Diese Woche freuen wir uns auf unsere Kuratorin Sarah Hiltner (@SophieHiltner)! Ihr life in a nutshell… in den 80ern in Wolfenbüttel geboren (Aussage der Hebamme, die sie auf die Welt gebracht hat: „Die wird mal berühmt, Schauspielerin oder Sängerin oder so“). Mit ihren Brüdern am liebsten Indiana Jones gespielt, und da hat sie sich eher als smarter scientist im Dschungel gesehen. Erst Realschule, dann Gymnasium, dann ein Jahr USA und dann Abitur. Ausbildung zur Physiotherapeutin in Göttingen an der Uni-Klinik, und dann ein paar Jahre in Berlin gearbeitet und gemerkt, dass wir alle mal alt werden und das Leben meinen Wissensdurst vielleicht doch noch stillen kann. Studium der Sozialwissenschaft, Gender Studies und Sportwissenschaften inklusive zweier Auslandssemester in Cali und Bogota in Kolumbien. Auslandssemester sind teuer; bei der Jobsuche hatte sie Glück und am Institut für Geschlechterforschung in der Medizin an der Charité einen Job gefunden, und ab da hob die Rakete dann ab. Medizin, Feminismus und die Werkzeuge der Soziologie in einem Thema - und sie hat gecheckt, dass bei geschlechtersensibler Medizin selbst härteste Gegner des Genderns auf einmal erkennen: Gendern kann im besten Fall Leben retten. Die Bachelorarbeit hat sogar einen Forschungspreis vom Bundeskongress Gender-Gesundheit bekommen. 2017 erster Science Slam, und sie hatte so viel Spaß dabei, dass sie es seitdem immer wieder tut. Eine kleine Verschnaufpause von der Wissenschaft; später steigt sie aktuell wieder mit kleinen Forschungsprojekten ein, dazu mit einem „Wisskomm“-Turbo, denn Franca Parianen hat zehn andere Slamminge und sie 2021 eingeladen, an einem Buch zur Weltrettung mitzuschreiben. Und am Valentinstag 2023 war es soweit: „Weltrettung braucht Wissenschaft“ landet auf den Verkaufsregalen und heute hat sie mehr Fokus denn je auf verständliche Kommunikation ihres Themas. (Übrigens wurde dieser Text geschrieben in Cargo Shorts auf dem Rücksitz ihres Geländewagens… allerdings nicht im Dschungel #lifegoals)
Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Ich habe in Berlin 2007-2009 in einigen Seniorenresidenzen (aka Altersheimen) Berlins gearbeitet. Jeden Tag wurde mir so ziemlich plastisch vor Augen geführt, dass sich jeder Körper im Alter verändert, insbesondere wenn Mensch krank wird. Die Menschen in den Residenzen waren zum Teil recht wohlhabend und auch deren Körper wurden alt und teilweise krank. Ich lernte in dieser Zeit drei Dinge:
1. Jeder Körper altert, verliert Kraft, Spannung und manchmal auch das Denkvermögen.
2. Alter und Krankheit lassen sich mit genug Geld aushalten; mit den12€/h, die ich damals verdient habe, wäre das ausgeschlossen.
3. Erfahrungen und Wissen sind mit der größte Schatz, den ein Mensch besitzen kann.
So entschloss ich mich nochmal zu studieren, und ich bekam einen Platz an der HU für Soziologie. Ich brauchte gut 3 Semester um wirklich erfassen zu können, was ich da eigentlich studiere. In meinen Auslandssemestern in Kolumbien habe ich viel über soziale Gleichberechtigung und Sexismus erfahren. Speziell der Sexismus in Deutschland ist mir erst danach deutlicher aufgefallen und hat mich enorm geärgert. Abgesehen davon ist ein Auslandssemester ziemlich teuer und durch Zufall bekam ich einen Job am Institut für Geschlechterforschung an der Charité – Universitätsmedizin Berlin (GiM).
Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält
dich dort?
Ich sage immer, dass mit dem Job am GiM mein Bouquet an Kompetenzen so richtig zu blühen begann. Die medizinischen Kenntnisse aus meiner Ausbildung waren Gold wert, um die Relevanz des Forschungsbereichs in einen praktischen Kontext zu setzen. Die ersten Aufgaben waren Befragungen, wo mir die sozialwissenschaftlichen Werkzeuge sehr hilfreich waren. Und meine feministische Ader war hocherfreut, sich eines gesellschaftlich relevanten Themas anzunehmen, welches durch handfeste Daten zeigte, dass Ungleichbehandlung ernsthafte Konsequenzen nach sich zieht.
Die große Chance anhand medizinischer Daten zu zeigen, dass Gendern kein Gaga ist. Gendern - rettet Leben, im wahrsten Sinne des Wortes. Zur Überraschung vieler Menschen sind es auch Männerleben, die dadurch gerettet werden. Denn die hohe Selbstmordrate bei Männern hat ihre Ursache in der männlichen Geschlechterrolle, also einer Facette des sogenannten Genders. Es ist vielschichtig, und ich werde darüber detaillierter in einem Thread berichten. Eine weitere Dimension ist das biologische Geschlecht, welches in 3G unterteilt werden kann, das sind die Gene, die Gonaden (oder auch Keimdrüsen i.e. Eierstöcke und Hoden) und die Genitalien. Das biologische Geschlecht ist auch sozial konstruiert, dazu wird es auch einen Thread geben.
Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Neben der
physiotherapeutischen Betreuung von Patient*innen bleibe ich durch regelmäßiges
Lesen auf dem aktuellen Stand. In den letzten Wochen war ich einige Male in
medizinischen Bibliotheken und arbeite gerade an einem Update meiner
Bachelorarbeitsergebnisse. Diesmal will ich auch proaktiv auf die medizinischen
Verlage zugehen und hoffe, dass sich dann etwas mehr tut, um
Geschlechterrepräsentation in medizinischen Lehrbüchern auf den nächsten Level
zu heben. Solltest Du also bei einem Verlag arbeiten und ihr bringt Lehrbücher
auf den Markt, dann freue ich mich auf eine Nachricht, ich habe da schon ein
paar Ideen wie wir die medizinische Lehre optimieren können.
Motivation: Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit
interessieren?
Weil es darum geht
Menschenleben zu retten, beim Herzinfarkt wissen wir allmählich, dass die
Symptome bei Frauen anders aussehen können. 40 Jahre hat es gedauert, dieses
Wissen halbwegs landläufig zu verbreiten, aber was ist mit all den anderen
Erkrankungen?
Eine weitere Perspektive ist die Diskriminierung die nicht nur Frauen trifft.
Wenn zum Beispiel people of colour (POC) zum Arzt gehen, ihnen Dummheit und
mangelnde Sprachkenntnisse unterstellt werden, wenn sie keine adäquate
Behandlung erhalten, dann ist das ein Problem. Diese Probleme kommen auch nicht
alleine daher, sondern sind eng miteinander verwoben. Sexismus, Rassismus, Antisemitismus,
Klassismus..., all diese -ismen bauen Mauern in unserem Kopf, die mit
Sachlichkeit und Wissenschaft nichts zu tun haben. Das Schlimmste ist ja aber,
dass wir dem Sexismus im Kopf mehr vertrauen als offensichtlichen Fakten. Ein
weiteres Problem ist, dass wir diese -ismen auch in unsere Programme und
künstliche Intelligenz speisen; wir gehen oft davon aus, dass Computer sachlich
und neutral sind, allerdings ist das mitnichten so.
Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen
Aufgaben/Tätigkeiten?
Ich bin als Ratsfrau für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Gemeinderat Steinhorst in einer Gruppe mit der SPD. Es ist erstaunlich, auf welche Art unsere deutschen Kommunen funktionieren und wie dort gearbeitet wird. Es kostet manchmal echt Nerven, sich politisch zu engagieren und klare Flagge gegen Rechts und für Diversität zu zeigen, und es ist notwendig. Bei meinem letzten Besuch im niedersächsischen Landtag wurde mir klar, wieviel Geld und Zeit verbrannt wird durch Pöbeleien. Ich wünschte, wir könnten konstruktiv und auf Augenhöhe miteinander arbeiten, mit einem Selbstverständnis, so dass menschenfeindliche Positionen keinen Platz haben (siehe Grundgesetz).
Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Hmmm... ich finde ja alles interessant, was ich mache und kann manchmal nicht klar unterscheiden, was mein Hobby ist und was mein Beruf. Ich bemühe mich meinen Tag abwechslungsreich zu gestalten, aber mich jeden Tag wenigstens 30 Minuten intensiv zu bewegen ist essentiell. Dabei nutze ich eine Form des meditativen Trainings, welches darauf abzielt, möglichst viele Muskelfasern mit hoher Präzision anzusteuern. Ich nenne es immer den Staub aus den Muskelecken holen, denn Kraft, Flexibilität und Koordination sind sehr wichtige Elemente von Gesundheit.
Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forschende sind ja auch nur
Menschen)?
Jetzt bricht die Soziologin in mir durch – freier Tag von Erwerbsarbeit oder freier Tag von sozialen Verpflichtungen, freier Tag, weil ich meinen Sport mal schludern lasse? Also frei wovon? Mein idealer freier Tag müsste mit finanziellen Ressourcen und zeitgleich noch mit einem Ort-zu-Ort Transporter ausgestattet sein. Aufstehen an einem karibischen Strand, dann Mittagessen in hohen Bergen mit Ausguck, und abends dann Sternenhimmel mit Polarlichtern.
In der Realität habe ich in den letzten Jahren für mich erkannt, dass ich am liebsten jeden Tag ideal begehen möchte und diesen Ablauf schildere ich Euch stattdessen:
Nach ca. 7,5h Schlaf aufwachen
Zähne putzen, Tee kochen, nochmal ins Bett legen und Zeitung bzw. Twitter/soziale Medien lesen.
Bewegungstraining 30-60 Minuten
Kleine Zwischenmahlzeit
1-2h Produktivität nach Wahl (an einem idealen Tag mache ich nicht was anliegt, sondern worauf ich Lust habe), das kann sein: was Aufwändiges kochen, an einem Text arbeiten, einen Text lesen, mit Menschen sprechen, Menschen behandeln, self-care im Sinne von Einkaufen oder Essensplanung…
Mittagspause und im Anschluss eine Stunde spazieren in der Natur, dabei vielleicht auch mal Pause machen und mit einem lieben Menschen telefonieren, oder noch besser den Spaziergang gemeinsam machen.
1-2h Produktivität, siehe oben
Snack einnehmen mit meinem Lieblingsmenschen und dann gemeinsam einen teilproduktiven Abend verbringen.
Bitte begrüßt Sarah ganz herzlich bei Real Scientists DE!
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