Die Zukunft der Wissenschaft - es ist
kompliziert, aber es funktioniert.
Unsere Welt wird immer verzahnter, Probleme
werden vielschichtiger und Herausforderungen komplexer. Beziehungen sind
kompliziert, unser Alltag hochdynamisch. Das ist in den Naturwissenschaften
nicht anders. Technologien entwickeln sich rapide weiter, Innovation schafft
neue Forschungsfelder, die in dieser Form niemals zuvor existiert haben. Während
es in den letzten Dekaden des vergangenen Jahrhunderts noch genügte, ein einzelnes
Gen in einem Organismus zu identifizieren, sind die modernen Biowissenschaften
nicht erst seit dem Durchbruch beim Humanen Genomprojekt im Jahre 2001 auf die
Erforschung des Zusammenspiels aller Gene eines Individuums fokussiert, was
nicht nur neue Sequenziermethoden vorantrieb, sondern auch die Entwicklung
computergestützter Verfahren für die Daten-Analyse erforderte.
Die neusten Erkenntnisse auf dem Gebiet der
Tumorbiologie zeigen, dass Krebs eine komplexe Krankheit ist, der mit
herkömmlichen Verfahren nicht beizukommen ist. Würde das eine Gen existieren,
das den Krebs auslöst, müsste man dieses eine Onko-Gen lediglich identifizieren
und eliminieren, um den Tumor zu bekämpfen. Leidlich haben wir in der
Vergangenheit lernen müssen, dass nicht ein einzelner Krebs existiert, sondern
diverse Subtypen. Ein Onko-Gen wirkt nicht in Isolation, sondern in
Wechselwirkung mit anderen Erbfaktoren. Neben der Hyperaktivität von Onko-Genen
können gleichwohl Defekte in Tumorsuppressor-Genen zur Krebsentstehung beitragen.
Insgesamt ist es ein Zusammenspiel einer Vielzahl von genetischen Elementen,
das zur Entartung vormals gesunder Zellen führt. Dabei sind nicht nur die
Protein-kodierenden DNA-Sequenzen von Belang. Diese tragen lediglich etwa zwei
Prozent zu unserem Erbgut bei. Die regulative Komplexität des menschlichen
Organismus erwächst aus den verbleibenden, mehr als drei1 Milliarden
Nukleotidbausteinen, die niemals in Eiweißstrukturen übersetzt werden. Selbst deren
DNA-Sequenzen sowie die der etwa 20.000 Protein-kodierenden Gene determinieren nicht
notwendigerweise unsere Körperzellen auf Gesundheit oder Krebs.
Denn alle 37 Billionen Köperzellen teilen das
gleiche Erbgut. Dass ausschließlich Mutationen genügen, die sich im Erbgut
einer Zelle und deren Nachkommen außerhalb der Keimbahnen anreichern, damit ein
Tumor entsteht, ist selten, weil zelluläre Reparatur- und Vorsorge-Mechanismen
existieren. Allerdings können gleichwohl Fehler auftreten, wenn der genetische
Code in Eiweißmoleküle übersetzt wird, wenn die Proteine aktiviert oder
deaktiviert werden, oder wenn sie schlussendlich entsorgt werden sollen. Die
molekularen Maschinerien innerhalb unserer Zellen sind nicht nur vielschichtig
verzahnt, sondern agieren auch äußerst dynamisch. Aktivitätszustände von
Enzymen können bspw. durch Phosphorylierung und Dephosphorylierung innerhalb
von Sekunden ein- bzw. ausgeschaltet werden. Einige Proteinmodifikationen
wirken jedoch auf ganz anderen Zeitskalen. So ist die räumliche Anordnung von
Proteinen und DNA im Zellkern u. a. vom Acetylierungsmuster der Histone
abhängig, um die das Erbgut gewunden ist. Nur wenn an bestimmten Stellen die
richtigen chemischen Modifikationen vorgenommen wurden, kann die DNA entwunden
und abgelesen werden, um das genetische Programm auszuführen, das einem
Zelltyp seine spezifische Funktion verleiht. Aber Acetylierung von Histonen,
Entwindung von DNA, sowie deren Transkription und Translation benötigt Zeit; in
Summe stets mehrere Stunden. Die Phosphorylierung von regulativen Enzymen oder
Transkriptionsfaktoren in Antwort auf ein zelluläres Wachstumssignal geschieht
zwar sehr schnell, die nachfolgenden Reaktionen zum Initiieren des
Zellwachstums benötigen jedoch eine Menge Zeit und involvieren die Produktion
vieler, spezifischer Proteine.
Ob eine Zelle überhaupt Wachstumssignale
wahrnehmen kann, wird maßgeblich von der unmittelbaren Zell-Umgebung bestimmt. Benachbarte
Zellen können Wachstumshormone aufnehmen und dadurch den Kontakt anderer Zellen
mit den Signalmolekülen vermindern. Alternativ können Zellen ihr
Signalverhalten gegenseitig beeinflussen, indem sie Botenstoffe austauschen
oder sich direkt miteinander verknüpfen über Membran-verankerte Liganden und
Rezeptoren.
Welche und wie viele Zellen sich in direkter
Nachbarschaft zueinander befinden, hängt wiederum vom menschlichen Organismus
in seiner Gesamtheit ab. Es handelt sich zwar um eine unbequeme Wahrheit, doch
unsere Gene fixieren unser Schicksal nur zu einem Teil. Immer mehr verstehen
wir, wie sich unser Lebensstil auf unsere Gesundheit auswirkt. Rauchen
korreliert nicht nur mit dem Auftreten von Lungenkrebs; es steht in einem ursächlichen
Zusammenhang. Denn beim Tabakkonsum entstehen polyzyklische aromatische
Kohlenwasserstoffe, die direkt mit dem Erbgut wechselwirken können und damit
Mutationen hervorrufen, die das sensible Gleichgewicht innerhalb der Zellen aus
der Balance bringen. Dabei wird nicht nur die DNA eines Gens innerhalb eines
Zelltyps verändert, sondern das Erbgut verschiedener Zellen kann an
unterschiedlichen Stellen betroffen sein mit weitreichenden Konsequenzen für
den Stoffwechselhaushalt ganzer Zell-Populationen.
Was im Detail bei der Entstehung
unterschiedlicher Krebstypen geschieht, ist bisher nur in Teilen verstanden,
aber die Konsequenzen sind genauso unbestritten wie fatal: Entartung von
Zellen, Tumorwachstum und Metastasierung. Um allen Menschen die optimale,
individuelle Krebs-Vorsorge und -Therapie bieten zu können, benötigen wir mehr
als nur den zellulären Bauplan in Form von DNA-Sequenzen. Wir müssen wissen,
wie die zellulären Bausteine zusammenpassen. Die Bauarbeiten in den Zellen
stellen einen zeitlich hochaufgelösten Prozess dar, der in seiner Komplexität
von einzelnen Wissenschaftlern nur schwer zu durchdringen ist. Erst kürzlich
gelang es mir im Verbund mit anderen Wissenschaftlern zu zeigen, wie man von
Zelltyp-spezifischen Proteinmengen auf zelluläre Signalverarbeitung und das
Zellteilungsverhalten schließen kann. Dabei haben wir mittels
Massenspektrometrie die Anzahl von mehr als sechs Tausend verschiedenen Eiweißmolekülen
aus einer einzigen Probe bestimmen können. Diese Informationen haben wir dann
in das von uns entwickelte mathematische Modell eingespeist, um daraus
spezifisch für die Stammzellspender zu berechnen, welche Medikamente die
Blutzellen am besten an übermäßiger Zellteilung hemmen. Die Computer-basierten
Vorhersagen konnten wir anschließend im Experiment bestätigen. In Zukunft
könnte mit diesem Verfahren eine effiziente Personalisierung der
Blutkrebstherapie ermöglicht werden, was momentan von mir erprobt wird.
Generell ist die Anwendung von Grundlagenforschung im klinischen Kontext jedoch
nur dann möglich, wenn Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen
zusammenarbeiten und das Optimum aus den momentanen technischen Möglichkeiten
im jeweiligen Fachgebiet herausholen. Dies gilt es zu berücksichtigen. Um den
Krebs zu besiegen, bedarf es deshalb exzellent ausgebildeter Genetiker. Aber
alleine wären diese zurück im vergangenen Jahrhundert. Im Team mit fähigen
Biochemikern, Computerwissenschaftlern und Medizinern können die modernen
Hochdurchsatztechnologien allerdings ideal genutzt und weiterentwickelt werden,
für innovative, translationale Forschung zum Wohle der Patienten.
Adlung L, Kar S, Wagner M-C,
She B, Chakraborty S, Bao J, Lattermann S, Boerries M, Busch H, Wuchter P, Ho
AD, Timmer J, Schilling M, Höfer T & Klingmüller U (2017) Protein abundance
of AKT and ERK pathway components governs cell type-specific regulation of
proliferation. Mol. Syst. Biol. 13: 904
1i.e. 3,17
1i.e. 3,17
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