Sunday, September 24, 2023

Von wegen finsteres Mittelalter -- Juliane Bienert ist jetzt bei Real Scientists DE!

Wir freuen uns extrem, Juliane Bienert (@julianebien) als neue Kuratorin bei Real Scientists DE begrüßen zu dürfen. Juliane hat Germanistik und Komparatistik an der Ruhr-Universität Bochum studiert und promoviert aktuell in der Germanistischen Mediävistik zu verbindlichen Sprechakten und Geschlechterrollen in Erzähltexten des Hochmittelalters. Seit Ende ihres Masters arbeitet sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte an den Universitäten in Bonn und Bochum. Abseits von der Forschung schlägt ihr Herz für die Wissenschaftskommunikation und die Hochschuldidaktik, wobei sie immer auf der Suche nach kreativen und möglichst inklusiven Wegen der Vermittlung ist.
Auch Juliane blieb nicht von unseren üblichen Fragen über sie selbst verschont. Und ihre Antworten waren super interessant:

Wie bist du in der Wissenschaft gelandet?
Ich bin mit der Motivation ins Literaturstudium gegangen, von der einem eigentlich alle (zumindest, wenn es nach meinen Lehrkräften geht,) abraten: ich lese unheimlich gerne und habe mich schon zu Schulzeiten schriftlich in allen möglichen Bereichen - auch den Analysen im Deutschunterricht - ausgetobt. Einen konkreten Berufswunsch hatte ich nicht, auch wenn ich das Verlagslektorat, wie wohl fast jede Leseratte, spannend fand. Ich habe mich gleich in der ersten Uni-Woche in meine Studienfächer verliebt und habe so viele Kurse extra gewählt, wie mir möglich war. Besonders angetan hat es mir die Literatur des Mittelalters und durch einen großartigen Dozenten (den ich jetzt meinen Promotionsbetreuer nenne) habe ich das nötige Selbstbewusstsein gewonnen, um mich nicht nur für einen Master of Arts, sondern auch für eine Promotion zu entscheiden. Wie ich also in der Wissenschaft gelandet bin? Ich wollte einfach mehr noch mehr lernen.

Warum hast du dich für dein aktuelles Feld entschieden, und/oder was hält dich dort?
Die Germanistische Mediävistik ist ein kleines Fach, wenn man bedenkt, dass es an vielen Unis, auch in NRW, kein Teil des Germanistikstudiums mehr ist. Im ersten Semester habe ich diese fremde Sprache verabscheut und kann heute mit Stolz behaupten, die Schlechteste im Grundkurs gewesen zu sein. Doch sobald es literaturwissenschaftlich wurde und ich in die Welt der maeren, Ritter und edlen Damen eingetaucht bin, konnte ich sozusagen "hinter das Klischee" blicken. Wir haben alle irgendwie ein Bild im Kopf, wenn wir an das Mittelalter denken - den Ausdruck "finsteres Mittelalter" haben sicherlich viele schon gehört oder gesagt. Ich habe über das Studium und darüber hinaus immer wieder festgestellt, wie bunt und farbenfroh diese Epoche eigentlich ist und wie wertvoll die Beschäftigung mit den Stoffen auch für aktuelle Debatten und Krisen sein kann. Das hat mich letztendlich gehalten: ich möchte nicht nur Studierende davon überzeugen, dass es sich lohnt, diese scheinbar verstaubten Texte zu lesen - oder zumindest denen zuzuhören, die sie spannend und mit viel Herzblut übersetzen, bewahren und vermitteln.

Erzähle uns etwas über deine Arbeit!
Meine Forschung beschäftigt sich grob gesagt mit dem Einfluss verbindlicher Sprechakte (z.B. einem Versprechen, Eid oder Schwur) auf die Geschlechterrollen in mittelalterlichen Erzähltexten des 12. und 13. Jahrhunderts. Ich untersuche das Geflecht, in dem diese Art der verbindlichen Kommunikation stattfindet - das bedeutet, dass ein Versprechen nicht einfach nur eine reine Sprachhandlung ist, sondern immer auch in kulturelle, gesellschaftliche und allgemein soziale Normen, Werte und Regeln eingebunden ist. Dazu gehören auch Geschlechterrollen, die in der Literatur, die ich analysiere, gar nicht so starr und festgezogen sind, wie man es vom Mittelalter vielleicht denken würde. Auch Alleinherrscherinnen und listige Zofen spielen eine große Rolle! Nachweisen möchte ich am Ende nicht nur, dass verbindliche Kommunikation Geschlechterrollen beeinflusst, sondern ich möchte aufzeigen, inwiefern verbindliches Sprechen dazu führt, dass erzählerisch mit Geschlechterrollen umgegangen werden kann - meine These (, die sich zum jetzigen Zeitpunkt schon mehrfach bestätigt hat) ist, dass verbindliche Sprechakte Geschlechterrollen aufbrechen, verändern und neu prägen.

Warum sollte sich die Öffentlichkeit für deine Forschung/Arbeit interessieren?
Weil das Mittelalter so viel mehr vorweisen kann als Ritter und Burgfräulein! Wusstet ihr zum Beispiel, dass auch in dieser Epoche queere Identität Teil der Literatur gewesen ist? Oder dass Frauen durchaus auch alleine herrschen konnten? Oder dass die Hexenverfolgung hauptsächlich gar nicht im Mittelalter stattgefunden hat? Mein eigener Anspruch ist in erster Linie, Stereotype und Vorurteile aufzubrechen und den Facettenreichtum der Literatur des Mittelalters nicht nur in meiner Forschung, sondern auch in meiner Lehre und Wissenschaftskommunikation abzubilden. Das Mittelalter - genauer: die Literatur des Mittelalters - bietet so viele Anknüpfungspunkte für die "großen Fragen" unserer Zeit und ich wünschte mir, dass wir - Innovation und "Technologieoffenheit" in allen Ehren - öfter auch einen Blick zurückwerfen und uns die Errungenschaften und komplexen Diskurse dieser scheinbar fremden Zeit vor Augen führen.

Hast du irgendwelche interessanten externen/zusätzlichen Aufgaben/Tätigkeiten?
Neben einem anspruchsvollen Uni-Alltag blieb in den letzten zwei Jahren nicht viel Zeit (und Energie) für andere Tätigkeiten. Trotz allem bin ich seit Beginn meines Bachelors motivierte Hobby-Bloggerin - hier hat meine Leidenschaft für Wissenschaftskommunikation schon angefangen, indem ich allen, die mitlesen, von meinem Studium berichtet habe. Gerade über die Komparatistik - ein kleines Fach, meiner Meinung nach ein oft zu verborgener Schatz unter den Studiengängen - gab es, als ich mich nach einem Ausbildungsweg umgesehen habe, kaum Informationen. Da habe ich mir gedacht: dann mache ich das eben! Seit Anfang des Jahres 2023 bin ich außerdem hin und wieder ehrenamtlich tätig und helfe Kindern und Jugendlichen als Kursbegleitung bei der Junior-Uni.Ruhr dabei, Freude an den unterschiedlichsten Themengebieten zu entwickeln.

Irgendwelche interessanten Hobbies, von denen du uns erzählen möchtest?
Ich bin passionierte Querflötistin - wenn auch nicht auf Profi-Niveau, dann doch lange Jahre als Hobby. Angefangen habe ich zu Beginn des Gymnasiums und habe viele Jahre in zwei Orchestern (unter anderem an der Ruhr-Uni) gespielt. Das Gemeinschaftsgefühl, wenn mit zahlreichen verschiedenen Instrumenten ein Stück Form annimmt, ist unbeschreiblich und auch wenn ich aktuell keine Zeit fürs Orchester und die langen Wochenendproben habe, werde ich die Querflöte nie ganz aus der Hand legen, sondern bewahre sie mir aktuell im zum Glück sehr musikalischen Familienkreis.

Wie sieht dein idealer freier Tag aus (Forschende sind ja auch nur Menschen)
Ich bin nicht unbedingt fürs Ausschlafen bekannt, daher beginnt ein freier Tag bei mir in der Regel um 9 Uhr. Runterkommen kann ich am besten bei einem Spaziergang mit dem Hund, beim stundenlangen Lesen oder wenn ich mit der besten Freundin durch die zum Glück sehr grüne Heimatstadt schlendere. Egal ob 30 Grad oder 0, der Tag beinhaltet immer eine Tasse heißen Tee.

Bitte begrüßt Juliane ganz herzlich bei Real Scientists DE!

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