Diese Woche freuen wir uns auf unseren neuen Kurator Toke Hoffmeister (@tokehoff)! Toke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter (PostDoc) im Graduiertenkolleg 2700 Dynamik und Stabilität sprachlicher Repräsentationen an der Philipps-Universität Marburg und erforscht dort den Zusammenhang von Sprachsystem und Sprachgebrauch. Seine Dissertation hat Toke Hoffmeister 2021 an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel abgeschlossen. Darin untersuchte er das sprachliche Wissen linguistischer Laien aus einer kognitionslinguistischen Perspektive.
Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Wollte ich schon immer Wissenschaftler werden? Nein, so gar nicht. In Schulzeiten wollte ich zuerst zur Polizei, die nahmen mich wegen einer Sehschwäche nicht, dann wollte ich Lehrer werden und begann auch ein Lehramtsstudium. Aber habe ich mich schon immer für sprachwissenschaftliche Fragen interessiert? Auch nein, ganz im Gegenteil. Zu Beginn meines Studiums waren die Literaturwissenschaft und die Philosophie meine Hauptinteressensgebiete. Wie bin ich dann doch zur Linguistik gekommen? Ich wurde gefragt, ob ich als studentische Hilfskraft in einem DFG-Projekt mitarbeiten möchte. In dem Projekt ging es darum, welches Verständnis linguistische Laien von den deutschen Dialekten haben. Diese Chance ergriff ich, denn der Universitätsbetrieb als solcher interessierte mich sehr. Die Disziplin Wahrnehmungsdialektologie, der das Projekt zugeordnet war hat mich dann so begeistert, dass ich meine Masterarbeit in diesem Bereich geschrieben habe. Anschließend hat mich mein damaliger Chef gefragt, ob ich mir eine Promotion bei ihm vorstellen könne. Ich stimmte zu, nahm an und kam so zur Linguistik und zur Wissenschaft.
Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Sprache zeichnet uns Menschen aus. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht mit Sprache konfrontiert sind, sie in irgendeiner Form verwenden. Sie ist für unser Zusammenleben maßgeblich. Sie stellt für viele (und für manche zu sehr) ein elementares Identifikationsmittel dar. Wenn wir darüber Bescheid wissen, wie Sprache funktioniert, wissen wir auch darüber Bescheid, wer wir als Menschen sind.
Dass Sprache dabei ein komplexes Feld ist, wird schon an dieser kurzen Beschreibung deutlich. Ich verwende Sprache hier als Oberbegriff (linguistisch würden wir sagen als Hyperonym) für alle natürlichen (d.h. frei vorkommenden und nicht erfundenen) Sprachen. Das ist natürlich stark vereinfachend. Sprache gibt es nicht (bzw. nur idealisiert) als allgemeingültige Struktur. Sie ist dynamisch in vielerlei Hinsicht: diachron, d.h. geschichtlich verändert sich über die Jahrhunderte und Jahrtausende. Regional ist sie ganz verschieden: In Bayern sprechen die Menschen anders als in Schleswig-Holstein, in Nürnberg anders als in Augsburg. Sie ist auch funktional dynamisch: im Beruf z.B. sprechen wir anders, als mit Freunden. Das ist dann natürlich jeweils verschiedenes Sprechen. Aber sind das auch verschiedene Sprachen? Intuitiv würde man sagen: Nein, das ist doch alles irgendwie Deutsch. Neuere Forschung geht aber unter anderem von sogenannten Regionalsprachen aus, da sie durchaus Merkmale eigener Sprachen in sich tragen. Ich will das hier nicht vertiefen (dazu ausführlich Schmidt/Herrgen (2011): Sprachdynamik), sondern einen kleinen Einblick in die Komplexität von Sprache dazu nutzen, meine Begeisterung für Linguistik zu begründen und nachvollziehbar zu machen, weshalb sich die Erforschung lohnt.
Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Auch wenn ich noch in der Wahrnehmungsdialektologie (wo alles begann) aktiv bin (zuletzt habe ich als Ko-Autor eine Einführung geschrieben), ist sie nicht (mehr) mein Hauptarbeitsgebiet. In meiner Dissertation habe ich zur Laienlinguistik geforscht (gewissermaßen eine Mutterdisziplin zur Wahrnehmungsdialektologie) und im Rahmen meiner Habilitation forsche ich zu sprachlichen Repräsentationen und dem Verhältnis von Sprachsystem und Sprachgebrauch. Für mich ist der Mensch als Sprache verwendendes Wesen die zentrale Instanz. Dabei untersuche ich einerseits seine individuelle Verfasstheit, d.h. die Kognition und andererseits soziale Aspekte vor allem im Hinblick auf kulturelle Paradigmen. Sprache – Kognition – Kultur, das sind die drei wichtigen Bausteine meine forschenden Tätigkeit. Ich glaube, dass man damit über das Verhältnis dieser drei Bausteine den Menschen und seine Sprache angemessen erschließen kann und der Geschichtlichkeit wie der Gegenwart gerecht wird.
Die Laienlinguistik (als Teilgebiet der Soziolinguistik) beschäftigt sich damit, was Menschen, die keine linguistische oder philologische Ausbildung absolviert haben, unter Sprache verstehen. Was meinen sie, wenn sie von Sprache sprechen? Welches Konzept haben sie von der deutschen Sprache (das war die zentrale Frage meiner Dissertation)? Wie bewerten sie Sprache(n) und deren Sprecher*innen? Welche Stereotype sind damit verbunden? Wie kann man das aus einer linguistischen Perspektive adäquat beschreiben? Wie soll die Linguistik mit den Einstellungen von linguistischen Laien umgehen? Das alles (und noch viel mehr) wird in der Laienlinguistik untersucht.
Die Wahrnehmungsdialektologie ist eine Teildisziplin der Laienlinguistik oder – je nach Perspektive – der Dialektologie. Dabei wird untersucht, wie die kognitiven/mentalen Karten des deutschen Sprachraumes von linguistischen Laien aussehen. Welche Grenzen zwischen Dialekten sind vorhanden? Welche Dialekträume werden unterschieden und wie werden sie bezeichnet? Wie werden die verschiedenen Dialekte bewertet? Gibt es ganz besonders beliebte und unbeliebte Dialekte?
Unsere Arbeit am Graduiertenkolleg 2700 beschäftigt sich mit sprachlichen Repräsentationen, die wir als kognitive Entsprechungen linguistischer Kategorien verstehen. Eine linguistische Kategorie wäre zum Beispiel das Wort, dessen Bedeutung kognitiv gespeichert und abgerufen wird. Auch die Formseite, z.B. HAUS, ist kognitiv ‚repräsentiert‘, d.h. vergegenwärtigt. Wie sich diese Repräsentationen verändern (z. B. über Jahrhunderte hinweg oder im Laufe des Spracherwerbs) ist Gegenstand unserer Forschung. Wir untersuchen das aus drei Perspektiven: 1.) Neurolinguistik: Dort werden Messungen an Gehirnen vorgenommen und neuronale Reaktionszeiten gemessen, die Auskunft über Verarbeitungsgeschwindigkeiten und auch aktive Gehirnregionen geben. 2.) Spracherwerb: Wie verändern sich sprachliche Repräsentationen vom Kleinkind- zum Erwachsenenalter? Wie funktioniert Sprachverarbeitung bei ein- und mehrsprachigen Kindern? 3.) Variationslinguistik: Welche Unterschiede gibt es in den regionalen Ausprägungen des Deutschen? Wie haben sie sich über die Jahrhunderte herausgebildet? Meine Aufgabe ist es dabei, einen Repräsentationsbegriff theoretisch zu entwickeln, zu fundieren und auf die Teilprojekte anwendbar zu machen, sodass er schließlich eine Art Überdachung für alle drei Bereiche darstellt.
Motivation: warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Kurz: Weil ‚die‘ ‚Öffentlichkeit‘ Gegenstand meiner Forschung ist (Stichwort: Laienlinguistik und Wahrnehmungsdialektologie). Länger: Sprache geht uns alle an. Die Öffentlichkeit ist interessiert an Sprache, das zeigen vor allem Debatten zum sog. ‚Sprachverfall‘ oder zum sog. ‚Gendern‘. Wir (als Linguistik) erforschen Sprache und zeigen, wie sie funktioniert. Deshalb sollte die Öffentlichkeit schauen, was die Linguistik für Erkenntnisse über Sprache liefert. Dabei sollte die Öffentlichkeit die Linguistik zwar kritisch hinterfragen, ihr aber auch vertrauen, dass sie zu validen Erkenntnissen kommt. Dass dabei einzelne Themen für die Öffentlichkeit interessanter und relevanter scheinen als andere, liegt in der Natur der Sache. Hier werbe ich aber auch für ein Verständnis für solche Themen, die für die Öffentlichkeit auf den ersten Blick „wie aus dem Elfenbeinturm“ zu stammen scheinen. Das ist oftmals Forschung, die für uns wichtige Grundlagen liefert, auf denen wir dann aufbauen. Die Angewandte Linguistik z. B. wäre ohne Grundlagenforschung nicht denkbar.
Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Seit kurzem bin ich Mentor in einem Programm zu Förderung promotionsinteressierter Frauen. Dort geht es darum, dass ich mit meiner Mentee bespreche, ob eine Promotion für sie in Frage kommen könnte, welche Chancen aber auch welche Risiken mit einer Promotion verbunden sind und wie sie für sich eine Entscheidung für oder gegen eine Promotion fällen kann. Das ist eine sehr inspirierende Aufgabe: Ich lerne auch selbst viel über mich, weil ich auch meine Position als Mann im Wissenschaftssystem stärker als zuvor reflektiere. Daneben ist es bereichernd zu sehen, wie meine Mentee für sich selbst den Weg nach und nach geht und Denkprozesse angestoßen werden.
Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Ob andere das Hobby interessant finden, weiß ich nicht, aber es ist in jedem Fall außergewöhnlich, denn ich spiele schon seit ich 12 Jahre alt bin, d.h. seit 18 Jahren, Bridge. Zwar ist Bridge stereotyp ein Kartenspiel älterer, vornehmer englischer Damen, aber ich bin ein gutes Beispiel, dass dies ein Vorurteil und nicht die Realität ist. Mich fasziniert an Bridge, dass es sehr sozial ist, den Kopf beansprucht und gleichermaßen zum Spaß wie kompetitiv betrieben werden kann. Die Regeln sind in etwa mit denen von Skat vergleichbar – es geht auch darum, möglichst viele Stiche zu erzielen und die Anzahl möglichst exakt vorherzusagen – im Unterschied zu Skat spielt man Bridge aber zwei gegen zwei im Paarmodus oder vier gegen vier im Teammodus. Die zu erbringende Konzentrationsleistung ist aber eher mit Schach vergleichbar, da man sehr genau erinnern muss, welche Karten bereits gespielt und welche noch im Spiel vorhanden sind – bei 52 Karten ist das nicht immer so leicht.
Daneben spiele ich gern – wenn auch viel zu selten – Klavier.
Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forscher sind ja auch nur Menschen)?
An einem freien Tag schlafe ich gern aus und verbringe ihn nach einem ausgiebigen Frühstück mit meiner Frau im Garten, beim Einkaufen und Kochen. Auch Zeit für eine gute Serie oder ein gutes Buch nehme ich mir gern. Da wir recht nah an der Nordsee wohnen, ist auch dies ein schöner Ort zum Spazierengehen und in die Ferne schauen.
Bitte begrüßt Toke ganz herzlich bei Real Scientists DE!
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