines bestimmten Risikofaktors auf eine bestimmte Krankheit korrekt quantifizieren? Oder wie können wir sicher sein, dass das, was wir in einer Studie beobachtet haben, tatsächlich der Effekt ist, den wir messen wollten, und nicht durch eine dritte Variable, einen Messfehler oder sogar einen Selection Bias („Stichprobenfehler“) erklärt werden kann? Für mich sind diese Probleme wie Puzzle, und es macht mir viel Spaß, gemeinsam mit meinem Team herauszufinden, wie man sie am besten lösen kann.
Mein Interesse an Methoden hat es mir auch ermöglicht, an einer Vielzahl von Themen zu arbeiten, obwohl ich mich hauptsächlich mit neurovaskulären Erkrankungen beschäftige. Ich habe gelernt, dass eine solide Methodik für eine gute Wissenschaft von zentraler Bedeutung ist und über die Grenzen der wissenschaftlichen Disziplinen hinausgeht. Vor kurzem habe ich sogar an einer Veröffentlichung über die Lernfähigkeit von parasitären Wespen mitgearbeitet! Einige der interessantesten und produktivsten wissenschaftlichen Diskussionen, die ich bisher geführt habe, fanden mit Wirtschaftswissenschaftler*innen, Philosoph*innen, Linguist*innen und Evolutionsbiolog*innen statt. Es macht mir Spaß, neue Erkenntnisse in meine laufenden epidemiologischen Projekte einzubringen. Die immensen Möglichkeiten zur Vernetzung und Zusammenarbeit halten mein Interesse wach!
Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Derzeit arbeite ich als Nachwuchsgruppenleiterin der Forschungsgruppe Neuroepidemiologie am Zentrum für Schlaganfallforschung Berlin und als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Public Health der Charité - Universitätsmedizin Berlin. Mein Team arbeitet an der Entwicklung neuer Methoden zur Untersuchung der Bevölkerungsgesundheit und setzt moderne Methoden in unserer angewandten Arbeit ein, die darauf abzielt, die Ursachen und Folgen von Schlaganfällen und anderen neurologischen Erkrankungen besser zu verstehen.
Zu meiner täglichen Arbeit gehört es, Anträge zu formulieren, Daten mit statistischer Software zu bereinigen und zu analysieren, Ergebnisse zu interpretieren und zu diskutieren und Manuskripte zu schreiben. Ich treffe mich regelmäßig mit Kliniker*innen, um sie beim Design ihrer Studien mit Schlaganfallpatient*innen zu beraten, ihre statistischen Analysen zu planen und darüber zu sprechen, wie sie mögliche Verzerrungen vermeiden können. Ich verwalte auch den großen Datensatz des Berliner Schlaganfallregisters (B-SPATIAL"), der die Daten aller Schlaganfallpatient*innen enthält, die in 15 Schlaganfallstationen in Berlin eingeliefert werden. Als Gruppenleiterin habe ich jetzt auch viel mehr Verwaltungsarbeit als früher und ich lerne viel über Wissenschaftsmanagement und was es braucht, um ein Team zu leiten. Wenn ich nicht forsche, findet ihr mich in den Methodenkursen unserer Graduiertenprogramme in Public Health, Epidemiologie und Health Data Sciences. Die Lehre ist eine echte Leidenschaft von mir und ich werde im Laufe der Woche in meinen Tweets mehr darüber schreiben, warum ich es für wichtig halte, dass sich Nachwuchswissenschaftler*innen an der Lehre beteiligen.
Ich freue mich auch
darauf, im Laufe der Woche mehr (wissenschaftliche) Details über die
Forschungsprojekte, an denen mein Team arbeitet, mit Ihnen und euch zu teilen!
Motivation: Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit
interessieren?
Vor der COVID-19-Pandemie wussten die meisten Menschen, die ich getroffen
habe, nicht, was eine Epidemiologin macht ("Sind Sie eine
Hautärztin?", "Sie machen also etwas mit Käfern?"). Aber jetzt
scheinen die meisten Menschen eine ungefähre Vorstellung davon zu haben, was
Epidemiolog*innen tun und warum unsere Arbeit wichtig ist. Das Wort
"Epidemiologie" kommt von "Epidemie". Auch wenn wir oft an Epidemien
von Infektionskrankheiten denken, sind viele chronische Krankheiten ebenfalls
epidemisch. Derzeit sind chronische Krankheiten weltweit die häufigste
Todesursache. Da die Weltbevölkerung immer älter wird, nehmen auch die
Auswirkungen dieser chronischen Krankheiten zu. Wir haben bereits viele
Ursachen für chronische Krankheiten ermittelt, von denen einige vermeidbar
sind. Methoden der Kausalanalyse werden eingesetzt, um weitere Ursachen
aufzudecken und Behandlungen und Verhaltensweisen zu ermitteln, die zur
Vermeidung von Krankheiten beitragen. Durch gezielte Strategien im Bereich der
öffentlichen Gesundheit können wir daran arbeiten, bekannte Ursachen zu
beseitigen, was zu Verbesserungen auf Bevölkerungsebene hinsichtlich der
Krankheitslast führen wird.
Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Ich bin Mitbegründerin des "Berlin Epidemiological Methods
Colloquium" (BEMC), einer monatlichen Vortrags- und Journal Club-Reihe,
die wir mit dem Ziel ins Leben gerufen haben, an Epidemiologie interessierte
Menschen zu vernetzen, die an verschiedenen Universitäten, in der Industrie und
bei gemeinnützigen Organisationen in und um Berlin arbeiten. Seit dem Start im
Jahr 2016 ist unsere Mailingliste auf mehr als 600 Teilnehmer*innen
angewachsen! Während der Pandemie sind wir auf ein Webinar-Format umgestiegen
und stellen Aufzeichnungen unserer Vorträge auf YouTube ein, um unsere Inhalte
auch für Menschen außerhalb Berlins zugänglicher zu machen. Wer also daran
interessiert ist, mehr über die neuesten Methoden in den Bereich Health Data
Sciences zu erfahren, kommt gerne vorbei – alle sind willkommen! [weitere
Infos: https://bemcolloquium.com/]
Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Mein neuestes Hobby ist der Swing-Tanz (Lindyhop und Charleston), mit dem
ich während der Pandemie angefangen habe. Eine tolle Möglichkeit, sich
körperlich zu betätigen, ohne dass es sich wie Sport anfühlt! Außerdem spiele
ich Impro-Comedy mit einer Truppe in Berlin. Spinning- und Yogakurse helfen
mir, mich nach langen Tagen im Büro zu entspannen. Kochen und Backen für
Freund*innen (und natürlich gemeinsames Essen!) sind ebenfalls Dinge, die ich
gerne tue, um mich zu entspannen.
Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
Angenommen, das Berliner Wetter ist auf meiner Seite, dann würde ich mit
einem schönen Kaffee und einem Frühstück in einem meiner Lieblingscafés in
Berlin beginnen. Dann würde ich eine Radtour durch die Stadt und entlang der
Spree machen. Den Nachmittag würde ich mit Freund*innen in einem Park im
Stadtzentrum verbringen, wo es eine Tanzfläche im Freien gibt und Swing-Musik
läuft. Nach einem entspannten Abendessen würde ich den Abend in einer
Comedy-Show mit einigen Lachern ausklingen lassen.
Bitte begrüßt Jess ganz herzlich bei Real Scientists DE!
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